Kommentar zum neuen Rückführungserlass

Die niedersächsiche Landesregierung hat ihren sog. Rückführungserlass neu gefasst. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat die Änderungen im Rahmen der Verbandsanhörung kommentiert und verschiedene Änderungsvorschläge gemacht, die jedoch leider allesamt kein Gehör gefunden haben. Andere Regelungen des Erlasses, die wir in der Vergangenheit bereits kritisiert haben, wurden bedauerlicherweise ebenfalls nicht überarbeitet und bestehen fort. In der vorliegenden Form gewährleistet der neue Rückführungserlass nicht das selbstgesetzte Ziel, die Ausländer- und Flüchtlingspolitik der niedersächsischen Landesregierung nach „humanitären Grundsätzen“ zu gestalten und „die mit der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht verbundenen Belastungen so gering wie möglich“ zu halten.

I. Für besonders kritikwürdig halten wir:

1. dass in der Endfassung des erneuerten Erlasses – im Gegensatz zur Entwurfsfassung – die Ereignismatrix „Überstellungsproblem bei Vollzug und Vorgehen“ des BAMF nicht mehr erwähnt wird. In dieser Ereignismatrix sollten Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, wie bei Überstellungen nach der Dublin-III-Verordnung mit unvorhergesehenen Ereignissen – etwa einer Erkrankung der Betroffenen – umzugehen ist.

Wir hatten gefordert, die „Ereignismatrix“ dem Erlass als Anlage beizufügen, zum einen, weil diese im Erlassentwurf explizit benannt wurde und zum anderen, um das behördliche Handeln im Zusammenhang mit der Black-Box-Abschiebung transparent zu gestalten.

2. dass die Ausländerbehörden nicht explizit verpfichtet werden, proaktiv und wohlwollend im Sinne der Betroffenen zu prüfen, ob eine Bleiberechtsregelungen greift, bevor sie Abschiebungen einleiten oder vollziehen.

Das Ziel aller Politik in Land und Kommune muss es unserer Auffassung nach sein, Abschiebungen möglichstt zu vermeiden und verlässliche Aufenthaltsperspektiven zu schaffen.

3. dass den Betroffenen frühzeitig und unabhängig von der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht eine Rückkehrberatung unterbreitet werden soll, da diese Regelung gegen die sog. Rückführungsrichtlinie verstößt. Denn Grundlage bzw. Voraussetzung für eine Beratung und einen Beistand im Rückkehrverfahren nach der Rückführungsrichtlinie ist eine (schriftliche) Rückkehrentscheidung. Die Mechanismen einer „geordneten“ Rückkehr greifen folglich erst nach Eintritt der Ausreisepflicht und nicht schon während des  laufenden Asylverfahrens.

Zudem sollte das Land Niedersachsen nicht auf Angebote setzen, die den Betroffenen suggerieren, keine Bleibeperspektive zu haben bzw. nicht erwünscht zu sein. Vielmehr sollte es Angebote schaffen, um die Betroffenen möglichst ab dem ersten Tag ihrer Ankunft in Niedersachsen gleichberechtigt ins gesellschaftliche Leben einzubeziehen.

4. dass die Ausländerbehörden nicht verpflichtet werden, zu dokumentieren ob und ggfs. wie ein besonderer Betreuungsaufwand vor, während und nach der Abschiebung geprüft wurde bzw. welche Maßnahmen ergriffen wurden, um diesen besonderen Betreuungsaufwand zu decken.

Unsere Erfahrung zeigt, dass diese Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Versorgung im Heimatland, von den allermeisten Ausländerbehörden kaum berücksichtigt werden.

5. dass erwachsene Einzelperson maximal 50 € bzw. Familien höchstens 150 € „Handgeld“ erhalten sollen, wenn sie abgeschoben werden, und dass Personen im Dublin-Verfahren ausnahmslos kein Handgeld bekommen sollen. Sowohl die pauschale Festlegung von Höchstbeträgen als auch die grundsätzliche Ausnahme von Überstellungen nach der Dublin-III-Verordnung ist nicht nachvollziehbar und unsachgemäß – jedenfalls sofern tatsächlich höhere Kosten entstehen.

Die Regelung sollte unserer Ansicht nach vielmehr Mindestbeträge vorsehen und sich im Übrigen am tatsächlichen Bedarf der Betroffenen orientieren.

6. dass weiterhin unklar bleibt, wann „tatsächliche Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vorliegen“, die eine Amtsermittlungspflicht unter Hinzuziehung einer (Fach)Ärzt:in auslösen.

Dies ist unserer Meinung nach vor allem deshalb erforderlich, da insbesondere die Reisefähigkeit schwer erkrankter Personen oftmals täglichen Schwankungen unterliegt.

