Liebe Freund*innen des Flüchtlingsrats Niedersachsen,
das Jahr 2025 neigt sich dem Ende zu, und es ist Zeit, einmal kurz innezuhalten einen Blick darauf zu werfen, wo wir als Verteidiger*innen von Flüchtlingsrechten stehen und was uns wohl im kommenden Jahr und vielleicht weit darüber hinaus erwartet.
Die Ampel-Regierung ist Geschichte, und niemand weint ihr eine Träne nach. Nach anfänglichen Erfolgen (etwa beim Chancen-Aufenthaltsrecht, bei der Liberalisierung des Einbürgerungsrechts oder beim Aufnahmeprogramm für afghanische Ortskräfte und Menschenrechtler*innen) hatte sich die Ampelregierung unter dem Druck der Rechtsextremen immer weiter nach rechts treiben lassen und am Ende unverzeihliche Zugeständnisse gemacht (Zustimmung zu GEAS, Grenzkontrollen, Ausrufung von „Abschiebungsoffensiven“, Leistungskürzungen und -streichungen etc.)
Der Roll-back setzte insofern weit vor der Regierungsübernahme der Konservativen ein, die die Bundestagswahl mit dem Versprechen gewannen, die von den Rechtsextremen geforderte „Migrationswende“ in einer Koalition mit der SPD in die Tat umzusetzen. Mit der Zurückweisung auch von Schutzsuchenden an den Grenzen, der Beendigung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten (für zunächst zwei Jahre), der Aufkündigung aller Aufnahmeprogramme und weit reichenden Gesetzesverschärfungen im Rahmen des GEAS-Anpassungsgesetzes zeigt die Bundesregierung, dass es die AFD nicht braucht, um Schutzsuchende zu diskreditieren und zu bekämpfen, ungehemmt von persönlichem Anstand und im Bruch mit dem internationalem Völkerrecht.
Sprachlich und politisch werden Asylsuchende nicht mehr als Menschen wahrgenommen, die Rechte haben und unsere Solidarität verdienen, sondern als Störenfriede und Gefährder*innen, die bereits an den Grenzen abgewiesen und ansonsten so schnell wie möglich abgeschoben werden sollen.
Ging es anfangs noch um systemimmanente Verschärfungen (Lagerunterbringung, „konsequenter“ Abschiebungsvollzug, schnellere Asylverfahren etc.), werden inzwischen Forderungen gestellt, die an die Grundfesten der europäischen Menschenrechtsordnung rühren: Bereits 2024 hat die CDU in ihr Parteiprogramm geschrieben, dass Asyl zukünftig nur noch in außereuropäischen Staaten gewährt werden soll. Die GEAS-Krisenverordnung lässt die Aussetzung des Asylrechts unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich zu. Nach dem Motto „legal-illegal-scheißegal“ werden Schutzsuchende an den deutschen und europäischen Außengrenzen schon jetzt trotz entgegenstehender Rechtsprechung abgewiesen, abgeschoben oder mitten im Winter ohne Unterstützung auf die Straße gesetzt, weil angeblich andere Staaten für sie zuständig seien.
Gemeinsam mit anderen EU-Staaten verhandelt die Bundesregierung über die Einrichtung von Abschiebungslagern in Ruanda oder Uganda. Mit einer solchen „Auslagerung unserer Asylpolitik an Drittstaaten unter dem Deckmantel des Konzepts des sicheren Drittstaats treten wir in eine neue Ära des Menschenhandels ein, in der Migranten gegen ihren Willen gegen Geld abgeschoben werden“, stellten Sozialdemokrat*innen, Grüne und Linke in einer gemeinsamen Positionierung vom 09.12.2025 treffend fest. Selbst die Europäische Menschenrechtskonvention ist nicht mehr tabu: Die Minister*innen des Europarats wollen, so heißt es, „die Auslegung des Migrationsrechts durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte neu gestalten“ (siehe Euroactiv 10.12.2025). Konservative Juristen wie Daniel Thym fordern schon lange, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuschränken: „Wir müssen die Menschenrechte weniger streng handhaben.“ (Spiegel 16.03.2025).
