Ankommen ohne Unterstützung? Flüchtlingsrat und LAG FW kritisieren BAMF

  

Landespressekonferenz der LAG der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen und des Flüchtlingsrats Niedersachsen
17. Oktober 2025

Ankommen ohne Unterstützung? Vereine und Verbände kritisieren BAMF für Stopp der EU- Förderung von Asylprojekten

Keine EU-Förderung mehr für gute Aufnahmebedingungen und die Unterstützung von Asylsuchenden beim Ankommen? BAMF will Förderung für Asylprojekte nach zehn Jahren einstellen. Verbände und Vereine üben scharfe Kritik und fordern verstärkte Unterstützung vom Land

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen (LAG FW) und der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisieren die geplante Entscheidung des BAMF, im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) keine Asylprojekte mehr für eine Förderung zuzulassen. Gegen den Protest von zivilgesellschaftlichen Verbänden im Begleitausschuss will die AMIF-Programmverwaltung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchsetzen, dass nahezu alle Maßnahmenbereiche im Sonderziel 1 (Asyl) geschlossen werden. Damit kann auch die qualifizierte Arbeit des AMBA-Projektverbunds, die über den AMIF, kofinanziert durch das Land Niedersachsen und die UNO-Flüchtlingshilfe, über einen Zeitraum von zehn Jahren durchgeführt wurde, ab Dezember 2025 nicht mehr fortgesetzt werden.

Kerstin Tack, Vorsitzende der LAG FW, stellt fest:

Mit dem Wegfall der Förderung droht der Verlust etablierter und wirkungsvoller Unterstützungsstrukturen, was die Zielgruppe zukünftig vor enorme Herausforderungen beim Ankommensprozess stellen wird. Diese Arbeit darf nicht verloren gehen, denn sie vermittelt geflüchteten Menschen die notwendige Unterstützung, um in Deutschland anzukommen und echte gesellschaftliche Teilhabe erleben zu können.“

Claire Deery, Vorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersachsen, ergänzt:

Wir erwarten vom Land Niedersachsen, dass die Finanzierung der im Projektverbund AMBA bislang umgesetzten Maßnahmen zukünftig zumindest teilweise durch das Land Niedersachsen erfolgt.“

Seit 2015 besteht das Netzwerk „Aufnahmemanagement und Beratung für Asylsuchende in Niedersachsen (AMBA)“ als Zusammenschluss von zuletzt 9 Organisationen (AWO Braunschweig, Caritas Peine, Caritas Osnabrück, Exil e.V., IBIS e.V., Innere Mission Friedland, kargah e.V., VNB und Flüchtlingsrat Niedersachsen), die sich an verschiedenen Standorten engagieren, um die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Niedersachsen zu verbessern. Einen Fokus setzt das Netzwerk dabei auf besonders schutzbedürftige Asylsuchende wie Frauen, Personen aus der LGBTIQ Community, Menschen mit Behinderungen und minderjährige Schutzsuchende.

In 5 Erstaufnahmeeinrichtungen schaffen Frauenzentren einen geschützten Raum für asylsuchende Frauen, an mehreren Standorten gibt es Angebote und Beratung für Frauen, LGBTIQ Personen, Menschen mit Behinderung und weitere vulnerable Geflüchtete. Durch ein breites Fortbildungsprogramm und Infomaterialien leistet das Netzwerk einen grundlegenden Beitrag zur Professionalisierung der Beratungsstrukturen in Niedersachsen. Gezielte Öffentlichkeitsarbeit trägt zu einem positiven Bild von geflüchteten Menschen in der Gesellschaft bei.