7. dass die Regelungen zum Betreten und Durchsuchen von Wohnungen mit der Rechtslage und Rechtsprechung nicht vereinbar sind. Regelmäßig stellt das Betreten einer Wohnung durch Behördenmitarbeiter, um dort Personen zum Zwecke der Abschiebung aufzufinden und zu ergreifen, zugleich eine Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG dar, für die es grundsätzlich eines gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses bedarf (siehe zuletzt OVG Hamburg, Urteil vom 18. August 2020, Az.: 4 Bf 160/19, m.w.N.).

Gefahr im Verzug, die ein Öffnen und Betreten von Wohnraum auch ohne Gerichtsbeschluss rechtfertigen kann, ist bei Abschiebungen in aller Regel nicht gegeben, da diese regelmäßig mit einem Vorlauf von mehreren Wochen geplant werden, weshalb die Behörde in aller Regel vorab einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss einholen kann und muss (OVG Hamburg aaO). Da diese Wertung unmittelbar aus Art. 13 GG folgt, schlägt sie auf die §§ 24, 25 NPoG sowie § 58 Abs. 4 bis 10 AufenthG durch, weshalb diese Vorschriften im Wege der verfassungskonformen Auslegung teleologisch zu reduzieren sind.

Unsere Forderung – entsprechend dieser Rechtslage – ist es, klarzustellen, dass die Ausländerbehörden stets verpflichtet sind, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss einzuholen, sofern sie damit rechnen oder rechnen müssen, die Wohnung der Betroffenen zu betreten. Diese Forderung wurde nicht umgesetzt.

8. dass der Erlass weiterhin an dem Konstrukt der „Bescheinigung über die Einleitung der Abschiebung“ festhält, obwohl weder das Aufenthaltsgesetz solch eine Bescheinigung kennt, noch dem Land die Befugnis verleiht, eine derartige Bescheinigung einzuführen.

9. dass der Erlass – im Gegensatz zu seiner vorherigen Ausgestaltung – die Ausländerbehörden nicht ausdrücklich dazu anhält, zu prüfen, ob die Anordnung der Abschiebungshaft durch mildere Mittel wie bspw. Meldeauflagen, Sicherheitsleistungen oder räumliche Beschränkungen abgewendet bzw. eine angeordnete Haft unter Auflagen nach § 424 FamFG außer Vollzug gesetzt werden kann.

10. dass für Abschiebungshaftverfahren, bei denen das BAMF der Ausländerbehörde keinen Zustellnachweis über die Ablehnung des Asylantrages übermittelt, aber mitteilt, dass eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist, diese Mitteilung ebenso ausreichend sein soll wie die Tatsache, dass gegen den Bescheid des BAMF Klage erhoben wurde. Dies ist rechtswidrig, denn das Gesetz definiert im (Nds.) VwZG und im AsylG abschließend, wie Zustellungen zu bewirken sind bzw. unter welchen Umständen sie als bewirkt gelten.

Sofern sich die Ausreisepflicht des Betroffenen aus einem Bescheid ergibt, muss dieser im Haftantrag ausdrücklich benannt und zudem dargelegt werden, aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion ausgegangen wird (BGH, Beschl. v. 23 Juni 2020, Az.: XIII ZB 87/18). Die Mitteilung des BAMF an die Ausländerbehörde „dass eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist“, reicht demgemäß nicht aus, um die Zustellung des Bescheides nachzuweisen, da eine derartige Mitteilung eine Zustellung gerade nicht nachweist, sondern bloß behauptet.

Dementsprechend hatten wir gefordert, die Regelung schlicht zu streichen, um der Gesetzeslage gebührend Rechnung zu tragen.

11. dass unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehende Elternteile im Ausnahmefall in Abschiebungshaft genommen werden dürfen.

Unser Auffassung nach ist ein Gefängnis kein geeigneter Ort für diese Personengruppen. Gleiches gilt für lebensältere oder erkrankte Menschen bzw. solche, die körperlich oder geistig behindert werden.

12. dass die Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht während des Abschiebungshaftvollzugs für Personen, die schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt oder eine Traumatisierung erlitten haben gestrichen wurde.

Damit verstößt die Landesregierung gegen europäisches Recht. Denn die Verpflichtung, den besonderen Bedürfnissen dieser besonders schutzbedürftigen Personengruppen ausreichend Rechnung zu tragen, ergibt sich sowohl aus der Rückführungs- als auch aus der Aufnahmerichtlinie.

II. Positiv bewerten wir,

1. dass nunmehr auch in Niedersachsen – wie in allen anderen Bundesländern – ausschließlich die Landesaufnahmebehörde als Teil der Ausländer:innenverwaltung und nicht mehr das Landeskriminalamt als Teil der Strafverfolgungsbehörden mit der Vorbereitung von Abschiebungen betraut ist.

2. dass der Erlass nicht mehr zwischen der Sommer- oder Winterzeit differenziert und Abschiebungen nunmehr grundsätzlich so zu terminieren sind, dass der Abholungstermin nach 06:00 Uhr morgens festgelegt werden kann.

3. dass die Angaben zu Haftanträgen in Abschiebungshaftverfahren konkretisiert wurden.

 

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