Kirchenasyl für Dublin-Flüchtlinge?

Kirche ist kein rechtsfreier Raum. Wenn Flüchtlinge in Kirchenräumen Schutz finden, dann nicht deshalb, weil die Kirche einen Anspruch auf einen „eigenen Herrschaftsbereich“ außerhalb der bestehenden Gesetze postuliert, sondern nur deshalb, weil die Behörden freiwillig darauf verzichten, Menschen in Kirchenräumen festzunehmen und abzuführen. Dies hat auch Innenminister Boris Pistorius jüngst wieder bestätigt, siehe hier. Kirchenasyl ist, wie es in einer Arbeitshilfe heißt, „ein letzter legitimer Versuch (Ultima Ratio) einer Kirchen­gemeinde, durch zeitlich befristeten Schutz eine unmittelbar drohende Abschiebung der betreffenden Flüchtlinge abzuwenden und dadurch eine erneute, sorgfältige Überprüfung ihres Schutzbegehrens zu ermög­lichen oder mit den betroffenen Personen und Behörden eine Möglich­keit zu suchen, eine zwangsweise Abschiebung zu verhindern bzw. eine geordnete Weiterwanderung zu ermöglichen.“

Die Besonderheit des Kirchenasyls besteht darin, dass es den Betroffenen die Möglichkeit gibt, unter Angabe einer Meldeadresse Rechtsmittel einzulegen und Petitionen zu stellen, ohne dass die Betroffenen Gefahr laufen, festgenommen und abgeschoben zu werden. Für Personen, die untergetaucht sind, werden solche Eingaben wegen fehlender Meldeadresse nämlich gar nicht behandelt. Es geht dabei gerade nicht darum, die staatlichen Instanzen und das Machtmonopol des Staates in Frage zu stellen, sondern im Gegenteil darum, an die Behörden zu appellieren, einen Fall erneut zu prüfen. Dies ist etwa möglich über eine Petition an den Bundestag, der über seinen Petitionsausschuss Entscheidungen von Bundesbehörden überprüfen kann.

Die Dublin III – Verordnung besagt ja nicht, dass zwingend ohne Prüfung der inhaltlichen Asylgründe abgeschoben werden muss, sie besagt lediglich, dass unter bestimmten Umständen die Zuständigkeit auf andere Staaten übertragen werden kann. Das Dublin III-Vertragswerk kennt eben auch die Möglichkeit, dass ein Staat von seinem „Selbsteintrittsrecht“ Gebrauch macht und die Zuständigkeit für ein Asylverfahren an sich zieht, auch wenn eine Abschiebung rechtlich zulässig wäre.

Gleichwohl ist ein Kirchenasyl nicht immer sinnvoll. Geprüft werden sollte z.B., ob in Deutschland überhaupt eine realistische Chance auf eine positive Entscheidung im Asylverfahren vorliegt. Was nützt ein Kampf um ein Asylverfahren in Deutschland, wenn dieses absehbar negativ ausgehen wird?  Im Vordergrund der Beratung steht daher die Frage nach den Perspektiven und Möglichkeiten eines menschenwürdigen Lebens. Insofern kann durchaus auch eine (Vermittlung von) Unterstützung und Hilfe im Dublin III – Vertragsstaat eine sinnvollere Alternative sein, ggfs. auch im Einzelfall eine Rückkehr ins Herkunftsland.

Die Wirksamkeit eines Kirchenasyls ist unstreitig gegeben: Zum Einen ermöglicht es wie gesagt eine Überprüfung etwa im Rahmen einer Petition. Zum Anderen ergibt sich die Zuständigkeit der deutschen Behörden durch Fristablauf: Nach der Dublin III – Regelung ist Deutschland für die Durchführung eines Asylverfahrens dann zuständig, wenn die Abschiebung in den Dublin-Vertragsstaat nicht innerhalb von sechs Monaten erfolgt ist. Sofern das Kirchenasyl rechtzeitig, also vor dem geplanten Abschiebungstermin, den Ausländerbehörden mitgeteilt wird, zählt das Kirchenasyl nach Auffassung auch der Bundesregierung nicht als „Untertauchen“. Sofern ein Flüchtling zum Abschiebungstermin nicht anzutreffen ist, ohne dass den Behörden sein Aufenthaltsort rechtzeitig mitgeteilt wurde, verlängert sich die Überstellungsfrist hingegen auf 18 Monate.

Etwas anderes gilt nur bei Flüchtlingen, die bereits einen Status in einem anderen europäischen Land erhalten haben und nach Deutschland gekommen sind, weil sie in dem anderen Land, z.B. Italien, keine menschenwürdigen Lebensbedingungen vorgefunden haben. Wir beraten etliche Flüchtlinge, die in Italien anerkannt wurden und uns mitteilen, sie könnten es nicht mehr aushalten, am Bahnhof um Weißbrot betteln zu müssen. Diese mit dem etwas kryptischen Titel „Lampedusa-Flüchtlinge“ versehenen Menschen können sich nicht auf die Fristen des Dublin-Verfahrens berufen, das lediglich die Zuständigkeiten für die Durchführung des Asylverfahrens regelt.

Kai Weber

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