12.1 Aufenthaltsrechtliche Situation

Vollziehbar ausreisepflichtig werden Flüchtlinge nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens. Aber auch Flüchtlinge, die ohne Visum nach Deutschland kommen oder nach Ablauf des Visums in Deutschland bleiben und kein Asyl beantragen, sind vollziehbar ausreisepflichtig

Eine Duldung nach § 60a Abs. 1 S. 1 AufenthG erhält vor allem, wer zur Ausreise verpflichtet ist, aber nicht abgeschoben werden kann, weil dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn kein Pass vorliegt oder eine Abschiebung wegen bestimmter familiärer Bindungen nicht zulässig ist. Wenn jedoch das Abschiebungshindernis wegfällt, droht akute Abschiebungsgefahr den Einzelheiten; zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 11.1.

Wenn Sie nicht abgeschoben werden können, weil Sie etwa bei der Passbeschaffung nicht mitwirken, erhalten Sie eine sog. Duldung für Personen mit ungeklärter Identität nach § 60b AufenthG; zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 11.2.

Wenn das Nds. Innenministerium für eine bestimmte Flüchtlingsgruppe oder für Flüchtlinge aus einem bestimmten Land einen Abschiebungsstopp angeordnet hat, wird eine Duldung nach § 60a Abs. 1 S. 1 erteilt; zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 11.3.

Wenn Sie eine Berufsausbildung beginnen, haben Sie unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf die Erteilung einer sog. Ausbildungsduldung;[1] zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 11.4.

Wenn Sie eine bestimmte Zeit gearbeitet haben, soll Ihnen unter bestimmten Voraussetzungen eine sog. Beschäftigungsduldung erteilt werden;[2] zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 11.5.

Außerdem kann die Ausländerbehörde Ihnen eine sog. Ermessensduldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen Ihre vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern;[3] zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 11.6.

Eine Duldung gilt meistens nur kurze Zeit (mit Ausnahme der Ausbildungsduldung und der Beschäftigungsduldung), sie wird häufig für einen, drei oder sechs Monate ausgestellt. Es ist allerdings gesetzlich nicht festgelegt, für welchen Geltungszeitraum die Duldung jeweils maximal ausgestellt werden kann. Nach den Verwaltungsvorschriften[4] sind Duldungen für maximal drei Monate zu erteilen. Nur in begründeten Einzelfällen, wenn z.B. ausgeschlossen erscheint, dass eine Abschiebung in diesem Zeitraum möglich ist, kann die Duldung ausnahmsweise für einen längeren Zeitraum erteilt werden.

Die Duldung, erteilt wegen der Unmöglichkeit der Abschiebung, wird verlängert, wenn eine Abschiebung weiterhin nicht möglich ist. Auf diese Weise kann es sein, dass ein geduldeter Aufenthalt viele Jahre andauert. Auch wenn man viele Jahre lang eine Duldung besitzt, leitet sich daraus allein kein Recht ab, in Deutschland zu bleiben. Liegen aber bestimmte Umstände vor, können Sie eine Aufenthaltserlaubnis erhalten:

  • Wenn Sie unter 21 Jahre alt sind und seit vier Jahren hier leben, soll Ihnen unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erteilt werden (vgl. Kapital 14).
  • Wenn Sie seit acht Jahren (beim Zusammenleben mit minderjährigen Kindern seit sechs Jahren) hier leben, soll Ihnen unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erteilt werden(vgl. Kapital 15).
  • Wenn Sie einen deutschen oder anerkannten/gleichwertigen Studien- oder Ausbildungsabschluss, kann Ihnen unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach § 19d AufenthG erteilt werden (vgl. Kapital 16).
  • Ist die freiwillige Ausreise dauerhaft unmöglich, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Frage. Eine Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen liegt insbesondere dann vor, wenn die Betreffenden in Deutschland „faktisch verwurzelt“ sind (vgl. Kapital 17).
  • Wenn Sie ein Härtefallersuchen stellen, können Sie unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG erhalten (vgl. Kapital 18).

Suchen Sie eine Beratungsstelle auf und klären Sie, welche Möglichkeiten Sie haben, anstelle einer Duldung ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu bekommen.

