Geflüchtete vor Corona schützen!

Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert weitgehende Maßnahmen zum Schutz von Geflüchteten und Personal in Unterkünften und Behörden zur Eindämmung der Pandemie

Der Ausbruch des Corona-Virus betrifft die gesamte Gesellschaft, auch Geflüchtete. Diese sind aufgrund der sozial beengten Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes und kommunalen Gemeinschaftsunterkünften (Massenunterkünfte) besonders von einer Infektion mit dem Coronavirus bedroht. Aufgrund der schnellen Verbreitung wird sich der Virus in solchen Unterkünften schnell und einfach zwischen den Bewohner*innen übertragen. Dort kann weder ein Sicherheitsabstand eingehalten, noch können soziale Kontakte vermieden werden. Wer sich Gemeinschaftsküchen teilt, in Mehrbettzimmern wohnt, aus derselben Kantine versorgt wird und die Sanitäranlagen gemeinsam nutzt, ist immer mit anderen Menschen in Kontakt. Zudem müssen Geflüchtete regelmäßige Termine bei Behörden wahrnehmen. Deshalb setzt sich der Flüchtlingsrat Niedersachsen für erhöhte Schutzmaßnahmen ein und fordert:

  1. Zugang zum regulären Gesundheitssystem für alle Geflüchteten
  2. Entzerrung der Unterbringung und Einhaltung allgemeinverbindlicher Hygienestandards
  3. Quarantänemaßnahmen auf Infizierte und Kontaktpersonen beschränken
  4. Umfassende, tagesaktuelle und mehrsprachige Information aller Geflüchteten
  5. Absage aller Behördentermine & unbürokratische Verlängerung von Aufenthaltspapieren
  6. Stopp des Erlasses negativer Entscheidungen durch BAMF und Ausländerbehörden
  7. Abschiebungen ausnahmslos aussetzen und Abschiebungshaftanstalt schließen
  8. Ausstellung langfristiger Duldungen und Aufhebung von Sanktionen
  9. Keine Wohnsitzauflage für Geflüchtete bei Verlust des Arbeitsplatzes oder Kurzarbeit

1. Zugang zum regulären Gesundheitssystem für alle Geflüchteten
Die Gesundheitsversorgung und die freie Arztwahl müssen für alle Flüchtlinge gesichert sein. Geflüchteten muss bei einem Verdacht auf Infektion wie für alle anderen Gesellschaftsmitglieder auch der Zugang zum regulären Gesundheitssystem und zu Corona-Tests ermöglicht werden. Daher sind allen Personen, die Leistungen nach dem AsylblG beziehen und noch nicht über eine GKV-Karte verfügen, umgehend zumindest Krankenscheine zuzuschicken. llegalisierten (Menschen ohne Papiere) ist der Zugang zum regulären Gesundheitssystem und zu Corona-Tests ebenfalls uneingeschränkt zu ermöglichen. Es ist sicherzustellen, dass die Gesundheitsämter keine Informationen an Ausländerbehörden und Polizei weitergeben (dürfen).

2. Entzerrung der Unterbringung und Einhaltung allgmeinverbindlicher Hygienestandards
Das Land muss in Kooperation mit den Kommunen die Anzahl der Bewohner_Innen in den Massenunterkünften deutlich reduzieren, um das Infektionsrisiko zu senken. Hierfür ist es erforderlich, möglichst viele Geflüchtete dezentral unterzubringen, wobei sämtliche freie Kapazitäten auszuschöpfen und erforderlichenfalls zusätzliche Wohnräume anzumieten sind. Besonders gefährdete Personen (Personen über 60 sowie Personen mit Vorerkrankungen) sind prioritär und unverzüglich aus den Massenunterkünften in dezentrale Unterkünfte zu verlegen, um sie bestmöglich zu schützen.
Sofern in Massenunterkünften Zimmer leerstehen, sind diese unverzüglich zu öffnen, um die Belegung zu entzerren.
Alle von Institutionen wie dem Robert-Koch-Institut oder der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung angeratenen Hygiene- und Schutzmaßnahmen für Massenunterkünfte müssen in vollem Umfang auch in Flüchtlingsgemeinschaftsunterkünften umgesetzt werden.

3. Quarantänemaßnahmen auf Infizierte und Kontaktpersonen beschränken
Sofern ein_e Bewohner_in einer Massenunterkunft positiv auf das Corana-Virus getestet wurde, sind allen anderen Bewohner_Innen kostenfreie Tests anzubieten.
Die negativ getesteten Bewohner_Innen sind umgehend in dezentrale Unterkünfte zu verlegen, um eine (schnelle) Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Verlegung der Gesunden erlaubt eine adäquate Betreuung der Erkrankten.
Für Bewohner:innen, die aufgrund eines Infektionsverdachts oder eines positiven Testergebnisses in Quarantäne genommen werden (müssen), ist ein adäquate soziale, medizinische und psychologische Versorgung sicherzustellen. Überdies ist sicherzustellen, dass diese Personen weiterhin mit Freund:innen und Familie, Sozialarbeiter*innen, Ehrenamtlichen und Behörden kommunizieren können, indem ihnen der Zugang zum Internet ermöglicht und ihnen hierfür erforderlichenfalls ein Smartphone und/oder Laptop zur Verfügung gestellt wird. Abzulehnen ist in jedem Fall die pauschale Inquarantänenahme von Geflüchteten und die pauschale Abriegelung von Massenunterkünften durch die Polizei oder Sicherheitsdienste, da diese nicht als Schutz. sondern vielmehr als Internierung wahrgenommen wird.

