Kriminalisierung von Flüchtlingen: Der Fall des syrischen Flüchtlings ZIAD A.

Ziad A. ist am 20.07.1973 in Syrien geboren und gehört der kurdischen Minderheit an. In Syrien machte er sein Abitur; ein anschließendes Studium blieb ihm aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit versagt. Ende 2001 floh Ziad aus Syrien und stellte am 8. Januar 2002 einen Asylantrag in Deutschland. Er lebt seither im Flüchtlingslager Kempten in Südbayern Familienangehörigen hat. Nach Ablehnung seines Asylantrags im Jahr 2002 wird Ziad A. geduldet.

Das Lager hat eine offizielle Kapazität für 210 Personen. Wer sich die vom Flüchtlingsrat Bayern bereitgestellten Fotos des Lagers anguckt, fühlt auf den ersten Blick, wie unerträglich es sein muss, sich auch nur für kurze Zeit dort aufhalten zu müssen. Ziads Frau lebt in Hannover. Da die beiden aufgrund fehlender Heiratspapiere aber nur nach muslimischem Ritus verheiratet sind, verweigern die Behörden ihm den Umzug zu seiner Frau. Die Folge ist, dass er immer wieder ohne behördliche Genehmigung seine Frau in Hannover besucht und dafür kriminalisiert wird:

Am 25.07.2002 wird Ziad wegen „wiederholtem Verstoß gegen räumliche Beschränkung“ zu einer Geldstrafe (20 Tagessätze per 10€) verurteilt. Dieses Bußgeld wird am 6.11.2002 auf 50 Tagessätze je 10€ erhöht, da Ziad erneut aufgrund von Residenzpflichtverletzung verurteilt wird.

Es bleibt nicht bei der strafrechtlichen Verfolgung wegen Residenzpflichtverletzung: Am 1.3.2004 wird Herr A. wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu 3 Monaten Haft auf Bewährung (3 Jahre) verurteilt. Die Ausländerbehörde wirft ihm vor, sich nicht hinreichend um Papiere zu bemühen, die für seine Abschiebung gebraucht werden. Ziad hat jedoch Angst vor den syrischen Verfolgungsbehörden und weigert sich, bei der syrischen Botschaft vorzusprechen. Daraufhin wird er am 23.5.2006 erneut wegen des gleichen Delikts (Aufenthalt ohne Pass) verurteilt. Die Berufung (am 20.09.2006) und die Revision am OLG München (am 20.02.2007) werden verworfen. Ziad A. wird nach dem Widerruf der zuvor ausgesprochenen Bewährungsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten verurteilt, die er seit dem 5. April 2007 in der Justizvollzugsanstalt Kempten absitzen soll. Ziads Anwalt legt Rechtsmittel ein und erreicht, dass 1/3 der Strafe (also insgesamt 2 Monate) zur Bewährung ausgesetzt wird.

Während Ziad inhaftiert ist, stellt die Ausländerbehörde Kempten Ziad A. am 9.5.2007 einen Ausweisungsbescheid zu. Die Ausweisung wird damit begründet, dass Herr A. immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt komme (Residenzpflichtverstoß, Aufenthalt ohne Pass), und sich auch zukünftig nicht an die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland halten werde. Dagegen wehrt sich Ziad und legt Rechtsmittel ein.

Dass Ziad A. als bayrische Landesvorsitzende der kurdischen Exilpartei bei Rückreise nach Syrien gefährdet ist, wird deutlich, als sein Bruder mitsamt seiner Familie nach Syrien reist und dort von syrischen Behörden/ Beamten festgehalten sowie zu den Aktivitäten von Ziad befragt wird. Ziad, der mehr als 3 Monate Freiheitsstrafe im Gefängnis verbracht hat und am 18.08.2007 entlassen wurde, stellt 2.7.2007 erneut eine Asylfolgeantrag, welcher am 19.7.2007 abgelehnt wird. Gegen die Ablehnung seines Folgeantrags erhebt Ziad mit Hilfe eines Anwalts Klage vor dem Verwaltungsgericht in Augsburg

Am 28.10.2008 und am 11.11.2008 wird Ziad A. zum dritten Mal wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass angeklagt und erneut verurteilt. Diesmal lautet das Urteil auf 4 Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung.