Lesen Sie sich Ihre Duldung genau durch! Nicht immer bietet das in der Duldung genannte Datum auch eine Sicherheit dafür, dass bis dahin keine Abschiebung stattfindet: Oftmals findet sich in der Duldung ein Hinweis darauf, dass die Duldung ungültig wird, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt (zum Beispiel wenn Reisepapiere eintreffen oder wenn eine Härtefalleingabe entschieden ist).

Außerdem wird die Ausländerbehörde die Duldung widerrufen, wenn Gründe, warum die Abschiebung nicht durchgeführt werden kann, weggefallen sind (z.B. die Verkehrsverbindung wieder besteht).[5] Eine Abschiebung kann dann direkt nach dem Erlöschen der Duldung ohne erneute Abschiebungsandrohung und Fristsetzung durchgeführt werden.[6] Werden Sie länger als ein Jahr geduldet, muss die Ausländerbehörde Ihnen die Abschiebung in diesem Fall mindestens einen Monat vorher ankündigen; die Ankündigung muss wiederholt werden, wenn die Duldung für mehr als ein Jahr erneuert wurde.[7]

Achtung: Seit der Änderung des Aufenthaltsgesetz durch das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ vom 20.07.2017 muss die Abschiebung aber – auch wenn jemand länger als ein Jahr geduldet wird – dann nicht angekündigt werden, wenn die Abschiebung vorher durch falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit selbst verhindert wurde oder wenn bei der Beschaffung von Passpapieren etc. nicht wie erforderlich mitgewirkt wurde (zur sog. Mitwirkungspflicht siehe unten).[8]

  • Wenn Sie einen Brief bekommen, in dem Ihre Abschiebung angekündigt wird, wenden Sie sich an Ihren Anwalt, Ihre Anwältin oder eine Beratungsstelle, um zu klären, ob es eine konkrete Abschiebungsgefahr für Sie gibt.

Als Geduldete/r sind Sie grundsätzlich dazu verpflichtet, freiwillig auszureisen oder daran mitzuwirken,[9] dass eine Abschiebung möglich wird. Zu Ihren Pflichten gehört es zum Beispiel, sich um Ihren Pass oder sonstige Papiere zu kümmern, wenn Sie dazu aufgefordert werden. Eine mangelnde Mitwirkung kann für Sie unangenehme Konsequenzen haben, vor allem die Erteilung einer Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, bei der u.a. ein Arbeitsverbot besteht (siehe Kapitel 11.2) sowie Leistungskürzungen.[10]

Die Ausländerbehörde darf auch Datenträger wie Smartphones und Computer auswerten, wenn das für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit und einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat erforderlich ist und diese Feststellung nicht „durch mildere Mittel“ erreicht werden kann.[11] Wenn die Betroffenen die notwendigen Zugangsdaten nicht nennen, darf eine Auskunft von dem geschäftsmäßig Telekommunikationsdienstleister verlangt werden.[12] Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch die Auswertung von Datenträgern erlangt werden, dürfen nicht verwertet werden.[13] Diese Neuregelung ist verfassungsrechtlich fragwürdig im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und auch unter dem Gesichtspunkt des durch Art. 1 GG geschützten Kernbereichs der privaten Lebensführung.[14]

 

[1] § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG.

[2] § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG.

[3] § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG.

[4] Allgemeinen Anwendungshinweisen des BMI vom 30.5.2017 mit Ergänzungen des MI Niedersachsens, S. 2, siehe https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2017/09/ERLASS-AAH-BMI-Duldung-mit-Regelungen-NI.pdf.

[5] § 60a Abs. 5 S. 2 AufenthG.

[6] § 60a Abs. 5 S. 3 AufenthG.

[7] § 60a Abs. 5 S. 4 AufenthG.

[8] § 60a Abs. 5 S. 5 AufenthG.

[9] Ausführlich hierzu Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, Rechtsgutachten zu Mitwirkungspflichten im Ausländerrecht, November 2017, siehe https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2017/02/Rechtsgutachten-zu-Mitwirkungspflichten-im-Ausl%C3%A4nderrecht.pdf.

[10] § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG; § 1a Abs. 3 AsylbLG.

[11] § 48 Abs. 3a S. 1 AufenthG.

[12] § 48a AufenthG.

[13] § 48 Abs. 3a S. 5 AufenthG; zu den weiteren Voraussetzungen für den Zugriff etc. siehe § 48 Abs. 3a S. 4, S. 6 ff AufenthG.

[14] Möller in Hofmann, Ausländerrecht, § 48 AufenthG, Rn. 55 ff.

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