Längst geht es nicht mehr nur ums Asylrecht. Es geht um die Frage, ob die Grund- und Menschenrechte weiterhin der zentrale Maßstab sind, an dem sich die deutsche und die europäische Politik orientiert, oder ob diese Rechte zwecks Erweiterung der staatlichen Handlungs- und Regulationspotenz des Staates eingeschränkt bzw. geschliffen werden. „Illiberale Demokratien“ und Autokratien wie in Russland, Ungarn, Italien, den USA oder der Türkei weisen den Weg in eine Zukunft, die auch uns droht, wenn wir aufhören, die Menschenrechte zu verteidigen.
Am Umgang mit Geflüchteten zeigt sich, wie es um die Demokratie in einem Land steht. Im Interesse einer Verteidigung der Demokratie müssen wir für die Rechte der Geflüchteten einstehen. Deshalb muss der Flüchtling, „jene scheinbar marginale Gestalt, als zentrale Figur unserer politischen Geschichte erachtet werden“, als „der Mensch der Menschenrechte“ (Giorgio Agamben, Homo Sacer: Die Souveränität der Macht und das nackte Leben. Suhrkamp, 2002). Wenn selbst in einem rot-grün regierten Bundesland wie Niedersachsen Asylsuchende sachgrundlos bis zu 18 Monate in Lagern festgehalten und so am Ankommen gehindert werden, zeigt dies, dass wir uns Sorgen machen müssen.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen setzt sich gemeinsam mit Schwesternorganisationen in anderen Bundesländern, PRO ASYL und vielen anderen Verbänden und Organisationen dafür ein, dass Schutzsuchende zu ihrem Recht kommen. Wir haben unsere Kritik auf Straßen und Plätze getragen, etliche Geflüchtete vor Gericht unterstützt und mit vielfältigen Projekten dafür gesorgt, dass Geflüchtete in der Gesellschaft ankommen und teilhaben können. Wir tun das für die Menschen, die ein Anrecht auf Schutz haben, und wir tun das für uns – für den Erhalt von Freiheit und Demokratie.
Dabei wird auch für uns der finanzielle Rahmen enger, weil die politische Unterstützung zusehends bröckelt. Deshalb appellieren wir heute an eure Solidarität: Bitte überlegt, ob ihr in diesem Jahr (wieder) spenden könnt – jeder Betrag ist willkommen. Besonders freuen wir uns über fördernde oder aktive Vereinsmitglieder!
Zur Durchführung unserer Projekte brauchen wir Unterstützung, weil wir sie ohne zusätzliche Mittel nicht finanzieren können. Dies gilt umso mehr, als die Bundesregierung für den „Asyl- Migration und Integrationsfonds (AMIF)“ die Förderkriterien geändert hat mit der Folge, dass der Flüchtlingsrat nach jahrzehntelanger Förderung keine EU-Mittel mehr vom BAMF erhält.
Doch wir wollen und werden neue Möglichkeiten suchen und finden.
Allen, die uns, zum Teil schon seit vielen Jahren, finanziell und ideell unterstützen, danken wir sehr herzlich. Und alle, die es sich leisten mögen, bitten wir um eine kleine oder größere Extraspende zu Weihnachten.
Jeder Einsatz lohnt sich. Denn noch haben wir viel zu verteidigen.
Ich wünsche frohe Feiertage und grüße herzlich,
Kai Weber
PS: Spenden an den Flüchtlingsrat können von der Steuer abgesetzt werden.
Damit gewährleistet ist, dass eine Spende auch für das Jahr 2025 zählt, empfehlen wir eine sog. „Echtzeitüberweisung“ direkt auf unser Konto:
Flüchtlingsrat Niedersachsen
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Stichwort „Spende“
Konto 4030 460 700
BLZ 430 609 67
IBAN: DE28 4306 0967 4030 4607 00
BIC: GENODEM1GLS
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