„Staat darf Familien nicht trennen“

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Nach Ablehnung des Härtefallantrags für Familie Coban aus Bad Bentheim legte Ende vergangener Woche Pastor Johann Weusmann, Vizepräsident der evangelisch-reformierten Kirche in Ostfriesland, sein Amt als Mitglied der Härtefallkommission nieder. „Ich muss als Kirchenvertreter darauf achten, dass humanitäre Gründe den Vorrang haben“, sagte Weusmann zur Begründung seines Schritts (siehe hier).

Der zugrunde liegende Fall der Familie Coban (siehe Fallbeschreibung Dr. Weusmann) weist starke Ähnlichkeiten mit dem Fall der Familie Siala/Salame auf, ist jedoch bei weitem nicht so bekannt. Auch bei den Cobans handelt es sich um Mhallami – also Angehörige einer arabischen Volksgruppe, die wegen des Bürgerkriegs aus dem Libanon geflohen waren und hier ein Bleiberecht erhielten, später jedoch wegen einer Registrierung von Vorfahren in der Türkei der „Täuschung“ bezichtigt und zur Ausreise aufgefordert wurden. Auch hier wurde eine Familie durch Abschiebung auseinander gerissen, auch hier verweigert die Landesregierung eine Familienzusammenführung in Deutschland – und trifft damit vor allem die Kinder.

Nachfolgend dokumentieren wir – mit Dank an die Redaktion – drei Artikel über die Familie Coban, die in den  Grafschafter Nachrichten erschienen sind.

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Grafschafter Nachrichten vom 27.01.2012

„Staat darf Familien nicht trennen“
 Kirche und Stadt fordern: Cobans in Bad Bentheim wieder vereinen

Der Synodalverband Grafschaft Bentheim der reformierten Kirche beklagt, dass eine gut integrierte Familie aus Bad Bentheim durch Abschiebung getrennt wurde. Er fordert Ministerpräsident David McAllister (CDU) auf, eine entsprechende Entscheidung des Landkreises zu revidieren. Auch die Stadt Bad Bentheim drängt darauf, die Familie wieder zu vereinen.

Von Steffen Burkert – Bad Bentheim. „Am 4. April 2006 wurde die Familie Coban aus Bad Bentheim auseinander gerissen“, empört sich Präses Heinz-Hermann Nordholt. In den frühen Morgenstunden sei der Vater zusammen mit seinen beiden volljährigen Kindern, seiner Mutter und dem behinderten Bruder von Vollzugsbeamten aus der Wohnung geholt und in die Türkei abgeschoben worden. In Bad Bentheim zurückgeblieben sei die Mutter mit den übrigen sieben Kindern im Alter von zwei bis fünfzehn Jahren.

Alle Versuche, die Familie wieder zusammen zu führen, seien gescheitert, berichtet nun der Synodalverband Grafschaft Bentheim der reformierten Kirche. Dem Vater werde nicht einmal gestattet, seine Frau und seine Kinder zu besuchen. „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, weshalb der Landkreis trotz des im Grundgesetz garantierten Schutzes von Ehe und Familie so repressiv vorging“, beklagt Präses Nordholt.

Die Kreisverwaltung hingegen betonte gestern auf Anfrage der GN, dass die Familie sämtliche rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft und die Gerichte die Entscheidungen des Landkreises in allen Fällen bestätigt hätten. Nach ihrer Einreise vor nunmehr 22 Jahren habe die Familie mehr als zehn Jahre lang falsche Angaben über ihre tatsächliche Herkunft und Identität gemacht, ehe 2005 deren türkische Herkunft und Identität habe aufgeklärt werden können. Daraufhin sei Herr Coban wiederholt aufgefordert worden, türkische Papiere zu beschaffen, „um gemeinsam mit der Ehefrau und den Kindern ausreisen zu können“. Mehr als ein Jahr lang sei er zudem darauf hingewiesen worden, dass er „erforderlichenfalls auch ohne Ehefrau und Kinder abgeschoben würde“. Weil er nicht bereit gewesen sei, freiwillig auszureisen, sei eine Abschiebung unumgänglich gewesen.