4. Umfassende, tagesaktuelle und mehrsprachige Information aller Geflüchteten
Da Geflüchtete aufgrund fehlender oder geringer Deutschkenntnisse vom öffentlichen Informationsfluss abgeschnitten sind, bedarf es verlässlicher, tagesaktueller mehrsprachiger Nachrichten und Informationen. Deshalb sind sämtliche Landeserlasse und offizielle Informationsmaterialien schleunigst zu übersetzen und in den Massenunterkünften in den Sprachen der dort untergebrachten Geflüchteten zu verbreiten sowie online zugänglich zu machen. Zudem sind Telefon-Hotlines mit Dolmetscher:innen für alle Geflüchteten und Migrant*innen einzurichten, um drängende Fragen direkt beantworten zu können.

5. Absage aller Behördentermine & unbürokratische Verlängerung von Aufenthaltspapieren
Da Termine bei Behörden ein unabsehbares Infektionsrisiko bergen, weil sich hier besonders viele Menschen in engen Wartebereichen über längere Zeit aufhalten (müssen), sind alle nicht zwangsweise notwendigen Termine zur persönlichen Vorsprache – und zwar auch solche bei Botschaften und Konsulaten – abzusagen, um Infektionsgefahren zu minimieren.

Solange die Landes- oder Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten, sind Aufenthaltsgestattungen, Aufenthaltserlaubnisse und Duldungen seitens der Ausländerbehörden unbürokratisch von Amts wegen zu verlängern und ihren Inhaber:innen postalisch zuzustellen.

Sämtliche öffentliche Stellen wie Jobcenter, Sozialämter, Polizei, Zoll sowie Arbeitgeberverbände, Immobilieneigentümer:innen sind darüber zu informieren, dass für in Niedersachsen wohnhafte Ausländer:innen befristete Aufenthaltstitel und Duldungen auch nach Ablauf als fortbestehend gelten, solange die Landes- oder Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten.

Die Auszahlung des menschenwürdigen Existenzminimums durch die Sozialbehörden ist sicherzustellen. Sofern Geflüchete nicht über ein Konto verfügen, auf das der Betrag überwiesen werden kann, ist die Auszahlung, soweit möglich, vor Ort in der Unterkunft zu organisieren.

6. Stopp des Erlasses negativer Entscheidungen durch BAMF und Ausländerbehörden
Da Beratungsstellen und Kanzleien nach und nach schließen und damit der Zugang zu einer effektiven Rechtsberatung nicht mehr gewährleistet ist, fordern wir für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Stopp negativer Entscheidungen. Auch den Ausländerbehörden ist zu untersagen, ablehnende Bescheide zu erlassen, solange die Landes- oder Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten.

Da im Rahmen des Familiennachzugs gebuchte Flüge und Visa verfallen, weil nicht-Europäer:innen die Einreise verboten ist, sind Visa unkompliziert und ohne erneute Überprüfung durch die deutschen Botschaften zu verlängern. Bund und Länder müssen finanzielle Unterstützungsleistungen bereit stellen, sodass die Familienangehörigen zeitnah nach einer Corona Entwarnung neue Tickets buchen und einreisen können.

7. Abschiebungen ausnahmslos aussetzen und Abschiebungshaftanstalt schließen
Soweit es trotz des eingeschränkten Luft- und grenzüberschreitenden Verkehrs überhaupt noch zu Abschiebungen kommt, sind auch diese unverzüglich einzustellen, da sie sowohl für die abzuschiebenden Geflüchteten als auch die Landes- und Bundespolizeibeamt:innen sowie das Flugpersonal ein inakzeptables Infektionsrisiko bergen. Zudem besteht die Gefahr, dass der Coronavirus in andere Länder weitergetragen wird. Deshalb sind, solange die Landes- oder Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten, sämtliche Abschiebungen auszusetzen. Der Betrieb des Abschiebungshaftgefängnisses in Langenhagen ist – weiterhin – einzustellen.

8. Ausstellung langfristiger Duldungen und Aufhebung von Sanktionen
Da Abschiebungen bis auf Weiteres nicht durchgeführt werden können, sind allen Personen, deren Abschiebung ausgesetzt ist, langfristige Duldungen zu erteilen und etwaige Sanktionen wie Arbeitsverbote und Leistungskürzungen aufzuheben. Von der Erteilung von Duldungen für „Personen mit ungeklärter Identität“ ist abzusehen. Grenzübertrittsbescheinigung und sog. Ausländerbehördliche Bescheinigung sind ebenfalls in langfristige Duldungen nach vorstehend genannter Maßgabe umzuwandeln.

9. Keine Wohnsitzauflage für Geflüchtete bei Verlust des Arbeitsplatzes oder Kurzarbeit
Sofern Asylsuchende und Geduldete ihren Lebensunterhalt (vollständig) selbst sichern können, dürfen sie innerhalb Niedersachsens umziehen, was viele von ihnen in der Vergangenheit zur Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung getan haben. Nunmehr verlieren diese Personen infolge der Corona-Pandemie vermehrt ihren Arbeitsplatz oder müssen in Kurzarbeit treten, weshalb sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr wie gefordert sichern können, sodass sie aufgrund der „wiederauflebenden Wohnsitzauflage“ ggf. verpflichtet wären, an ihrer ursprünglichen Wohnort zurückzuziehen. Um den Betroffenen den Verlust ihrer Wohnung und ihres Arbeits- oder Ausbildungsplatzes zu ersparen und das Herausreißen ganzer Familien aus ihrem Lebensumfeld (Freunde, Kita, Schule, Vereine) zu vermeiden, ist bis auf weiteres von der Neuverfügung von Wohnsitzauflage abzusehen.

Für Rückfragen
Kai Weber: 0178 1732569, kw@nds-fluerat.org

Newsticker Coronavirus bei Pro Asyl

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