Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat dem niedersächsischen Innenministerium und dem Landkreis Peine die Abschiebung einer schwerkranken Frau nach Russland in letzter Minute untersagt – der Flüchtlingsrat berichtete. Laut NDR meint das Innenministerium nun, dass die Ausländerbehörde keine Möglichkeit hatte, die Atteste vorab zu prüfen, da die Betroffene bzw. ihre Unterstützer es unterlassen hätten, die Attest der Ausländerbehörde unverzüglich vorzulegen. Der Flüchtlingsrat widerspricht dieser Darstellung entschieden.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen stellt fest:
1. Bereits am Freitag, den 24.09.2021, um ca. 15:40 Uhr, wurde das Innenministerium per Mail durch den Flüchtlingsrat über die Reiseunfähigkeit der Frau informiert. Da dem Flüchtlingsrat das Attest der Ärztin der Abschiebungshaftanstalt zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlag, regten wir beim Innenministerium an, das Attest unmittelbar von der Justizvollzugsanstalt anzufordern. Dies erfolgte jedoch nicht.
2. Am Montag, den 27.09.21, um ca. 09:30 Uhr sendete der Flüchtlingsrat das Attest der Ärztin der Abschiebungshaftanstalt an das Innenministerium. Ebenfalls am Montag, den 27.09., um ca. 16:00 Uhr sendete der Flüchtlingsrat ein weiteres Attest der Ärztin per Mail an das Innenministerium. Etwa eine Stunde später teilte das Innenministerium mit, dass das Handeln des Landkreises Peine rechtlich nicht zu beanstanden sei.
3. Noch am Morgen des 28.09.21, dem Tag der geplanten Abschiebung, teilte der Landkreis gegenüber dem Verwaltungsgericht Braunschweig mit, dass eine Aussetzung der Abschiebung „nicht in Betracht“ komme.
4. Das Innenministerium verhält sich widersprüchlich: Laut regionalheute.de hat es am 30.09.21 – d.h. nach Erhalt der Atteste – erklärt, gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Braunschweig eine Beschwerde einlegen zu wollen. Nunmehr meint es, dass an der Abschiebung festgehalten worden sei, weil die Atteste nicht (rechtzeitig) vorgelegen hätten.
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen
„Es ist unfassbar, dass das Innenministerium und der Landkreis die Verantwortung für ihr Fehlverhalten und ihre Fehlentscheidung auf Frau Z. und den Flüchtlingsrat abwälzen wollen. Nachdem wir erfahren haben, dass Frau Z. schwer erkrankt und reiseunfähig ist, haben wir das Innenministerium unverzüglich darüber informiert. Doch anstatt sich auch nur im Ansatz mit dem Gesundheitszustand von Frau Z. zu befassen, haben die Behörden lieber alles daran gesetzt, die Abschiebung durchzuführen. Dies ist insbesondere auch deshalb unangemessen, weil Frau Z. sich in Abschiebungshaft befand, weshalb sie sich weder von anderen Ärzt:innen untersuchen lassen, noch die Atteste selbst vorlegen konnte – wie sowohl das Innenministerium als auch die Ausländerbehörde wissen.“
Kontakt
Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 – 98 24 60 38
moy(at)nds-fluerat.org, nds(at)nds-fluerat.org
Hintergrund
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Abschiebungshaftpraxis: 76 Jahre rechtswidrige Inhaftierungen, Beitrag vom 26. Mai 2021
Medienberichte
Versuchte Abschiebung: Ministerium rechtfertigt Vorgehen, in: NDR vom 30. September 2021
Abschiebung einer kranken Frau gestoppt, in: taz vom 01. Oktober 2021
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