Flüchtlingsrat kritisiert Wiedereröffnung eines „Ausreisezentrums“ in Niedersachsen

Mit scharfer Kritik reagiert der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf die Entscheidung des Innenministeriums, in der Landesaufnahmebehörde Braunschweig ein „Ausreisezentrum“ zu eröffnen.

„Die Wiedereinführung einer Politik der Drangsalierung und Zermürbung von abgelehnten Flüchtlingen wird von uns vehement abgelehnt“, so Claire Deery, die Vorsitzende des Flüchtlingsrats. „Für freiheitsentziehende Maßnahmen gibt es das Instrument der Abschiebungshaft. Wenn Gründe für eine Inhaftierung nicht gegeben sind, liegen auch keine rechtfertigenden Gründe für eine Zwangseinweisung in „Ausreisezentren“ vor.“

Per Erlass hat das niedersächsische Innenministerium eine „Wohnpflicht nach schuldhafter Vereitelung der Rückführung“ im Ausreisezentrum der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig verfügt. „Vollziehbar Ausreisepflichtige, die den Vollzug ihrer Abschiebung schuldhaft zum Scheitern gebracht haben und bei denen die Beantragung von Abschiebungshaft (§62 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)) bzw. Ausreisegewahrsam (§62b AufenthG) nicht erfolgreich war, werden künftig in einer Ausreiseeinrichtung (§62, Absatz 2 AufenthG)  der LAB NI untergebracht“, heißt es im Erlass vom 23.07.2025.

Bereits in der Zeit vor 2013 wurden in Niedersachsen Asylsuchende in „Ausreisezentren“ untergebracht. Zu den Opfern der damaligen Politik gehörte auch der syrische Flüchtling Hussein Daoud, dem die Landesregierung mangelnde Mitwirkung bei seiner Abschiebung vorwarf und zu einem Leben im Ausreisezentrum verpflichtete, bis er im Jahr 2000 nach Syrien abgeschoben wurde, wo er nach Folter und Misshandlung zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Der Fall des Hussein Daoud sollte die verantwortlichen Politiker*innen zum Nachdenken darüber veranlassen, dass die Angst vor einer Abschiebung bei manchen Geflüchteten durchaus begründet ist, auch wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Wer sich nicht widerstandslos abschieben lässt, hat vielleicht einfach nur Panik vor den Folgen. Schutzsuchende, die in Bulgarien oder Griechenland Pushbacks erlebt haben und von der Polizei verprügelt wurden, sind von diesen Gewalterfahrungen oftmals traumatisiert. Sie in ein Ausreiselager zu zwingen, um sie daraus besser abschieben zu können, wird sie nicht gesünder machen.

Das gilt erst recht für Menschen, die bei einem Abschiebungsversuch nicht angetroffen wurden: Mit welchem Recht geht die Landesregierung davon aus, dass Geflüchtete untergetaucht sind, wenn sie sich zu einem ihnen nicht mitgeteilten Zeitpunkt nicht zu Hause aufhalten? Mit welchem Recht werden Menschen, die keine Haftgründe erfüllen, nach womöglich jahrelangem Aufenthalt in Niedersachsen zu einem Leben im Lager verdonnert? Ob Geflüchtete ein Bleiberecht wegen faktischer Integration in Deutschland erhalten oder wegen mangelnder Integration abgeschoben werden sollen, ist oft nur eine Frage behördlichen Ermessens.

2014 beendete die rot-grüne Landesregierung die diskriminierende Praxis, Geflüchtete in „Ausreisezentren“ unterzubringen, und setzte damit ein deutliches Signal gegen Ausgrenzung. Auch die jahrelange Unterbringung von Geflüchteten in Lagern wurde aufgegeben. Eine Unterbringung von Schutzsuchenden auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtungen nach Abschluss der gesetzlich vorgeschriebenen Dauer von sechs Wochen bis drei Monaten wurde umgehend beendet.

In der Diskussion sind mittlerweile nicht nur „Ausreisezentren“: Längst werden – im Vorgriff auch auf GEAS – Schutzsuchende wieder in großer Zahl über längere Zeiträume in Lagern untergebracht. Inzwischen betragen die Aufenthaltszeiten für Asylsuchende in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes wieder bis zu 18 Monaten, während Schutzsuchende aus der Ukraine nach spätestens drei Tagen auf die Kommunen verteilt werden. Diese Politik der Aussonderung in Lagern wurde bereits in den 90er und 2000er Jahren in Niedersachsen praktiziert. „So können z.B. Personen, die auf Grund der Prognoseaussage des Bundesamtes keine Perspektive für Anerkennung als Asylberechtigte und damit für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland haben sowie Personen, die bereits ein negatives Asylverfahren hinter sich haben und vollziehbar ausreisepflichtig sind, durch die Mitarbeiter der Einrichtung sehr viel wirkungsvoller als bei einer dezentralen Unterbringung zum freiwilligen Verlassen des Landes veranlasst werden“, schrieb das Innenministerium 2006 zur Begründung. „Wir haben dem Bund aber auch schon früh die grundsätzliche Bereitschaft mitgeteilt, eines oder auch mehrere Dublin-Zentren in Niedersachsen einzurichten. Schon jetzt verteilen wir Dublin-Fälle nicht mehr auf die Kommunen, sondern behalten sie grundsätzlich in den Standorten der Landesaufnahmebehörde. Denn es gibt bei Dublin-Asylsuchenden keine Perspektive in Niedersachsen. Sie müssen in den EU-Staat, der das Verfahren führt“, erklärt die niedersächsische Innenministerin Behrens heute. Die Zeit der Unduldsamkeit und Härte gegenüber Geflüchteten kehrt zurück. Wir werden dieser Politik unseren entschiedenen Protest und Widerstand entgegensetzen.

 

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