Suizidopfer hätte vermutlich Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht gehabt

Der Fall des Suizidopfers Shambu Lama produziert weitere Schlagzeilen: Wie erst jetzt bekannt wurde, hat das Verwaltungsgericht Braunschweig die Verfahrenskosten im Klageverfahren des nepalesischen Flüchtlings dem Landkreis Gifhorn auferlegt. Der Flüchtling hätte mit seiner Klage „voraussichtlich in der Sache Erfolg gehabt“, so das Gericht.  Aus den Verfahrensakten wird deutlich, dass die Ausländerbehörde über die gelebte Vaterschaft des Flüchtlings zu einem deutschen Kind schon monatelang informiert war, aber trotz deutlicher Warnungen des Verwaltungsgerichts an der Abschiebung zum 3. März 2011 festhielt und dies dem Flüchtling am 1. März auch so mitteilte. Der Suizid hätte also verhindert werden können, wenn sich die Ausländerbehörde des Landkreises Gifhorn an geltendes Recht gehalten und die Abschiebung ausgesetzt hätte.

Das Vorgehen des Landkreises Gifhorn muss personelle Konsequenzen haben. Rechtsanwältin Öndül (Kanzlei Kolostori, Osnabrück) hat bereits Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Landrätin des LK Gifhorn über die verantwortlichen Beamten erhoben. Das Innenministerium in Hannover ist aufgerufen, im Rahmen der Fachaufsicht dafür zu sorgen, dass der Umgang des Landkreis Gifhorn mit Flüchtlingen in Zukunft menschenwürdig und rechtsstaatlich erfolgt.

Nachfolgend ein Artikel aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom Samstag:

26.03.2011 / HAZ Seite 3 Ressort: BLICK IN DIE ZEIT

Nicht ohne meinen Sohn

Gifhorn. Der Mann kam den Bahnsteig entlanggelaufen, stieg langsam in das Gleisbett herunter und legte seinen Kopf auf die Schienen. Zwei Mädchen beobachteten ihn, versuchten, ihn zu warnen, denn aus dem Westen rollte ein Güterzug heran. Doch Shambu Lama reagierte nicht auf die Rufe der Teenager. Er wollte sie auch gar nicht hören. Lama wollte sterben.

15 Jahre lang hat der 40-Jährige als Flüchtling in Deutschland gelebt. Jetzt sollte er in sein Herkunftsland Nepal abgeschoben werden. Er hat diesen Gedanken nicht ertragen. Am 1. März um 15.40 Uhr machten die Räder des Zuges aus Hannover dem Leben des Flüchtlings ein Ende. Am Morgen hatte ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde in Gifhorn ihm gesagt, in zwei Tagen werde er abgeschoben – eine fatale Fehlinformation, wie sich erst Wochen nach dem Suizid herausstellen sollte.

Das Innenministerium von Niedersachsen betreibt eine strenge Flüchtlingspolitik; im Fall Shambu Lama hat die Ausländerbehörde in Gifhorn darüber hinaus offenbar alles falsch gemacht, was eine Behörde überhaupt falsch machen kann. Sie hat die Zusammenarbeit mit dem Verwaltungsgericht in Braunschweig verweigert, hat Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs ignoriert. Auch Lamas Anwältin Daniela Öndül fand in Gifhorn kein Gehör. Dass Shambu Lama im Mai 2010 Vater eines deutschen Kindes geworden war und sich in Absprache mit dessen von ihm getrennt lebender Mutter liebevoll um seinen Sohn kümmerte, hat der Kreis hartnäckig ignoriert. Die junge Deutsche wirft der Behörde jetzt vor, Lama in den Tod getrieben zu haben. Shambu Lama hätte seinen Sohn, nicht einmal ein Jahr alt, nach seiner Abschiebung wohl nie wieder gesehen.

Flupinkot, der nepalesische Heimatort Lamas, ist von Meinersen im Landkreis Gifhorn etwa 10.000 Kilometer entfernt. 1996 war Lama vor dem Bürgerkrieg zwischen Maoisten und Monarchisten in seinem Land geflüchtet. In Meinersen, wo der Kreis seine Flüchtlinge unterbringt, war Lamas letztes behördlich zugewiesenes Zuhause. Einmal im Monat musste er in der Ausländerbehörde um Geld und Erlaubnis bitten, seinen Sohn in Bad Harzburg besuchen zu können, wie er es mit der Mutter vereinbart hatte.

Der Nepalese war von Anfang an in Deutschland lediglich geduldet. Seit 2010 betrieb die Ausländerbehörde die Abschiebung in sein Herkunftsland, dessen politische Lage sich leicht gebessert hat. Ende Februar 2011 klagte der 40-Jährige vor dem Verwaltungsgericht in Braunschweig dagegen. Zur Begründung gab er unter anderem an, sein Sohn solle seinen Vater kennen und später wissen, warum er anders aussehe als andere Kinder.

Am 28. Februar schickte das Gericht ein Fax nach Gifhorn mit der Bitte, „bis zur Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen“. Die Ausländerbehörde antwortete tags darauf mit dem lapidaren Hinweis, man sei nicht überzeugt, dass zwischen Vater und Sohn eine „schützenswerte Beziehung“ bestehe. Lama wurde die Abschiebung für den Donnerstag angekündigt. Am Nachmittag des 1. März hat Lama sich das Leben genommen.

