Innenminister Schünemann hält an Verschärfungen beim Härtefallverfahren fest

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Dem Flüchtlingsrat Niedersachsen liegt der Entwurf zur Änderung der Niedersächsischen Härtefallkommissionsverordnung als pdf. Datei  HFKneu vor. Die Neuerungen  sind in der Datei Neuerungen HFK 2011 zusammengefasst.

Nachtrag: In seiner gestrigen Presseerklärung hat der Innenminister die geplanten Verschärfungen teilweise bestätigt bzw. modifiziert: U.a. soll eine Mindestaufenthaltszeit von drei Jahren festgelegt werden, vor deren Ablauf  ein Antrag an die Härtefallkommission nicht zugelassen werden soll. Auch an dem Vorhaben, eine Verurteilung zu mehr als drei Monaten  Jugendstrafe als zusätzlichen Ausschlussgrund in die Verordnung aufzunehmen, hält die Landesregierung fest. Insofern ist die Überschrift der Presseerklärung des MI irreführend: Eine weitere Verschärfung ist hinsichtlich der genannten Punkte durchaus geplant. Geringfügige „Erleichterungen“ gibt es bei der Herausnahme fahrlässig begangener Straftaten aus dem Katalog der Ausschlussgründe sowie bei dem – erstmals verkündeten – Vorhaben, eine „Belehrungspflicht der Ausländerbehörden“ in die Verordnung aufzunehmen. Weiterhin soll Kirchenasyl jedoch als eine Handlung gewertet werden, mit der sich ein Flüchtling einer Abschiebung entzieht und damit einen Ausschlussgrund erfüllt. Die Regeln würden damit nicht verschärft, so Schünemann, sondern „der derzeitigen Praxis angepasst“. In der Tat wurden bereits in der Vergangenheit Flüchtlinge von einer Beratung in der Härtefallkommission ausgeschlossen, die in einer Kirche Schutz vor einer Abschiebung gesucht hatten (siehe hier). Genau dies ist von den Mitgliedern der Härtefallkommission ja scharf kritisiert worden. Eine Erleichterung ist der vorliegende Entwurf also wahrlich nicht, sondern eine Bekräftigung und Festschreibung der bisherigen restriktiven Praxis.

Nach Auffassung des Flüchtlingsrats ist die ganze kleinteilige Debatte um formale Ausschlussgründe absurd: Zulässig erscheint uns lediglich der Ausschluss von Personen, die nicht in Niedersachsen gemeldet sind. Alle anderen formalen Ausschlussgründe sind unsinnig und sollten komplett gestrichen werden. Die Härtefallkommission hat die Aufgabe, atypische Einzelfälle zu bewerten, da macht es keinen Sinn, wenn im Vorfeld einer Befassung der Kommission mit dem Einzelfall die gesetzlichen Ausschlussgründe auch eine Beratung in der Härtefallkommission verunmöglichen sollen.

Kein Wort verliert der Innenminister im Übrigen zu der Forderung, endlich auch eine/n Vertreter/in einer Flüchtlingsorganisation als ordentliches Mitglied in die Härtefallkommission zu berufen.

In der Sendung „Blickpunk: Diesseits“ auf NDR Info hat die Journalistin Brigitte Lehnhoff sich am Sonntag, 20.11.2011  kritisch mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Kirchen in der Härtefallkommission bleiben sollten oder nicht. Ihr eindeutiges Fazit: Die Kirchen sollten besser aus der Mitarbeit der Kommission aussteigen. Das Manuskript ist hier nachzulesen, Podcast siehe hier.

Eine Kommentierung der Politik der Landesregierung findet sich im Leitartikel der HAZ vom 19.11.2011 auf Seite 1, der nachfolgend dokumentiert ist:

Lebenslügen
von Michael B. Berger

Das ist schon kurios: Da sitzt jetzt die vierköpfige Familie Nguyen in der 6,6 Millionen Einwohner zählenden Metropole Hanoi und setzt alle Hoffnung auf Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann. Der Christdemokrat hat versprochen, die Nguyens wieder aus Asien herauszuholen nachdem deutsche Behörden jahrelang nichts unversucht gelassen haben, die Nguyens aus dem 3800-Einwohner-Städtchen Hoya zu vertreiben, weil sie 1992 mit falschen Passpapieren nach Deutschland geschleust worden sind. Doch die fleißigen Vietnamesen sind der Bevölkerung in der Grafschaft so sehr ans Herz gewachsen, dass Schünemann, eigentlich ein bekennender Hardliner, sich ein Herz fasste oder: fassen musste. Gottlob ist der Innenminister nicht die letzte Instanz in der Landespolitik.
Tauziehen zwischen Amt und Migrant Der Fall der Nguyens, der diese Woche mit der geplanten Rückholaktion eine spektakuläre Wende nahm, zeigt: Die Bevölkerung ist, zumindest in sehr großen Teilen, viel weltoffener, als Politiker es von ihr vermuten. Und: Auch in scheinbar hoffnungslosen Lagen kann es so etwas geben wie Gnade vor Recht. Wenn man nur genug Unterstützer hat.
Bevor Schünemann gnädig wurde, gab er ganz andere Töne von sich. Noch vor zwei Monaten, der Landtag debattierte gerade die Abschiebepolitik, zog Schünemann kräftig über „Parteien, Kirchen, Sozialverbände“ und, ganz schlimm, die Medien her. Weil sie die „gesetzliche Verpflichtung zur zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung“ als inhumanen Akt darstellten. Das Verhalten der Ausländerinnen und Ausländer, die mit falschen Pässen eingereist und sich der Ausreise widersetzt hätten, bleibe hingegen in der öffentlichen Diskussion ausgeblendet, beklagte Schünemann mit dem Gestus der verfolgten Unschuld.
Warum Abschiebungen von mehr oder minder gut integrierten Ausländerfamilien bei vielen Mitmenschen auf Protest stoßen, reflektierte der Minister indes nicht. Es wird wohl daran liegen, dass Menschen ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn bei friedlichen vietnamesischen Nachbarn frühmorgens die Polizei anrückt, um sie außer Landes zu schaffen. Die Leute stellen sich die Frage: Was wiegt mehr – 19 Jahre unbescholtenes Leben in Deutschland oder die Durchsetzung des Passrechts? Abschiebungen im Morgengrauen, mögen Ämter sie beschlossen, Gerichte sie gebilligt haben, erscheinen jedenfalls nicht „human“, auch wenn sich Polizisten bemühen, dabei zivilisiert zu bleiben.
Mit Juristen in Ausländerämtern sollte man Diskussionen um Humanität nicht führen. Sie pochen aufs Recht und führen es aus. Sich selbst sehen sie oft verunglimpft, wenn gegen Abschiebungen protestiert wird. Oft haben sich so im Laufe der Jahre zynische Wettbewerbe zwischen abgelehnten Asylbewerbern und den Fachleuten in der Ausländerpolitik entwickelt. Mal sehen: Wer ist denn nun der Stärkere – das Amt oder die öffentliche Meinung? Nur in seltenen Fällen obsiegt der Migrant. Dass meist das Amt am längeren Hebel sitzt, hängt mit einer an sich schon rigiden Gesetzgebung zusammen. Sie stammt noch aus Zeiten, in denen Überalterung und Fachkräftemangel Fremdworte waren, dafür aber das Gefühl grassierte, dass das Boot voll sei. Und es hängt mit der Lebenslüge deutscher Asylgesetzgebung zusammen, die voraussetzt, dass Flüchtlinge nur aus politischen Gründen zu uns kommen dürfen. Die Sorge ums wirtschaftliche Überleben eine Sorge, die jede Mutter, jeder Vater verstehen kann zählt nicht.
Reaktion auf Fälle oder auf Medien?
So müsste der absurde Fall der Nguyens eigentlich eine breite politische Debatte über Deutschland als Einwanderungsland auslösen. Oder will man allen Ernstes an einer angeblich unübersteigbaren Rechtssystematik festhalten, die in einem solchen Fall den Abtransport über Tausende Kilometer zur Voraussetzung einer legalen Rückkehr macht? In Niedersachsen ist eine Debatte über die Härtefallkommission nötig, die es kurz vor der Abschiebung der Vietnamesen ablehnte, den Fall noch einmal zu behandeln. Hier hätte Schünemann persönlich die Abschiebung verhindern können.Niedersachsen könnte grundsätzlich, gemessen an der Bevölkerung, im bundesweiten Vergleich großzügiger sein. Die Frage bleibt, warum der Minister wie im Fall des geschassten hannoverschen Polizeipräsidenten, der im Rotlichtmilieu ein Bier trank immer erst nach großer öffentlicher Berichterstattung eingreift. Reagiert er auf die Fälle oder auf die Medien?
19.11.2011 / HAZ Seite 1 Ressort: POLITIK

 

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