Die Innenminister haben sich auf ihrer Konferenz vom 8./9. Dezember 2011 nicht auf eine neue Bleiberechtsregelung für geduldete Flüchtlinge einigen können. Beschlossen wurde lediglich, dass diejenigen Flüchtlinge, die im Jahr 2009 auf der Grundlage eines IMK-Beschlusses eine Probe-Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 erhalten haben und inzwischen mindestens zehn Jahre in Deutschland leben, eine Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis erhalten sollen, wenn sie sich um Arbeit bemüht haben und eine Sicherung des Lebensunterhalts aus eigener Erwerbstätigkeit zu erwarten ist. Was das in der Umsetzung bedeutet, darüber gehen die Auffassungen zwischen den Bundesländern allerdings weit auseinander:
Die restriktivste Umsetzung findet sich in Niedersachsen: Nach dem vorliegenden Ausführungserlass des niedersächsischen Innenministeriums soll es eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch für unverschuldet arbeitslos gewordene Flüchtlinge nur dann geben, wenn „in nächster Zeit eine vollständige Lebensunterhaltssicherung zu erwarten ist“. Was dies für die Praxis bedeutet, wird am Beispiel der Familie Bonesta deutlich:
Der Landkreis Wittmund will die Aufenthaltserlaubnis z.B. von Frau Bonesta nicht verlängern, die als Alleinstehende mit sechs Kindern im Rahmen regelmäßiger Saisonarbeit „nur“ 69% des Lebensunterhalts aus eigener Erwerbstätigkeit bestreitet. Nach vierjährigem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis (seit 2007) soll dieser Aufenthaltstitel ihr wieder entzogen werden. Frau Bonesta verliert durch diesen Schritt den Anspruch auf Kindergeld und Elterngeld und fällt wieder zurück in die Duldung. Es ist durchaus keine Lösung und nur ein schwacher Trost, dass Frau Bonesta im Hinblick auf den Bleiberechtsanspruch ihrer noch minderjährigen Kinder derzeit nicht abgeschoben werden darf und eine sechsmonatige Duldung erhalten soll.
Familien und Einzelpersonen, die keine Kinder im Alter zwischen 15 und 20 Jahren haben, können sich auf die bestehende gesetzliche Regelung zur Erteilung eines Aufenthaltsrechts an diese Jugendlichen nicht berufen und laufen Gefahr, nach dem Entzug der Aufenthaltserlaubnis im kommenden Jahr trotz eines jahrzehntelangen Aufenthalts in Deutschland in ihre so genannten Herkunftsländer abgeschoben zu werden. Auch ein Bemühen um Arbeit reicht nicht, wenn die Betroffenen zu arm, zu alt oder zu krank sind, um ihren Lebensunterhalt vollständig aus eigener Erwerbstätigkeit zu decken. Diese soziale Selektion nach dem Kriterium der Nützlichkeit zerreißt Familien und stürzt Menschen ins Unglück, die längst ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gefunden haben und ihr so genanntes „Heimatland“ oftmals nicht kennen. Nach Schätzungen des Flüchtlingsrats werden bis zu 1.000 Flüchtlinge davon betroffen sein. Weitere Dramen um die Abschiebung von jahrzehntelang unter uns lebenden Flüchtlingsfamilien sind damit im kommenden Jahr vorprogrammiert.
Dass es auch anders geht, macht der Ausführungserlass des Landes Rheinland-Pfalz deutlich: Dort soll die Aufenthaltserlaubnisse nach § 23, 1 AufenthG jeweils um zwei Jahre verlängert werden, sofern u. a. eine günstige Integrationsprognose gestellt werden kann und die Begünstigten sich nachweislich um die Sicherung des Lebensunterhalts durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht haben. Es gibt eine Härtefallklausel: „Sofern die Betroffenen wegen Krankheit, Behinderung, Alter, erforderlicher Kindererziehung, Pflegebedürftigkeit von Familienangehörigen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, kann die Verlängerung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zur Vermeidung von Härten auf die Bestimmung des § 25, 4 Abs.2 AufenthGes gestützt werden.“
Keine Lösung gibt es weiterhin für diejenigen geduldeten Flüchtlinge, die 2007 bzw. 2009 kein Bleiberecht erhalten haben. Rund 87.000 Geduldete gibt es bundesweit, davon lebt ein hoher Anteil (rund 12.000) in Niedersachsen. 70% aller in Niedersachsen aufhältigen, geduldeten Flüchtlinge leben bereits mehr als sechs Jahre in Deutschland. Die von den Innenministern zur Schau gestellte Verweigerung einer Problemlösung ist erschreckend und enttäuschend. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert, endlich zu handeln und eine rollierende gesetzliche Bleiberechtsregelung zu beschließen.
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