Die drohende Haftstrafe, Ausweisung nach Syrien und die Trennung von seiner in Deutschland lebenden Familie (Frau und Bruder in Hannover) wirken sich stark auf Ziads Psyche aus. Er wendet er sich an verschiedene Ärzte und begibt sich im Anschluss in psychiatrische Behandlung (ab dem 13.10.2009). Am 24.8.2009 befindet Dr. S., dass Ziad A. nicht haftfähig sei. Er diagnostiziert eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), schwere Depressionen sowie Suizidalität. Ab dem 13.10.09 befindet sich Ziad in kontinuierlicher psychiatrischer Behandlung in Hannover. Am 6. November 2009 wir ihm von der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie Dr. H. erneut attestiert, dass er weder reise- noch haftfähig sei. In diesem Kontext wird die zuvor gestellte Diagnose von Dr. S. bestätigt. Für die Fachärzte bedeutet dies, dass Ziad auch nicht in die psychiatrische Klinik einer Haftanstalt eingewiesen werden könne.

Anfang 2010 (4.1.2010) beschreibt Dr. H. Ziads Zustand als stark verschlechtert: Es besteht starke Suizidgefährdung, und Ziad wird aus ambulanter psychiatrischer Behandlung in eine psychiatrische Klinik überwiesen.

Trotz des Vorliegens von mindestens drei unanhängigen Diagnosen von verschiedenen Fachärzten bestellt das Amtsgericht Kempten einen Amtsarzt, der im Unterschied zu seinen Kollegen die Haftfähigkeit bestätigt. Ziad A. muss daraufhin seine Freiheitsstrafe von 4 Monaten antreten. Er wird am 15.02.2010 in der psychiatrischen Klinik in Hannover von der Polizei verhaftet und in der dortigen Justizvollzugsanstalt inhaftiert.

Am 30.03.2010 stellt die JVA Hannover der Rechtsanwaltschaft Kempten einen Bericht zu, in dem der Zustand Ziad A.s beschrieben wird: Er befinde sich, wie zuvor absehbar, seit dem Haftantritt in der psychiatrischen Abteilung. Aufgrund einer erheblichen Suizidgefährdung müsse er mehrfach und über mehrere Tage in einen besonders gesicherten Haftraum verlegt werden. Der in der JVA zuständige Psychiater Dr. W. empfiehlt dringend, den Inhaftierten vorzeitig zu entlassen bzw. die Haftstrafe auszusetzen.

Trotz des Gutachtens und der dringenden Empfehlung Ziad A. vorzeitig zu entlassen, wird Ziad erst am 12.05.2010, also nur wenige Tage vor dem regulären Ende der Freiheitsstrafe, aus der Haft entlassen.

Am 14. Juli 2010 kommt es zu einer überraschenden Wende: Das Verwaltungsgericht Augsburg entscheidet im Klageverfahren gegen die Ablehnung des Asylfolgeantrags, dass Ziad in Syrien eine menschenrechtswidrige Behandlung bedroht und daher Anspruch auf die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots (oder auf die Zuerkennung eines Flüchtlingsausweises) hat. Das Ausweisungsverfahren gegen Ziad A. wird daraufhin eingestellt und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 60 Abs. 2 AufenthG erteilt. Nach mehr als 8 Jahren Rechtstreit, drei Freiheitsstrafen und einer starken psychischen Belastung aufgrund von drohender Abschiebung und ständigen behördlichen Schikanen hat Ziad A. nun endlich ein sicheres Aufenthaltsrecht in Deutschland. Mittlerweile lebt Ziad zusammen mit seiner Frau und seinem im April 2009 geborenen Kind in Hannover.

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