Durch den Wegfall der AMIF-Förderung für den Bereich Asyl steht die Arbeit des Netzwerks zum Ende der aktuellen Projektlaufzeit ab Dezember 2025 vor dem Aus. Dies droht eine tiefe Lücke in die Beratungs- und Unterstützungsstruktur für (vulnerable) Asylsuchende in Niedersachsen zu reißen: Ohne Förderung müssen alle Frauenzentren in den Erstaufnahmeeinrichtungen schließen, spezifische Angebote für Schutzsuchende fallen ersatzlos weg, und es wird keine Fortbildungsangebote und Informationsmaterialien für Fachkräfte durch das Netzwerk mehr geben.

Die Kernforderungen des AMBA+ Netzwerkes

1. Die Sicherstellung professioneller Unterstützung und Beratung von (vulnerablen) Asylsuchenden und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein gutes Ankommen in Niedersachsen muss bei der Aufnahme Asylsuchender an erster Stelle stehen.

2. Die Bundesregierung muss sich an ihre Verpflichtungen aus der europäischen Aufnahmerichtlinie erinnern und dafür sorgen, dass den Bedarfen (vulnerabler) Asylsuchender europa- und grundrechtskonform begegnet wird, anstatt die Förderung von Unterstützungsangeboten einzustellen und somit lange gewachsene Strukturen zu zerstören.

3. Das Land fordern wir auf, sich über seine EU-Vertretung dafür stark zu machen, dass die Europäische Kommission der geplanten Verengung des Sonderziels 1 nicht zustimmt und das ganze zur Nacharbeit an das BAMF zurückschickt. Stattdessen sollten die Sonderziele 2 und 3 sowie die Willkommenskurse gekürzt werden.

4. Sollte dies scheitern, muss die Landesregierung dafür Sorge tragen, dass die wegfallenden AMIF-Mittel aus dem Landeshaushalt finanziert werden, um bestimmte Leistungen (z. B. die Frauenzentren in den EAEs, LSBTIQ-Beratung, Fortbildungsangebote, Empowermentmaßnahmen, Ratgeber/Veröffentlichungen etc.) weiter zu finanzieren.

Kontakt:

Kai Weber, (Flüchtlingsrat Niedersachsen, Projektkoordination AMBA+),
kw@nds-fluerat.org, Tel. 0 511 / 84 87 99 72

Stefan Pietsch (LAG der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen) presse@paritaetischer.de, Tel. 0157 / 78862866

Anhang: Stellungnahmen der Projektpartner

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AWO Braunschweig:

In der EAE in Braunschweig konnten über unser Beratungsangebote mehr als 800 geflüchtete Frauen, häufig auch mit Kleinkindern, erreicht werden. Viele der ratsuchenden Frauen hatten und haben besondere Situationen und Hintergründe, die auf eine besondere Schutzbedürftigkeit schließen lassen. In Vernetzung mit anderen Organisationen konnten die Kolleginnen Erstorientierungsangebote, Sprachmittlung und Kenntnisvermittlung zu regionalen Strukturen im Rahmen von Kleingruppenarbeit außerhalb der EAE anbieten. Die Kolleginnen haben neben der Beratung für viele der Frauen und für ihre Kinder praktische Unterstützungsleistungen organisiert, wie z. B. passgenaue Hygieneartikel, bedarfsgerechte Kleidung, Kinderwagen, Babyartikel etc. Das Angebot hat zu einer deutlichen Entlastung des EAE internen Sozialdienst geführt. Mit dem Wegfall der von uns eingesetzten 50 Personalstunden sind zukünftig keine Beratungs- und Begleitangebote für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder in der EAE vorhanden.

Caritas Osnabrück:

Wenn das Frauenzentrum in den Erstaufnahmeeinrichtungen wegfällt, verlieren geflüchtete Frauen einen geschützten Raum, in dem sie sich austauschen, zur Ruhe kommen und ihren Alltag verarbeiten können. Es geht ein wichtiger Ort der Stärkung, Selbstbestimmung und Gemeinschaft verloren. Des Weiteren gerät die spezifische konzeptionelle Arbeit zu den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung und Fluchterfahrung aus dem Fokus. Ebenso fehlen dann wertvolle Materialien wie Broschüren und Handreichungen, die Fachkräften und Betroffenen Orientierung und Unterstützung bieten.

