Zweifelhafte amtsärztliche Stellungnahmen dienen Ausländerbehörde des LK Cuxhaven als Legitimation für rabiate unangekündigte Abschiebungen

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Flüchtlingsrat erwartet vom Innenministerium, die eigenen Erlasse durchzusetzen

Dem Flüchtlingsrat Niedersachsen sind aus dem Landkreis Cuxhaven mittlerweile mehrere Fälle bekannt, in denen entgegen einem Erlass des niedersächsischen Innenministeriums die Ausländerbehörde unangekündigt Abschiebungen durchführen wollte. In seinem Erlass vom 23.09.2014 (siehe hier) erklärt das Innenministerium, dass vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsel in der Asyl- und Flüchtlingspolitik insbesondere bei der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht die Belastung für die Betroffenen so gering wie möglich gehalten werden soll und daher u.a. Abschiebungen i.d.R. schriftlich anzukündigen sind. Von der Ankündigung soll laut Erlass lediglich abgesehen werden, wenn die Betroffenen „Straftaten von erheblichem Gewicht“ begangen haben.

In den Fällen unangekündigter Abschiebung bzw. Abschiebungsversuche aus dem LK Cuxhaven ist dies jedoch nicht der Fall. Vielmehr wird der Verstoß gegen den Erlass mit amtsärztlichen Empfehlungen gerechtfertigt. Eine unrühmliche Rolle spielt dabei offensichtlich der Leiter des Gesundheitsamtes des Landkreises, der auf Veranlassung der Ausländerbehörde amtsärztliche Stellungnahmen verfasst hat, in denen den zur Abschiebung bestimmten psychisch kranken Flüchtlingen Reisefähigkeit attestiert wurde. Zugleich empfahl der Amtsarzt in den Attesten jedoch wegen bestehender Suizidalität, die Abschiebungen nicht anzukündigen. In den vier Stellungnahmen, die dem Flüchtlingsrat vorliegen, schließt der Arzt – der kein Facharzt für Psychiatrie ist – Suizidversuche zwar nicht aus, hält aber Abschiebungen in ärztlicher Begleitung ohne Ankündigung, für verantwortbar, um „demonstrative Suizidversuche“, wie er es nennt, zu unterbinden.

Auf Grund dieser amtsärztlichen Freibriefe veranlasste die Ausländerbehörde unangekündigte Abschiebungen, die in einem Fall besonders dramatisch endeten: Als die Beamten am 4. Mai dieses Jahres einen alleinerziehenden Vater mit seinen beiden neun und elf Jahre alten Töchtern überraschend zur Abschiebung nach Serbien abholen wollten, geriet der Mann in Panik und droht sich umzubringen. Dieser unangekündigte Abschiebungsversuch hatte schließlich einen Großeinsatz mit zwanzig Polizeibeamten zur Folge, der neben dem traumatisierten Vater noch zwei höchst eingeschüchterte Kinder zurückließ (siehe u.a. Berichterstattung in den Cuxhavener Nachrichten hier).

Die Ausländerbehörde hat sich letztlich diese brutale Vorgehensweise durch den Amtsarzt legitimieren lassen. Der Flüchtlingsrat hat daher vier Stellungnahmen aus der Feder des Amtsarztes des Landkreises Cuxhaven dem Trauma-Experten Dr. Hans Wolfgang Gierlichs aus Aachen vorgelegt. Dr. Gierlichs kommt in seiner Bewertung zu einem vernichtenden Urteil: Keine der Stellungnahmen erfüllten die allgemeinen Mindestanforderungen an medizinische Atteste. Keine der Stellungnahmen zeigten Hinweise auf die notwendige Sorgfalt bei der Beurteilung der aufgeführten schweren psychiatrischen Krankheitsbilder. Die Atteste seien nach Ansicht von Dr. Gierlichs mit den Grundlagen der beruflichen Ethik nicht vereinbar. Im Übrigen hält Dr. Gierlichs in seiner Stellungnahme fest, dass eine überraschende Abschiebung immer Situationen stark erhöhten Stresses darstellten und die Empfehlungen des Amtsarztes somit der ärztlichen Verpflichtung nicht zu schaden widersprächen (Stellungnahme Dr. Gierlichs siehe hier).

Der Flüchtlingsrat erwartet vom Innenministerium, seine eigenen Erlasse ernst zu nehmen und deren Umsetzung in den Landkreisen und Städten sicher zu stellen. Darüber hinaus fordert der Flüchtlingsrat, dass die Landesregierung Kriterien aufstellt, die garantieren, dass bei der Feststellung von Reisefähigkeit ausschließlich qualifizierte Amtsärzte und -ärztinnen zum Einsatz kommen, die die Mindestanforderungen an amtsärztliche Stellungnahmen erfüllen.

Hildesheim, den 19.08.2015

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