Landkreis Stade missbraucht Bleiberechtsregelung für soziale Auslese
Darf mittelmäßigen HauptschülerInnen ein Bleiberecht nach den gesetzlichen Bestimmungen des § 25a AufenthG mit der Begründung verweigert werden, ein Notendurchschnitt zwischen drei und vier böte keine „positive Integrationsprognose“? Der Landkreis Stade hat mit einer entsprechenden Begründung ein Bleiberecht für zwei Jugendliche abgelehnt.
Die zwei armenischen Geschwister R. und K., 17 und 15 Jahre alt, sind 1999 in einem Alter von drei und zwei Jahren gemeinsam mit ihren Eltern nach Deutschland eingereist. R. besucht derzeit die neunte und K. die siebte Klasse einer Hauptschule. Als Jugendliche im Alter zwischen 15 und 20 Jahren erfüllen sie grundsätzlich die Bedingungen der Bleiberechtsregelung nach § 25a AufenthG, sofern eine positive Integrationsprognose bescheinigt werden kann.
Diese jedoch vermag der Landkreis Stade nicht zu erkennen. Auch bei Erreichen eines Hauptschulabschlusses sei keine positive Integrationsprognose anzustellen. Generell sei ein Hauptschulabschluss zwar als erfolgreicher Schulbesuch zu werten, aber die Integrationsprognose müsse die Möglichkeiten berücksichtigen, ob und inwiefern dieser Abschluss ausreichend sei, um unabhängig von staatlichen Transferleistungen leben zu können. Wörtlich stellt der Landkreis Stade fest:
„Beim Auswahlverhalten der Ausbildungsbetriebe ist der Mittlere Bildungsabschluss Grundausstattung für die Aufnahme einer Ausbildung in vielen Berufen (…) Generell sind Jugendliche mit Migrationshintergrund überrepräsentiert unter denen, die mit wachsendem zeitlichen Abstand zum Ende der Pflichtschulzeit aus dem Bildungs- und Ausbildungssystem ausscheiden, als Ungelernte arbeiten und häufig arbeitslos sind (…)“
Es ist weder vom Gesetzestext noch von den in dieser Frage ohnehin sehr restriktiven Vorgabenn des niedersächsischen Innenministeriums gedeckt, dass der Landkreis Stade meint, das Besuchen einer Hauptschule (mit oder ohne Abschluss) sei eher ein Regelversagungsgrund im Rahmen des § 25a AufenthG, der nur in Ausnahmefällen entkräftet werden könne. Hier wird unter Bezugnahme auf den unbestimmten Rechtsbegriff “positive Integrationsprognose” mit Mitteln des Aufenthaltsrechts die soziale Auslese auf die Spitze getrieben: Die weniger leistungsfähigen SchülerInnen sollen mitsamt ihren Familien die Bundesrepublik verlassen und nur die besten bleiben können. Das offenkundige Scheitern des deutschen Schulsystems, das die Kinder von MigrantInnen und Flüchtlingen ungenügend fördert und eine vernünftige Einbeziehung von Quereinsteigern durch gezielte Unterstützung und Sprachförderung oft nicht leistet, wird in ein persönliches Scheitern der Kinder umgedeutet. Auch die Diskriminierung von MigrantInnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, die bei gleichwertigen Schulabschlüssen deutlich geringere Chancen auf eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle haben als ihre deutschen MitbewerberInnen, wird zum persönlichen Manko der Betroffenen erklärt.
Die Begründung des Landkreises Stade für eine Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß §25a AufenthG steht nicht im Einklang mit den eigentlichen Zielsetzungen dieses Paragraphen. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass der Landkreis Stade alles daran setzt, die Erteilung eines Bleiberechts an langjährig geduldete Flüchtlinge um jeden Preis zu verhindern. Ins gleiche Bild passt der Vorwurf, die seit 13 Jahren in Deutschland lebenden Flüchtlinge hätten aufgrund eines zweimonatigen ungenehmigten Aufenthalts in Hamburg nach rechtsextremen Angriffen und Bedrohungen an ihrem Wohnort eine nicht nur kurzfristige Unterbrechung ihrer Duldungszeiten zu vertreten und könnten aus diesem Grund kein Bleiberecht erhalten.
Nachtrag:
Das Buxtehuder Tageblatt druckte am 25.04.2012 eine ganze Seite zur Politik der Ausländerbehörde des Kreises Stade:
„Das große Thema: Ausländerpolitik des Landkreises Stade in der Kritik – Betroffene, Anwälte und Betreuer erzählen“ – Artikel siehe Buxtehuder Tageblatt 25.4.2012
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