Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge: ein integrationsfeindliches Bürokratiemonster

Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert Landesregierung zur Ablehnung des Integrationsgesetzentwurfs auf

Gesetzentwurf ist ein durchsichtiger und fragwürdiger Versuch, Wohnsitzauflagen mit einer verfassunsgrechtlich zulässigen Argumentation zu begründen, die offenkundig vorgeschoben ist.

Die Bundesregierung hat angekündigt, am kommenden Mittwoch bei ihrer Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg den vom BMI vorgelegten Entwurf eines sogenannten Integrationsgesetzes zu beschließen. Neben einigen Verbesserungen sieht der Entwurf u.a. die Etablierung integrationsfeindlicher Sanktionsinstrumente sowie die flächendeckende Einführung von Wohnsitzauflagen für anerkannte Flüchtlinge vor.

Der Flüchtlingsrat spricht sich ausdrücklich gegen diese Form normierter Diskriminierung aus. Die Wohnsitzauflage ist integrationsfeindlich und steht im Widerspruch zur Verfassung und zur niedersächsischen Erlasslage:

Die niedersächsische Landesregierung hat aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 01.03.2016 zur Rechtswidrigkeit einer fiskalisch begründeten Wohnsitzauflage den einzig zulässigen Schluss gezogen, dass Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz – ebenso wie anerkannte Flüchtlinge auch – nicht mit einer Wohnsitzauflage belegt werden dürfen siehe Erlass). Wir fordern das Land Niedersachsen daher auf, konsequenterweise die Verhängung von Wohnsitzauflagen gegenüber Flüchtlingen mit Schutzstatus abzulehnen.

Das niedersächsische Innenministerium hat in dem angesprochenen Runderlass klargestellt, dass subsidiär Schutzberechtigte (die also einen Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 AsylG erhalten und dann Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 zweite Alternative AufenthG haben) keine Wohnsitzauflage aus fiskalischen Gründen bekommen dürfen. Der Bezug von Leistungen ist keine Begründung für eine Wohnsitzauflage. Das niedersächsische Innenministerium folgt damit einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4.5.2016, der sich wiederum auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März dieses Jahres bezieht, worin der EuGH festgestellt hat, dass eine Wohnsitzauflage für subsidiär Schutzberechtigte auf Grund des Bezugs von Leistungen gegen Artikel 33 (Zuerkennung internationalen Schutzes) der europäischen Anerkennungsrichtlinie/Qualifikationsrichtlinie verstößt.

Dass eine fiskalisch begründete Wohnsitzauflage rechtswidrig wäre, weiß auch die Bundesregierung. Die neue Formulierung von § 12 a AufenthG-Entwurf im Referent:innen-Entwurf der Bundesregierung, in der eine Wohnsitzauflage nun plötzlich mit einer „Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland“ begründet wird, ist ein durchsichtiger und fragwürdiger Versuch, Wohnsitzauflagen mit einer verfassunsgrechtlich zulässigen Argumentation zu begründen, die offenkundig vorgeschoben ist: Alle Fachverbände sind sich in der Einschätzung einig, dass eine Integration und Teilhabe durch Wohnsitzauflagen gerade erschwert wird, weil eine Ausbildung, Arbeit oder Qualifizierung natürlich besser dort gelingt, wo eine entsprechende Infrastruktur besteht und Angebote vorgehalten werden, und nicht in strukturarmen Gebieten, in denen Flüchtlinge durch Wohnsitzauflagen festgehalten werden sollen.

siehe hierzu ausführlich: Flüchtlingsrat Berlin
sowie: Bericht des Mediendienstes Integration

Die Fragwürdigkeit der eigenen Argumentation ist offensichtlich auch der Bundesregierung und den Befürworter*innen dieses Gesetzentwurfes klar. Sie setzen freilich darauf, dass Klagen allenfalls in sechs bis acht Jahren beim Verfassungsgericht zum Erfolg führen werden, und schaffen einstweilen administrative Fakten zulasten der betroffenen Flüchtlinge.

Alle Erfahrungen der verbandlichen und bürgerschaftlichen Flüchtlingshilfe in Niedersachsen und anderenorts belegen, dass Flüchtlinge dort Wurzeln schlagen, wo sie eine gute Aufnahme finden, ihnen soziale und Perspektiven schaffende Integrationshilfen zugänglich sind und sie sich frei von Ausgrenzung als Teil des Sozialraums identifizieren. Eine administrativ erzwungene Wohnsitznahme untergräbt solcherart positive Integrationsprozesse systematisch und mindert bei den Betroffenen, sich zum Gemeinwesen zugehörig zu fühlen.

Wer sich allerdings den Entwurf von § 12 a AufenthG-E einmal richtig ansieht – und das sei nicht zuletzt den Befürworter:innen der Wohnsitzauflage in einigen Kommunen und Gebietskörperschaften anempfohlen – wird erkennen, dass damit ein weiteres Bürokratiemonster für Verwaltungen, Gerichte und Beratungsstellen droht, zulasten der Motivation und Integrationsbereitschaft von hierzulande Schutz und Zukunft suchender Menschen.

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