Kommentar zum neuen „Rückführungserlass“

Die Landesregierung hat mit Datum vom 24.08.2016 ihren Rückführungserlass vom 23.09.2014 überarbeitet, siehe:

Erlass zur Organisation und Durchführung des Rückführungs- und Rücküberstellungsvollzugs (Abschiebung) und zur Beantragung von Abschiebungshaft (Rückführungserlass) Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 24.08.2016 2016 – Az. 15 – 12231.3 VORIS 26100 mit den Anlagen 1 und Anlage 2

Insgesamt ist festzustellen, dass die Neuauflage des Erlasses aus Perspektive der Betroffenen bis auf wenige positive Neuerungen vor allem Verschlechterungen mit sich bringt. Er beschränkt sich nicht auf eine Anpassung des Erlasses an die neue Gesetzeslage, sondern enthält auch erhebliche Verschärfungen, die im eklatanten Widerspruch zu der erklärten Absicht der Landesregierung stehen, einen Paradigmenwechsel und eine Willkommenspolitik in Niedersachsen umzusetzen.

Vorweg sei angemerkt, dass es grundsätzlich zu begrüßen ist, dass sich die Landesregierung weiterhin einer „humanitären Ausrichtung“ in der „Ausländer- und Flüchtlingspolitik“ verpflichtet fühlt, und dass dies auch in einer weniger rigorosen und die Belange der Flüchtlinge mehr berücksichtigenden Durchführung von Abschiebungen seinen Niederschlag finden soll. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sehen wir aber im nunmehr vorliegenden Erlass einige Punkte als zu wenig zielführend an. Andere Punkte wiederum verhindern eine solche humane Politik gänzlich.

Positiv zu bewerten ist der Grundsatz, dass die Ausländerbehörde auch bei „Dublin“ Rückführungen inlandsbezogene Krankheiten prüfen muss. Das Land macht sich jedoch nicht die Position des VG Münster zu eigen, das der Ausländerbehörde auch bei einem bestandskräftigen Überstellungsbescheid eine (Mit)Verantwortung für die Frage zuweist, ob bei einer Überstellung die Gefahr einer unenschlichen oder erniedrigenden Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht,

vgl. 2L 1277/16 A. 23.08.2016

Weiterhin positiv ist die Möglichkeit der Ermessensduldung für die Beendigung des Schulbesuchs.

Auch begrüßen wir das ausdrückliche Festhalten an der Vorschrift, dass Familien bei Abschiebung nicht getrennt werden dürfen: Wenn nicht alle bei einer unangekündigten Abschiebung anwesend sind, dann muss Art. 6 GG greifen, und die Abschiebung darf nicht vollzogen werden.

Schließlich begrüßen wir, dass unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehende Elternteile mit schulpflichtigen Kindern weiterhin grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft zu nehmen sind.

Für besonders kritikwürdig halten wir:

  • Eine vom Flüchtlingsrat gewünschte Transparenz der Abschiebevorgänge wird durch den Erlass nicht geschaffen. Die Dokumentationspflicht geht nicht klar aus dem Erlass hervor.
  • Es wird weiterhin an einer Beteiligung der LABNI festgehalten bei Botschaftsvorführungen. Die einheitliche Kritik dazu aus den Verbänden wurde hierzu nicht aufgenommen oder umgesetzt.
  • Laut Erlass übernimmt das LKA auch weiterhin die Abschiebungsvorbereitung. In allen anderen Bundesländern organisiert dies die zuständige Landesaufnahmebehörde.
  • Das Betretungsrecht der Wohnung bei Abschiebung ausgeweitet. Diese Neubewertung widerspricht eklatant und diametral nicht nur der Rechtsauffassung des Flüchtlingsrates, sondern auch der Rechtsauffassung des MI zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Ersterlasses am 23.9.2014: Dort wurde ausdrücklich und zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Betretungsrecht nach §24 Abs. 5 Nds. SOG im Regelfall bei Abschiebungen nicht gegeben ist. Der bloße Ablauf eines Aufenthaltsrechts oder einer Duldung von Personen, die zwar ausreisepflichtig sind, deren Aufenthaltsort den Behörden aber bekannt ist, als „erhebliche Gefahr“ im Sinne der Legaldefinition in §2 Nr. 1 Buchstabe c) Nds. SOG zu werten, ist abenteuerlich und wäre ein Freibrief, in jedem Fall in eine Wohnung eindringen zu dürfen.
  • Abschiebungshaftgefangene werden weiterhin nicht regelmäßig auf ihre Haftfähigkeit überprüft.

Für unerträglich halten wir die in der Vergangenheit in Einzelfällen festgestellte Praxis, mit einem Nachschlüssel in eine Unterkunft einzudringen und die Bewohner*innen in Panik zu versetzen, weil sie von nichts wissen und einen Überfall vermuten, zumal Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden dürfen. Wir hätten uns gewünscht, dass das Innenministerium klar vorschreibt, dass die Polizei zur Nachtzeit nicht gewaltsam in Unterkünfte von Flüchtlingen eindringen darf. Die Humanität gebietet es zudem, vorab alle Möglichkeiten auszuschöpfen, wie etwa das klingeln an der Tür, bevor man eintritt.

Immerhin sichert der Erlass Flüchtlingen nach wie vor ein Minimum an Rechten. Es ist erschreckend, dass sich manche Ausländerbehörden durch die von Rechtspopulisten produzierte Stimmung gegen Flüchtlinge animiert fühlen, keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen, siehe hierzu:

Abschiebung einer 15-jährigen Auszubildenden im Landkreis Wesermarsch
Gericht stoppt Abschiebung in letzter Minute

In beiden Fällen hätte eine konsequente Anwendung des Erlasses eine Rückführung nicht möglich gemacht.

Claire Deery, Vorsitzende

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