Vater eines deutschen Kindes zu sein reicht allein nicht, um daraus ein Bleiberecht für einen Flüchtling abzuleiten, räumt Lamas Anwältin Daniela Öndül ein. Aus der Vaterschaft wird erst eine schützenswerte Familie, wenn es auch eine „familiär-soziale Beziehung“ gebe. Öndül ist überzeugt, dass es diese zwischen Vater und Sohn gegeben hat, und hat Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Lama hat die Vaterschaft im Juli anerkannt und den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichts Braunschweig zufolge regelmäßig die Nähe seines Sohnes gesucht, auch wenn er und die Mutter sich zwischenzeitlich getrennt hatten. „Sein Sohn war sein Leben“, sagt die Mutter. Obwohl sie das der Kreisverwaltung mehrmals versichert hat, wollte diese eine enge Beziehung nie anerkennen.

Das Innenministerium in Hannover bezweifelt grundsätzlich, dass Lama überhaupt Vater ist: „Herr L. soll angeblich Vater eines deutschen Kindes sein“, heißt es in einem internen Vermerk, der nach dem Suizid im Ministerium angefertigt wurde. „Er hat der Ausländerbehörde weder eine Geburtsurkunde noch Vaterschaftsanerkennung, Sorgerechtserklärung oder eine sonstige Erklärung abgegeben.“ Die Behörde habe „ein mögliches Aufenthaltsrecht zur Ausübung der Personensorge für ein deutsches Kind“ daher gar nicht prüfen können.

Stimmt nicht, sagt Anwältin Öndül. Spätestens im Januar habe die Anerkennung der Vaterschaft vorgelegen. Eine Abschiebung Lamas sei „rechtlich unmöglich“ gewesen, sagt das Gericht.

Auch nach seinem Tod hat der Fall Lama das Verwaltungsgericht in Braunschweig weiter beschäftigt. Es ging schlicht um die Frage, wer die Verfahrenskosten von 2500 Euro trägt. Es wird der Kreis sein. Das hat das Gericht am 17. März entschieden. Zur Begründung heißt es in dem Beschluss, Lama hätte mit seinem Begehren, in Deutschland zu bleiben, „voraussichtlich in der Sache Erfolg gehabt“.

Der Richterspruch ist wenig schmeichelhaft für die Ausländerbehörde. Der Kreis wird, gemessen an der sonst sehr nüchternen Sprache in Verwaltungsgerichtsurteilen, regelrecht abgewatscht. Der Vertreter der Ausländerbehörde hatte vor Gericht einen unerhörten Vorschlag unterbreitet: Lama könne sein Umgangsrecht mit seinem Sohn ja auch von Nepal aus gestalten. Das kam beim Richter nicht gut an: Seine grundgesetzliche Pflicht, Ehe und Familie besonders zu schützen, dürfe der Staat „nicht auf eine Utopie reduzieren“, beschied er die Behörde.

Warum Lamas Sohn anders aussieht als andere deutsche Kinder, wird ihm nun die Mutter erklären müssen. Die Ausländerbehörde hat sie übrigens erst zwei Wochen nach dem Suizid vom Tod des Kindsvaters informiert.

„Ein schikanöser Umgang“
Interview mit Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen

Muss man der Ausländerbehörde im Kreis Gifhorn nach dem Suizid des Flüchtlings Shambu Lama einen Vorwurf machen?

Sie hat nicht berücksichtigt, dass Herr Lama ein Kind in Deutschland hat und zu diesem Kind auch eine enge Beziehung unterhielt. Sie hätte ihm deshalb ein Aufenthaltsrecht erteilen müssen. Sie hat das Verhältnis, über das sie genau informiert war, nicht nur ignoriert. Sie hat dem Gericht sogar falsch Auskunft erteilt – dass sie nämlich nichts wusste über diese Beziehung.

Was sagt das aus über die Flüchtlingspolitik im Kreis Gifhorn?

Die Behörde hat ja ihr Verständnis vom Umgang mit Flüchtlingen bereits dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie die stadtnahe Flüchtlingsunterkunft bei Gifhorn zwölf Kilometer entfernt nach Meinersen verlegt hat. Das ist Ausdruck der Politik des Landkreises, den Bewohnern das Leben so hart wie möglich zu machen.

In dieser Woche haben Flüchtlinge vor dem Kreishaus demonstriert. Ragt der Kreis mit einer besonders restriktiven Flüchtlingspolitik heraus?

Er ist schon in der Vergangenheit durch einen schikanösen Umgang mit Flüchtlingen aufgefallen. Flüchtlinge werden dort besonders herablassend behandelt.

Warum greift das Innen­ministerium nicht ein?

Es hat sich nach dem Suizid von Herrn Lama in Meinersen immerhin Bericht erstatten lassen, hat aber keinen Rechtsverstoß gesehen. Man muss dem Ministerium aber wohl noch Gelegenheit geben zu reagieren. Grundsätzlich will das Innenministerium Schikane und Diskriminierung von Flüchtlingen aber nicht abbauen. Im Gegenteil hält es die Kreise eher dazu an: Flüchtlinge sollen durch Isolation zur Rückkehr bewegt werden.

Interview: Karl Doeleke
26.03.2011 / HAZ Seite 3 Ressort: BLICK IN DIE ZEIT

siehe auch:

Kritik an Ausländerbehörde – NDR 30.03.2011

Abschied von einem Unerwünschten – taz 30.03.2011

Von Behörden in den Tod getrieben? – taz 01.04.2011

Kind ist nur ein Punkt in einem Sammelsurium von Gründen – taz 02.04.2011

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