Vorgeschichte

[2004]

1995 flieht der damals 32-jährige Freddy Kisiwu aus dem bitterarmen und bürgerkriegsgeschüttelten Kongo nach Deutschland. Tshianana Nguya und zwei Söhne folgen ihm nach. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkennt Freddy Kisiwu zunächst als Flüchtling an, doch die Entscheidung wird später vom Oberverwaltungsgericht aufgehoben. Wegen der anhaltenden Bürgerkriegssituation wird die Familie jedoch zunächst geduldet. In Hameln kommt 2002 ihr drittes Kind zur Welt.

Nach dem Sturz von Mobutu und der ßbernahme der Macht durch Kabila sieht die Ausländerbehörde trotz der nach wie vor prekären Sicherheitslage im Kongo keinen Grund mehr für eine weitere Duldung und leitet im Februar 2004 die Abschiebung der Familie ein. Der Versuch scheitert: Als die Polizei in den frühen Morgenstunden überraschend vor der Tür steht, springt der 14-jährige Sohn Fabrice aus dem Fenster und läuft davon. Die anderen Familienmitglieder werden zwar festgenommen und ins Flugzeug gesetzt, doch Freddy Kisiwu bekommt Krämpfe und wird beim Zwischenstopp in Amsterdam ins Krankenhaus gebracht. Die Familie ist zerrissen, der Weiterflug verpasst – man bringt sie wieder nach Emmerthal zurück.

Aus Angst vor einer weiteren Abschiebung taucht die Familie unter. Tshiana Nguya wird erneut schwanger, findet aber keinen Arzt, der sie ohne Papiere behandeln will. Als sie sich deshalb an die Ausländerbehörde wendet, wird sie dort festgenommen. Ihr Ehemann und das älteste Kind halten sich weiterhin verborgen und sind bis heute flüchtig.

Tshianana verbringt zwei Monate in Langenhagen in Abschiebehaft. Obwohl sie in der 17. Woche schwanger ist, attestiert die Justizvollzugsanstalt Hannover, dass gegen die Abschiebung keine medizinischen Bedenken bestünden. Josephat und Priscilla werden in dieser Zeit bei einer Pflegefamilie untergebracht, die sich vergeblich darum bemüht, wenigstens die Abschiebung der Kinder noch zu verhindern. So kommt es, dass Tshianana am 25. August alleine mit Josephat und Priscilla abgeschoben und in Kinshasa ausgesetzt wird.

Im Kongo wird Tshianana von den deutschen Behörden an die kongolesische Einwanderungsbehörde übergeben. Ab diesem Zeitpunkt ist die Spur der drei nicht mehr sicher nachzuvollziehen: Nach Aussagen des Pastors, der sich später um die Kinder kümmert, wird Tshianana nach ihrer Ankunft inhaftiert und geschlagen, da sie in dem von Korruption geprägten Land nicht genügend Geld hat, um sich freizukaufen. Belege für eine Inhaftierung lassen sich jedoch nicht mehr finden. Wahrscheinlich ist, dass die schwangere und mittellose Frau in den Ghettos von Kinshasa zu überleben versucht und aufgrund mangelhafter Ernährung, verseuchten Wassers und unzureichender medizinischer Betreuung krank wird. Am 7. Dezember sterben Tshianana und ihr Neugeborenes in einem Krankenhaus in Kinshasa an einer unzureichend behandelten Sepsis.

Josephat und Priscilla bleiben bei dem Pastor, bei dem Tshianana kurz vor ihrem Tod Zuflucht gefunden hat. Priscilla ist zwei, Josephat zwölf Jahre alt, in einem fremden Umfeld, bei einer weiteren fremden Familie – ein knappes Dutzend Leute nun insgesamt in einer winzigen Behausung. Hier überleben die Kinder in den nächsten 18 Monaten. Sie haben alles verloren, ihre Eltern, ihre Heimat und ihre seelische Unversehrtheit. Auch ihre Gesundheit ist in Gefahr – gegen Malaria ist Josephat nur teilweise immun, Priscilla gar nicht. Ein Gesundheitssystem gibt es in Kinshasa nicht, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Die Kinder gehen nicht zur Schule und haben im Kongo keine Zukunftsperspektive.Nach der Veröffentlichung des Falls im Frühjahr 2006 beharren die Hamelner Ausländerbehörde und das niedersächsische Innenministerium darauf, korrekt gehandelt zu haben. Deutsche Staatsbürger werden zwar mit Hinweis auf Gefahren für Leib und Leben vor Reisen in das desolate Land gewarnt, aber Flüchtlinge werden sehenden Auges ins Verderben geschickt – auch Schwangere ohne Ehemann und Kinder ohne Vater. Auch der niedersächsische Landtag zeigt sich nicht gerade besorgt um das Schicksal ausreisepflichtiger kongolesischer Staatsangehöriger. Die Debatte über einen parlamentarischen Antrag der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die sich für einen Abschiebestopp einsetzt, wird vom Innenausschuss vertagt, ein Abschiebungsstopp von der Landesregierung schließlich abgelehnt.