„Das rechtfertigt nach meinem christlichen Menschenbild keine staatlich angeordnete Trennung der Familie“, bekräftigt hingegen Präses Nordholt. „Wir müssen darauf achten, dass bei der Durchsetzung des Aufenthaltsrechts die Maßstäbe nicht verloren gehen. Nicht alles, was die Rechtsordnung zulässt, ist auch richtig. Ich vermisse das humanitäre Augenmaß.“

Nordholt betont, dass die Türkei für Familie Coban ein völlig fremdes Land sei. „Keines der Kinder ist der türkischen Sprache mächtig. Sie sprechen nur Arabisch und Deutsch und sind nie in der Türkei gewesen. Sie begreifen sich als Bentheimer. Die Grafschaft ist ihre einzige Heimat.“ Würden sie Deutschland verlassen, verlören sie ihre hier erarbeiteten Zukunftschancen – insbesondere die begründete Aussicht auf einen guten Arbeitsplatz. Sie müssten ihr Leben unter völlig ungeklärten Voraussetzungen neu anfangen. Das könne ihnen nicht zugemutet werden.

Die Ausländerbehörde betont, dass sie Familie Coban viele Jahre intensiv begleitet und die Entwicklung der Familienmitglieder beobachtet habe. Sie habe die Hoffnung, den drei bisher nur geduldeten Kindern ebenfalls ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewähren zu können. Momentan seien sie jedoch noch zu jung, da der Gesetzgeber das Mindestalter bei 15 Jahren festgelegt habe. „Weitere Möglichkeiten, der Familie insgesamt umfangreichere Aufenthaltsrechte zu bieten, bestehen hier leider nicht und würden seitens der Ausländerbehörde eine Rechtsbeugung darstellen“, betont der Landkreis.

Präses Nordholt zeigt sich beeindruckt von der Integrationsleistung der Familie. Sie habe sich in jeder Hinsicht voll und ganz in die hiesigen Verhältnisse eingefügt. Alle Kinder besuchten erfolgreich die Schule oder absolvierten bereits eine Berufsausbildung. Dies finde auch bei den Behörden Anerkennung. Inzwischen hätten die vier ältesten in Deutschland verbliebenen Kinder aufgrund ihrer vorbildlichen Integration entsprechende Aufenthaltsbefugnisse erhalten.

Dies gelte jedoch nicht für die allein erziehende Mutter, betont der Synodalverband. Weil sich die Mutter um die Kinder kümmern müsse, könne sie bisher nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Sie arbeitet als Reinigungskraft bei der Stadt Bad Bentheim. Das daraus erzielte Einkommen reicht aber nicht ganz aus, um den Lebensunterhalt der gesamten Familie abzudecken – was jedoch Voraussetzung für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ist, wie die Kreisverwaltung bestätigt.

Enttäuscht zeigt sich Nordholt, dass die Niedersächsische Härtefallkommission immer noch nicht über eine vom Rat der Stadt Bad Bentheim bereits im März 2010 initiierte Härtefall-Eingabe zugunsten der Mutter entschieden hat. Bürgermeister Dr. Volker Pannen (SPD) teilte gestern mit, dass er nun auch an Ministerpräsident McAllister persönlich geschrieben und diesen um Unterstützung gebeten habe. „Dieses geschah in dem Bewusstsein, dass der Ausländerbehörde des Landkreises die Erteilung der gewünschten Aufenthaltserlaubnis rechtlich nicht möglich ist, sondern diese nur in dem für derartige Fälle vorgesehenen Verfahren durch die Kommission der Landesregierung erlangt werden kann.“

„Die Familie Coban ist in Bad Bentheim sehr akzeptiert“, betonte Pannen. „Die Rückkehr des abgeschobenen Vaters und der beiden ältesten Töchter würde den Cobans eine neue Perspektive eröffnen und uns sehr freuen.“

„Ich kann nur hoffen, dass es sich bei der Familie Coban um einen Einzelfall handelt“, unterstreicht Präses Nordholt. „Abschiebungen, bei denen Familien getrennt werden, darf es nach unserer Überzeugung nicht geben.“ Deshalb habe auch das Moderamen des Synodalverbandes Grafschaft Bentheim den Ministerpräsidenten gebeten, sich der Angelegenheit anzunehmen.

