Die Abschiebungszahlen aus Niedersachsen sind im ersten Halbjahr 2013 erschreckend gestiegen: Während 2012 insgesamt 563 Menschen aus Niedersachsen abgeschoben wurden, waren es im ersten Halbjahr 2013 bereits 355. Das entspricht einem Ansteig von durchschnittlich 8,1%.
Dieser Anstieg veranlasste heute die „Neue Presse“, mit der Schlagzeile „Rot-Grün schiebt mehr ab“ aufzumachen. Der erste Eindruck relativiert sich allerdings, wenn der gestiegene Anteil der Abschiebungen auf Grundlage eines Dublin II – Bescheids berücksichtigt wird: Betrug der Anteil der Dublin II – Fälle unter den Abschiebungsfällen zwischen Januar und August 2012 noch 20% (76 von 380), so stieg er im gleichen Zeitraum des Jahres 2013 auf über 45% (192 von 424). Anders ausgedrückt: Fast jedem zweiten in Niedersachsen um Asyl bittenden Flüchtling wurde die Prüfung seiner Asylgründe unter Hinweis auf die Zuständigkeit eines anderen Dublin II – Vertragsstaats verwehrt. Die Zuständigkeit für die rechtliche Beurteilung dieser Fälle liegt nicht bei niedersächsischen Ausländerbehörden, sondern beim Bund. Diese Form der Abschiebung von Verantwortung an die Nachbarstaaten wird von Menschenrechtsorganisationen seit Jahren scharf kritisiert.
Besonders betroffen von solchen Abschiebungen sind offenbar tschetschenische Flüchtlinge: Rund zwei Drittel von ihnen fliehen auf dem Landweg, meistens über Polen, nach Deutschland. Welche absurden Folgen das Dublin II – Verfahren haben kann und mit welcher rigiden Härte es exekutiert wird, verdeutlicht der Fall der iranischen Flüchtlingsfamilie O. Verantwortlich für diese Praxis ist die Bundesregierung.
Rechnet man die Dublin II – Fälle heraus, hat sich die Zahl der Abschiebungen in Niedersachsen nach einer Statistik des niedersächsischen Innenministeriums um etwa 20% verringert (von 304 auf 232). Ganz aus der Verantwortung wollen wir die niedersächsische Landesregierung damit aber auch nicht nehmen: Immerhin ist sie angetreten mit dem Versprechen, Abschiebungen und Abschiebungshaft nach Möglichkeit zu vermeiden. Ein entsprechender Erlass an die Ausländerbehörden ist zwar angekündigt worden, wurde aber bislang nicht veröffentlicht. Niedersachsen hat zwar inzwischen eine neue, mehr Spielräume für humanitäre Entscheidungen bietende Härtefallkommissions-Verordnung beschlossen. Es fehlt aber noch immer ein Erlass, der den Ausländerbehörden die Möglichkeit einräumt, entsprechend der Praxis in anderen Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Bremen, NRW) Flüchtlingen unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 8 EMRK ein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 einzuräumen, weil sie hier verwurzelt sind und eine Rückkehr daher nicht zumutbar ist.
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