Caritas Peine:

Im Rahmen des Peiner Modells konnte eine modellhafte, potentialorientierte Empowerment-Strategie erfolgreich in mehreren Gemeinden des Landkreises umgesetzt werden. Durch dezentral angebotene Bausteine wie Gemeinderundgänge, Ressourcenwerkstätten und herkunftssprachliche Infoabende (Q&A) wurde eine neue Ankunftskultur etabliert, die die Chancengleichheit von Asylsuchenden im gesamten Landkreis deutlich verbessert hat. Vulnerable Gruppen wie alleinreisende Frauen, Familien und Menschen mit besonderen Schutzbedarfen wurden gezielt in die Projektarbeit einbezogen. Durch die Projektmaßnahmen konnte eine strukturierte Erstorientierung gewährleistet und Barrieren beim Ankommen frühzeitig abgebaut werden. Das Auslaufen der Förderung zum Projektende 2025 hinterlässt eine deutliche Lücke in der lokalen Integrationsarbeit und erschwert insbesondere vulnerablen Gruppen den Zugang zur Teilhabe, Orientierung und Empowerment in der Kommune.

Exil e.V.:

Im Rahmen des AMBA-Projekts konnte Exil e.V. bedeutende Erfolge erzielen: In der spezialisierten Fachberatung für LGBTQI-Geflüchtete haben wir unser Ziel übertroffen und mehr als 150 Betroffene sowie über 200 Fachkräfte beraten und unterstützt. Mit Fort- und Weiterbildungen sensibilisierten wir über 1.000 Haupt- und Ehrenamtliche für die Lage besonders vulnerabler Gruppen. Zudem haben wir geflüchtete Menschen und ihre Lebensgeschichten sichtbar gemacht und einen praxisnahen Leitfaden für die Asylberatung entwickelt, der fachliche Standards setzt und die Perspektiven der Ratsuchenden in der Beratungspraxis verankert. Der ab Dezember 2025 bevorstehende Wegfall der Förderung bedeutet einen großen Rückschlag: Beratungsstrukturen brechen zusammen, die Perspektiven und Geschichten geflüchteter Menschen verlieren an Sichtbarkeit, und niedrigschwellige Angebote wie das Café Papierkram können so nicht weitergeführt werden.

Flüchtlingsrat Niedersachsen:

Durch Workshops zum Thema Gewaltschutz mit geflüchteten Frauen und Hauptamtlichen in Gemeinschaftsunterkünften hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Handlungsfähigkeit von geflüchteten Frauen in Bezug auf Schutz vor Gewalt gestärkt und für das Thema Gewaltschutz beim Ankommen von Geflüchteten in der kommunalen Unterbringung sensibilisiert. Durch Fachveranstaltungen, Fachberatung und unterstützende Materialien für Beratungsstellen wurde die Qualifizierung der Beratungsstrukturen insbesondere in Bezug auf die spezifischen Bedarfe und Rechte von besonders schutzbedürftigen Geflüchteten vorangebracht. Im Rahmen der Reihe „Featuring Refugees and Their Supporters/Menschen im Exil“ in Zusammenarbeit mit Exil e.V. wurden zahlreiche Portraits in Form von bebilderten Texten, Videos und Photo Voices veröffentlicht, mit Berichten von Schutzsuchenden über ihr gelingendes Ankommen in Niedersachsen. Diese unterstützen ein positives Bild von Geflüchteten in der Gesellschaft.