Immerhin bittet das niedersächsische Innenministerium das Auswärtige Amt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Mai 2006, den Fall der Familie und die Lageeinschätzung für den Kongo zu überprüfen. Das niedersächsische Innenministerium will von den zuständigen Bundesbehörden wissen, ob der Tod dem Verhalten der Behörden im Kongo zuzurechnen ist und deshalb das Bestehen eines Abschiebehindernisses nach dem Aufenthaltsgesetz für „ausreisepflichtige kongolesische Staatsangehörige“ zu konstatieren sei. Die äußerst oberflächliche „Untersuchung“ des Auswärtigen Amtes gerät jedoch zur Farce: Ohne mit den beiden Kindern Josephat und Priscilla überhaupt gesprochen zu haben, kommt die Bundesbehörde zu dem Ergebnis, dass weder eine Inhaftierung noch der Tod von Tshianana bestätigt werden könnte. Nicht einmal das Grab von Tshianana hat das Auswärtige Amt vor Ort finden können. Obwohl der Flüchtlingsrat Niedersachsen Fotos und einen Film von der Toten und der Beerdigungszeremonie vorlegen kann, lautet die amtliche Version, der Tod von Tshianana Nguya sei „nicht erwiesen“.

Erst als der WDR sich des Falls annimmt und kurz vor Weihnachten 2006 in „Monitor“ einen Beitrag über die Familie ausstrahlt, kommt wieder Bewegung in die Sache: Den Journalisten ist es – im Gegensatz zum Auswärtigen Amt – ohne Mühe gelungen, das Grab der Toten ausfindig zu machen und mit den Kindern zu sprechen, die einen verstörten und verzweifelten Eindruck hinterlassen. Der Beitrag von „Monitor“ löst ein überwältigendes Echo aus: Hunderte von Zuschauern wenden sich telefonisch und schriftlich an den Flüchtlingsrat Niedersachsen und drücken ihr Entsetzen aus, viele bieten ihre Hilfe an. Ein Unterstützerkreis gründet sich, der gemeinsam mit der engagierten Anwältin Emmi Gleim-Msemo und der Schwester der Verstorbenen aus Berlin ein gemeinsames Ziel formuliert: Die Kinder müssen wieder nach Deutschland zurückkehren können.

In der Folgezeit bemüht sich der Unterstützerkreis auf allen Ebenen, dieses Ziel zu erreichen: Eine Spendenkampagne zur Organisation der Rückkehr der Kinder wird ins Leben gerufen. Der Pastor erhält finanzielle Unterstützung, und es gelingt, mit den Kindern direkt Kontakt aufzunehmen, die sich sehr wünschen, wieder nach Deutschland zurückkehren zu können. Die bereits im Jahr 2004 gestellte Petition für die Familie wird zwar erwartungsgemäß abgelehnt. Weil aber das Elend made in Germany in diesem Fall gar zu offensichtlich ist, setzt sich der niedersächsische Landtag für eine „wohlwollende Prüfung der Visumsbeantragung“ für die Kinder ein. Viele Unterstützer/innen schreiben Briefe an verantwortliche Politiker/innen und fordern sie zur Stellungnahme auf. Einige erklären sogar ihre Bereitschaft, die Kinder bei sich aufzunehmen. Da die Schwester der Toten bereit ist, als nächste Angehörige die Kinder bei sich aufzunehmen, scheint eine Adoption durch Dritte nicht sinnvoll. Nachdem ein Unternehmer in Berlin sich schriftlich bereit erklärt, für alle erforderlichen Lebenshaltungskosten einschließlich der medizinischen Versorgung der Kinder zu bürgen, erteilt die Ausländerbehörde in Berlin ihre Zustimmung zur Visumserteilung (sog. Vorabzustimmung). In mühsamer Kleinarbeit werden die Abstammungsurkunden und sonstigen erforderlichen Papiere beschafft.

Kontaktpersonen im Kongo bereiten die ßbertragung der Vormundschaft für die Kinder auf die Tante der Kinder vor. Im Mai 2007 fliegt diese schließlich in den Kongo, um die Kinder zu holen. Nach endlosen Behördengängen und der ßberwindung vieler bürokratischer Hemmnissen gelingt es ihr, Pässe für die Kinder und das begehrte Visum von der deutschen Botschaft zu erhalten. Ende Mai kehren die Kinder mit ihrer Tante nach Deutschland zurück.

Wir haben mit der Zurückholung der Kinder fast Unmögliches erreicht. Die eigentliche schwere Aufgabe, nämlich die Kinder zu betreuen und zu erziehen, hat aber die Tante der Kinder übernommen. Ihnen geht es den Umständen entsprechend gut, sie fühlen sich augenscheinlich wohl in ihrer neuen Umgebung. Insbesondere Josephat ist jedoch anzumerken, dass die Entbehrungen und Traumata der vergangenen Jahre nicht spurlos an ihm vorübergegangen sind. Wir sollten die Kinder nicht im Stich lassen.

Rechtsanwältin Gleim-Msemo hat ein Treuhandkonto für die Kinder eingerichtet. Hier die Kontodaten:
Emmi Gleim-Msemo
Berliner Bank, Konto-Nr. 8108837031, Bankleitzahl 10020000
Sonderbezeichnung: Josephat u. Priscilla

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