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Grafschafter Nachrichten Landkreis | 06.06.2012

Coban: Kirchen verlassen Härtefallkommission
Kritik an Entscheidung über Bentheimer Familienschicksal – Pannen: McAllister soll sich einschalten

is / dpa Bad Bentheim / Hannover. Die Entscheidung der Härtefallkommission des Landes Niedersachsen, Frau Coban aus Bad Bentheim kein Aufenthaltsrecht einzuräumen, ist auch gestern auf scharfe Kritik gestoßen. Wie die GN am Dienstag berichteten, hatten sich drei der sieben Mitglieder der Kommission für die Ablehnung des Antrags ausgesprochen, vier Mitglieder wollten der Frau das Aufenthaltsrecht einräumen. Jedoch scheiterte ihr Votum an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit.

Frau Coban lebt mit fünf minderjährigen Kindern in Bad Bentheim. Ihr Mann, seine Mutter und zwei volljährige Söhne, wurden im Jahr 2006 in die Türkei abgeschoben. Die Familie gilt als sehr gut integriert. Wenn Frau Coban das Aufenthaltsrecht zugestanden wird, kann der Vater seine Kinder zumindest besuchen. Nach GN-Informationen gibt es in ganz Niedersachsen nur zwei Fälle, in denen Familien durch Abschiebung getrennt wurden.

Das Scheitern des Antrags auf ein Aufenthaltsrecht für Frau Coban, die bei der Stadt Bad Bentheim als Reinigungskraft arbeitet, hatte bereits Johann Weusmann, Vizepräsident der evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer und einer von zwei evangelischen Vertretern in der Härtefallkommission, zum Anlass genommen, aus Protest seine Arbeit in der Kommission niederzulegen. Gestern nun schlug der Fall Coban weitere Wellen. Nach einer Beratung in der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen erklärte auch der zweite evangelische Kirchenvertreter, Superintendent Philipp Meyer aus Hameln, dass er vorübergehend seine Mitarbeit in der Kommission ruhen lassen werde.

Auch der Hildesheimer Caritasdirektor Hans-Jürgen Marcus, der die katholische Kirche in der Härtefallkommission vertritt, will erst wieder an den Beratungen teilnehmen, wenn eine zufrieden stellende Verordnung gefunden sei.

Damit ist eine Neuregelung gemeint, nach der vermutlich ab Juli in der Härtefallkommission mit einfacher Mehrheit abgestimmt werden kann. Diakoniechef Marcus sprach im Zusammenhang mit den Lockerungen am Dienstag von „Tricksereien“ und „Augenwischerei“ und machte eine weitere Nachbesserung zur Bedingung seiner Mitarbeit in der Kommission. Es müsse eine Präambel geben, in der persönliche Härten als expliziter Grund für die Anerkennung als Härtefall genannt werden.

Klare Forderungen stellte auch Hannovers Landesbischof Ralf Meister. „Wir erhoffen von der Neuregelung eine signifikante Verbesserung der Arbeit in der Kommission“, erklärte Meister. „Weiterhin erwarten wir, dass humanitäre Aspekte in den Entscheidungen zukünftig prioritär behandelt werden, zum Beispiel wenn die Gefahr besteht, dass Familien getrennt werden.“

Unterdessen ist die Enttäuschung in der Familie Coban und bei Bad Bentheims Bürgermeister Volker Pannen groß. „Die fünf Kinder vermissen ihren Vater sehr. Sie telefonieren täglich mit ihm“, erklärte Pannen gestern Abend in einem Gespräch mit den GN. Er habe sich gestern Nachmittag mit Frau Coban und einer ihrer Töchter getroffen, um über den Sachverhalt zu sprechen. Pannen betonte: „Frau Coban arbeitet weiterhin bei der Stadt, spricht inzwischen Deutsch und sie hat seit längerer Zeit auf jegliche Sozialhilfeleistungen verzichtet.“ Für die Familie sei es hart, den Vater, die Großmutter und die Brüder nicht sehen zu können. „Frau Coban kann aus rechtlichen Gründen nicht in die Türkei reisen, um ihren Mann zu sehen“, so Pannen und die Kinder seien der türkischen Sprache nicht einmal mächtig. Neben Deutsch sprächen sie nur arabisch. Vom Vater wüssten sie, dass auch ihre erwachsenen Brüder es in der Türkei schwer hätten, denn dort werden ihre Schulabschlüsse aus Deutschland nicht anerkannt.

