Im Dickicht der Bürokratie

– was dazu wohl der Buchbinder Wanninger gesagt hätte?

von Eike Andreas Seidel

Wer kennt noch den Karl-Valentin-Sketch vom Buchbinder Wanninger, der beim Versuch verzweifelt, die Rechnung für gelieferte gebundene Bücher an die richtige Stelle beim Auftraggeber zu adressieren? Doch diese Odyssee des wackeren Buchbinders ist nichts gegen die Erfahrungen eines zivilgesellschaftlichen Helfers, der versucht, Geflüchteten beim Slalom durch den Wirrwarr deutscher Vorschriften, Anträge, bürokratischen Unsäglichkeiten zu begleiten und – wo immer möglich – zu helfen.

Dabei kann der Eindruck entstehen, das ganze System der Zumutungen sei gewollt. Es diene dazu, möglichst viel der Leistungen, die Bedürftigen laut Gesetz zustehen, einzusparen, sie zu demotivieren und in Resignation zu stürzen.

Da scheint nur noch Mr. Tuttle helfen zu können, mein Held aus dem Film „Brazil“ des ex-Monty-Python-Mitglieds Terrence „Terry“ Vance Gilliam von 1985, der wider alle staatlichen Zumutungen dafür sorgt, dass Menschlichkeit erhalten bleibt, und der eben dafür verfolgt wird.

Doch lest selbst.

Wo ist die Fahrerlaubnis?

Endlich war es geschafft. Die Führerscheinprüfung am 14. August 2025 ist geschafft – doch der Prüfer kann den ersehnten „Lappen“ nicht aushändigen. Seine „App“ teile ihm mit, dass dieser noch nicht im „Depot“ am Prüfungsort Zeven, Landkreis Rotenburg/Wümme in Niedersachsen angekommen sei und er ihn deshalb auch nicht aushändigen könne. Der Prüfling möge sich bei der ausstellenden Behörde erkundigen. Mangels ausreichender Deutschkenntnisse des syrischen Bekannten werde ich um Hilfe gebeten.

Doch diese – im benachbarten Landkreis Harburg – versteht die Welt nicht mehr. Die Fahrerlaubnis sei doch ausgestellt und auf den Weg zum Prüfungsort gebracht worden. Ich solle doch den Prüfer anrufen oder den TÜV in Bremen (der für das „Depot“ in Zeven zuständig sei). Der TÜV in Bremen versteht die Welt ebenfalls nicht. Seiner Information nach sei die Fahrerlaubnis mittlerweile eingetroffen und ins Depot Zeven gebracht worden. Dort sei sie „stehend“ eingeordnet worden und somit leicht zu finden. Doch wann an diesem ominösen Depot eine Person sei, die das Dokument herausgeben könne, wisse man nicht – der Prüfer sei die entscheidende Person. Doch dessen Telefon ist off-line. Er ist in Prüfungen und will nicht gestört werden.

Endlich Kontakt: Nein, er könne nicht sagen, wann er am Montag am Depot in Zeven sei, er habe seinen Einsatzplan noch nicht bekommen.

Deadlock – Verarschen kann ich mich allein – wo ist die nächste Bombe, die man werfen könne? – aber wohin?

Also ruft der Prüfling am Montag ab 7 Uhr morgens immer wieder den Prüfer an, um herauszubekommen, wann dieser denn nun am „Depot“ anzutreffen sei. Endlich geht der ans Telefon: Ja – Vielleicht am Mittag.

Die Tage im Spätsommer in Zeven sind in diesem Jahr noch trocken und sonnig und nach fünf Stunden Wartezeit ist dann der feierliche Moment gekommen: Der „Lappen“ ist endlich da! Wir schreiben den 15.9.2025.

Kein Bescheid vom Arbeitsamt

Im April 2025 stellt ein sudanesischer Geflüchteter seinen Antrag auf Arbeitslosengeld. Die jahrelange Arbeit im Tiefbau hat seinen Rücken kaputt gemacht. Doch die Agentur für Arbeit erstellt keinen Bescheid. Sie könne ihn nicht erstellen, so die Sachbearbeiterin, es fehle noch ein Dokument des Arbeitgebers: Die Arbeitsbescheinigung. Diese ist seit Jahren von jedem Arbeitgeber elektronisch zu übermitteln.

