Die Koalitionsbeschlüsse sind ein massiver Angriff auf das Asylrecht

In der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ findet sich unter der Überschrift „Am Ende brachte Seehofer den Durchbruch“ ein Artikel, der den Hintergrund der Gespräche zwischen SPD und CDU/CSU über das sog. „Asylpaket 2“ näher erläutert. Aufschlussreich für das Verständnis der strategischen Überlegungen der Bundesregierung sind darüber hinaus die Ausführungen des Konstanzer Ausländer- und Europarechtlers Daniel Thym, der sich offenkundig daran macht, seinen Ziehvater Kay Hailbronner zu beerben*.

Daraus wird klar:

1. Vordergründig richten sich die geplanten „Aufnahmezentren“ gegen Flüchtlinge aus Westbalkanstaaten. Die machen aber nur noch 3% aller Flüchtlinge in Deutschland aus. Der Bundesregierung geht es darum, ein Muster zu etablieren, in  das durch eine Erweiterung der Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ sukzessive weitere Flüchtlingegruppen einbezogen werden können. Seehofer hat nur vordergründig den Kampf um „Transitzonen“ verloren, er freut sich nicht zu Unrecht über „die schärfste Asylgesetzgebung, die es je gab in diesem Land“. Die „Aufnahmezentren“ entfalten v.a. auch im Kontext einer geplanten Ausweitung von Abschiebungen in Dublin-Vertragsstaaten ihren tieferen „Sinn“.

2. Die Rücknahme des erst zum 1.8.2015 in Kraft getretenen Rechts auf Familienzusammenführung auch für Flüchtlinge mit sog. subsidiärem Schutz betrifft derzeit „nur“ 1700 Flüchtlinge. Die Maßnahme zielt jedoch auch auf Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan, denen ein Schutzanspruch nach GFK zukünftig verweigert werden soll. Wenn diese Gruppen keinen Flüchtlingsschutz mehr erhalten, so das Kalkül, kann auch ein Familiennachzug untersagt werden. Der Vorstoß von Innenminister de Maiziere war eine „Kommunikationspanne“ nur insofern, als er vor dem Beschluss des Asylpakets 2 die weiteren Pläne der CDU/CSU zur Entrechtung der in Deuschland Schutz suchenden Flüchtlinge ausgeplaudert hat – und damit die SPD in zusätzliche Bedrängnis bringt.
Rechtlich stellt sich natürlich die Frage, wie denn die Verweigerung von Familiennachzug mit Art. 8 EMRK, Art. 6 GG und der Familiennachzugsrichtlinie in Einklang gebracht werden kann. Zulässig dürfte eine zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs nur dann sein, wenn ein Familienleben an einem anderen Ort möglich ist. Hier kommen insbesondere auch die Transitstaaten ins Spiel.

3. Im Fokus der Politik stehen Überlegungen, welche Handlungsspielräume das geltende Europarecht belässt, um die Verweigerung eines Schutzanspruchs auch materiellrechtlich weiter zu begründen. Dies gilt für die Abschiebung von Flüchtlingen im Rahmen der Dublin- und Drittstaatenregelung ebenso wie für den Versuch, „befriedete Zonen“ als Fluchtalternativen etwa für Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan oder Bangladesch auszurufen und das Konstrukt der „Sicherheit im Drittland“ dafür zu bemühen, Asylanträge auch von Flüchtlingen aus Syrien oder dem Irak für „unzulässig“ zu erklären, wenn sie sich längere Zeit in Serbien oder der Türkei aufgehalten haben.

Es geht beim „Asylpaket 2“ offenkundig nicht nur darum, die überwunden geglaubten Abschreckungskonzepte der 90er Jahre (Residenzpflicht, Leistungskürzungen, Sachlager, Arbeitsverbote etc.) wieder aus der Mottenkiste zu packen, sondern auch um die Einleitung und Erleichterung von Maßnahmen, die das materielle Asylrecht selbst sowie die Rechte der Flüchtlinge im Asyl einschränken werden. Das „Asylpaket 2“ ist kein „Kompromiss“, sondern ein massiver Angriff auf das Asylrecht.

Kai Weber

siehe auch: PRO ASYL  Presseerklärung PRO ASYL vom 9.11.2015

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*Thym, Daniel: Jenseits von Dublin: zulässige Rückschiebungen in die Nachbarstaaten, VerfBlog, 2015/11/01, http://www.verfassungsblog.de/jenseits-von-dublin-zulaessige-rueckschiebungen-in-die-nachbarstaaten/

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