Pannen unterstrich gestern, der Rat der Stadt Bad Bentheim habe sich zweimal hinter den Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung für Frau Coban gestellt. Am 26. Januar habe er einen persönlichen Brief an Ministerpräsident McAllister geschrieben und die Bitte wiederholt. Nicht einmal eine Eingangsbestätigung habe er erhalten. Der Bad Bentheimer Bürgermeister appelliert jetzt an den Ministerpräsidenten, sich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern. Die Entscheidung sei unter humanitären Aspekten ein „Schlag ins Gesicht“. Pannen hofft: „Das kann nicht das letzte Wort gewesen sein.“

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Grafschafter Nachrichten Landkreis | 05.06.2012

Kein Aufenthaltsrecht für Frau Coban
Kontroverse in Härtefallkommission um Schicksal einer Bentheimer Familie

Der Vater wurde vor sechs Jahren mit zwei Söhnen in die Türkei abgeschoben, die Mutter und fünf minderjährige Kinder leben weiterhin in Bad Bentheim. Ihr Schicksal hat jetzt dazu geführt, dass sich ein Vertreter der evangelischen Kirchen aus der Härtefallkommission zurückgetreten ist.

sb/epd Bad Bentheim/Hannover. Das Schicksal der Roma-Familie Coban in Bad Bentheim hat in der Härtefallkommission des Landes Niedersachsen zu einer scharfen Kontroverse geführt. Am 4. April 2006 war der Vater zusammen mit seiner eigenen Mutter und mit seinen beiden volljährigen Kindern sowie seinem Bruder von Vollzugsbeamten aus der Wohnung geholt und in die Türkei abgeschoben worden. In Bad Bentheim zurückgeblieben ist die Mutter mit den übrigen sieben Kindern im Alter von zwei bis fünfzehn Jahren (die GN berichteten ausführlich). Nun hat es die Härtefallkommission abgelehnt, um ein Aufenthaltsrecht für die Frau zu ersuchen, damit sich die Eheleute zumindest besuchen können.

Johann Weusmann, einer der beiden Vertreter der evangelischen Kirchen in der Härtefallkommission, ist nun unter anderem aus Protest gegen diese Entscheidung des Gremiums zurückgetreten. Der Vizepräsident der Evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer erklärte gestern den GN: „Mir geht es um rein humanitäre Gründe. Da haben wir nicht die Erfolge, die ich mir wünsche.“ Der Rücktritt sei eine persönliche Entscheidung gewesen. Weiter wolle er den Fall nicht kommentieren.

Die Härtefallkommission kann Flüchtlingen zu einem Aufenthaltsrecht verhelfen, wenn dringende humanitäre und persönliche Gründe vorliegen. Weusmann hatte sich – letztlich erfolglos – für die auseinander gerissene Familie Coban eingesetzt. Er betonte, dass ihn der Rat der Stadt Bad Bentheim parteiübergreifend und einstimmig um Hilfe gebeten habe. Die Familie sei gut integriert. Dennoch stimmten drei Mitglieder der Kommission gegen die Anerkennung und nur vier dafür. Da derzeit noch eine Zweidrittel-Mehrheit aller acht Vertreter nötig ist, reichte das Votum nicht.

Frau Coban aus Bad Bentheim droht keine Abschiebung, weil sie wegen ihrer Kinder in Deutschland geduldet ist. Damit der Vater die Familie in Deutschland wenigstens besuchen darf, muss die Mutter jedoch ein eigenes Aufenthaltsrecht besitzen. „Dies wäre eine humanitäre Lösung gewesen, die den Staat nichts gekostet hätte“, sagte Weusmann.

Nach dem Rücktritt Weusmanns werde zunächst der Hamelner Superintendent Philipp Meyer die evangelischen Kirchen allein in der Kommission vertreten, sagte der Sprecher der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Johannes Neukirch. Der Rat der Konföderation werde sich vermutlich am heutigen Dienstag mit dem Fall beschäftigten. (…)

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