IBIS e.V.:

Durch die AMIF-Förderung wurde im AMBA+-Projekt für die Zielgruppe Schutzsuchende aus der Ukraine und Asylsuchende, insbesondere besonders schutzbedürftige Personen, ein vielfältiges Angebot zur Verfügung gestellt, welches die Aufnahmebedingungen für die Betroffenen enorm verbessert hat. Asyl- und Schutzsuchenden wurden durch Beratung und Informationsvermittlung vielfältige Teilhabemöglichkeiten aufgezeigt und Wege zu diesen geebnet. Die Zielgruppenangehörigen wurden empowert und in ihren Handlungskompetenzen und ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt. Insbesondere Frauen profitierten in den Frauenzentren in mehreren Erstaufnahmeeinrichtungen von einer zielgruppengerechten Begleitung, erhielten Unterstützung z.B. bei Gewaltbetroffenheit und fanden einen Schutzraum vor, in dem sensible Themen vertrauensvoll bearbeitet werden konnten. Fachkräfte im GEAS wurden geschult und beraten. Die Unterstützungsstrukturen für (insbesondere vulnerable) Asyl- und Schutzsuchende wurden dadurch landesweit gefördert.

Innere Mission Friedland:

Das Frauenzentrum in Friedland ist für viele Frauen ein unverzichtbarer Zufluchtsort. Hier finden Sie Sicherheit, Beratung, Bildung und die Chance, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. In unseren Kursen und Angeboten wachsen Selbstbewusstsein, Vertrauen und neue Perspektiven – für die Frauen selbst und ihre Kinder. Doch all dies steht nun auf dem Spiel: Ohne weitere Förderung drohen Sprachkurse, Schwangerschaftsbegleitung, kreative und sportliche Angebote sowie Aufklärung über Frauenrechte und Kinderschutz zu verschwinden. Damit ginge nicht nur konkrete Hilfe verloren, sondern auch ein Ort der Hoffnung und Gemeinschaft. Frauen und Familien, die hier Kraft schöpfen, würden plötzlich ohne Unterstützung dastehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese wichtige Arbeit endet. Jetzt braucht es Solidarität, politische Verantwortung und die Bereitschaft, dieses Projekt weiterzutragen – für Frauen, ihre Kinder und eine Zukunft in Würde und Sicherheit.

Kargah:

In offenen Begegnungsräumen bieten wir asylsuchenden Frauen und queeren Geflüchteten niedrigschwellige Angebote, in deren Rahmen sie sich austauschen, bestärkt und beraten werden. Ebenso sensibilisieren wir in Fachveranstaltungen Multiplikator*innen für die Rechte und besonderen Bedarfe und Schwierigkeiten queerer Geflüchteter. Fallen diese Angebote weg, geht dringend benötigte Unterstützung für diese unterversorgte Gruppe besonders verletzlicher Menschen verloren, die neben dem komplizierten Asylverfahren auch mit Mehrfachdiskriminierung und Herausforderungen auf verschiedensten Ebenen, wie traumatischen Erfahrungen und Gefahr von Übergriffen im Wohnumfeld kämpfen müssen.

VNB e.V.:

Im Rahmen des Netzwerkprojektes AMBA+ hat der VNB als anerkannte Landeseinrichtung der Erwachsenenbildung in Niedersachsen eine Fortbildungsreihe mit Abschlusszertifikat für Haupt- und Ehrenamtliche, die mit minderjährigen Geflüchteten arbeiten, entwickelt und durchgeführt. Ziel der Maßnahme war es, Fachkräfte umfassend zu relevanten Themen in ihrem Arbeitsgebiet fortzubilden und somit zu einer bestmöglichen Versorgung und Begleitung junger Geflüchteter in Niedersachsen beizutragen. Dank der Förderung konnten insgesamt 98 Fachkräfte aus ganz Niedersachsen an den Fortbildungen zu Themen wie Gesundheit, Trauma, Empowerment, Rechtsfragen und vielen mehr teilnehmen. Das Ende des Netzwerkprojektes bedeutet, dass geplante Folgemaßnahmen für kommunale Fachkräfte aus Niedersachsen nicht stattfinden können, da sie ohne eine entsprechende Finanzierung nicht durchführbar sind.

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