Drei Monate nach der ruppigen Abschiebung der Familie I. ist eine Versorgung des am 22.01.2019 in Deutschland geborenen, schwerkranken Kindes Abdullah in Georgien noch immer nicht gewährleistet. Das Kleinkind ist ohne Hirnanhangdrüse geboren und Zeit seines Lebens auf Medikamente angewiesen, die nach Aussagen der Behörden in Georgien angeblich zur Verfügung stehen sollten. Tatsächlich jedoch hat die Familie noch nicht eines der lebenswichtigen Medikamente von den georgischen Behörden erhalten. Wir sind in großer Sorge um den Jungen, der aufgrund der fehlenden Medikamente inzwischen Fehlentwicklungen aufweist.
Die georgischen Behörden erklärten zunächst einmal die Vorlage einer in Deutschland ausgestellten Geburtsurkunde mit Apostille zur Voraussetzung für eine Behandlung des Kindes und verweigerten bis dahin eine Behandlung und Versorgung mit Medikamenten. Erst als diese Unterlagen – zehn Wochen nach erfolgter Abschiebung – vollständig vorlagen, konnte das Kind erstmals einer Endokrinologin des „Geman Hospital“ in Tiflis vorgestellt werden. Die Ärztin teilte der verzweifelten Familie mit, dass das lebensnotwendige Medikament „Hydrocortison“ in Georgien nicht in der notwendigen Dosierung vorhanden und daher weder eine Beschaffung noch eine Finanzierung des Medikaments möglich sei. Lediglich die – für die Entwicklung des Kindes ebenfalls unerlässlichen – Wachstumshormone könnten beschafft werden.
Diese Erkenntnis ist den deutschen Behörden eigentlich nicht neu: Das ZIRF-Counselling-Formular für Individualanfragen des BAMF teilt im Rahmen einer Individualanfrage zur Frage der Beschaffbarkeit von Hydrocortison und weiteren Medikamenten in Georgien bereits 2016 mit:
“ Die einzige Möglichkeit, Hydrocortison-Tabletten zu erhalten, ist auf dem Schwarzmarkt, wo der Preis für 100 Tabletten 65 GEL beträgt. Sie werden aus Russland importiert, sind aber nicht jederzeit verfügbar, da das Angebot beschränkt ist. Da dieses Medikament in Georgien nicht offiziell registriert ist, kann es nicht von der Krankenversicherung erstattet werden.“
Der Fall des Kindes Abdullah I. verdeutlicht aus unserer Sicht die Probleme, die sich aus den zahlreichen gesetzlichen Verschärfungen in den letzten Jahren betreffend die Anforderungen an ärztliche Atteste im Aufenthaltsrecht ergeben. Dadurch ist es für Betroffene immer schwieriger geworden, in der knappen zur Verfügung stehenden Zeit und mit den beschränkten finanziellen Mitteln geeignete Atteste und Gutachten vorzulegen, um vorliegende zielstaats- und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse in einer Form nachzuweisen, die von den Behörden/ Gerichten akzeptiert wird. In der Folge ignorieren die Behörden viele existierende Erkrankungen, allein weil sie nicht entsprechend der (verschärften) gesetzlichen Anforderungen belegt werden können, und führen Abschiebungen durch, ohne zumindest eine Kontinuität der medizinischen Versorgung zu gewährleisten, was Betroffene in erhebliche (Lebens-)Gefahr versetzen kann, wie es hier auch der Fall ist.
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Ruppige Abschiebung einer zehnköpfigen Familie mit schwerkrankem Kleinkind aus dem Landkreis Schaumburg, Meldung vom 06. August 2020
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