Ein Anruf bei der Tiefbaufirma: Eben diese Arbeitsbescheinigung war am 2.6.2025 elektronisch an die Bundesagentur für Arbeit übermittelt worden. Beweis: Das Übermittlungsprotokoll. Doch die Sachbearbeiterin ist beinhart: Anstatt behördenintern auf die Suche nach dieser zweifelsfrei übermittelten Bescheinigung zu fahnden, fordert sie diese Bescheinigung auf Papier – ein seit Jahren abgeschafftes Verfahren.

Die Tiefbaufirma scheint Kummer gewohnt und produziert diese. Ich überlege, das Dokument auf Bütten auszudrucken oder im nächsten Kloster auf Papyrus oder Ziegenleder abschreiben zu lassen. Anfang September 2025 kann der Geflüchtete endlich das Papier abgeben („Ja, das ist das richtige“) – auf den Bescheid wartet er noch heute.

Verschwundene Rentenmeldung

Bei der Klärung von Forderungen des Ausländeramtes an einen anerkannten Geflüchteten aus Syrien fordern wir bei der Rentenversicherung den Rentenverlauf an. Doch dieser weist für den Zeitraum 15.11.2023 – 31.12.2023 eine Lücke auf. Die Papiere des Geflüchteten enthalten aber die Arbeitsbescheinigung wie auch die Lohnabrechnungen für diesen Zeitraum. Ein Anruf beim Steuerberater der damaligen Firma ergab, dass diese Bescheinigung selbstverständlich an die Rentenversicherung elektronisch übermittelt worden sei. Im Versicherungsverlauf taucht sie nicht auf. Der Steuerberater will eine Kopie an den Geflüchteten schicken, damit eine Nachmeldung beantragt werden kann.

Wirrwarr beim neuen Postsystem der Rentenversicherung

Dabei hat die Rentenversicherung erst vor einigen Jahren ein neues System für den automatischen Versand aller Schriftstücke bekommen. (Der Projektleiter war ein ehemaliger Kollege von mir.) Abgabe der Schriftstücke vom Arbeitsplatz an das neue System, Archivieren des Schriftguts im Dokumentenmanagementsystem, Sammeln von Schriftstücken an denselben Adressaten – Standard in Unternehmen, Revolution in Behörden. Die Arbeitsplatzdrucker konnten (fast) abgeschafft werden (es wird eben so manches „auf Arbeit“ privat ausgedruckt), die Illusion des papierlosen Büros schien Wirklichkeit zu werden.

Doch dann erhielt ein Afghane achtmal denselben Brief. Doch keiner der Briefe war gültig.

Er hatte die Zusammenlegung seiner beiden Rentenversicherungsnummern beantragt. Die eine enthielt seinen familiär gültigen, wahrscheinlich echten Geburtstag; den hatte er bei der Einreise angegeben, als er eine erste Arbeit aufnehmen durfte.

Die zweite Rentenversicherungsnummer hatte er nach Beschaffung seiner Personalpapiere aus Afghanistan erhalten. Auf diesen war offenbar das Datum der einen Monat später vorgenommenen Registrierung seiner Geburt als Geburtstag eingetragen worden. Dies führte dann bei der nächsten Arbeit zur Anlage einer zweiten RV-Nummer.

Das Zusammenlegung zweier Rentenversicherungsnummern ist kein gewöhnlicher Vorgang. Entsprechende Anträge durchlaufen eine komplexe Entscheidungsprozedur und die Mitteilungen hieraus müssen, da sie Dokumentcharakter haben, auch manuell unterschrieben werden (sie sind eben „nicht maschinell erstellt und ohne Unterschrift gültig“ – wie die meisten Behördenschreiben).

Doch das Aussteuern dieser Briefe zur Unterschrift an die entsprechenden Abteilungsleiter wurde eben „am lebenden Objekt und offenen Herzen“ probiert. „Wer testet, ist feige“ – so lautete der entsprechende Spruch in meinem Erwerbsleben. Und so dauerte es offenbar acht Testzyklen, bis dann der Brief seinen korrekten Weg nahm, unterschrieben und abgestempelt, eigenhändig in einen Umschlag getan und zugeklebt. (Loriot hätte als Weißweinvertreter Blümel auf dem Sofa neben Frau Hoppenstedt gesagt: „Abgefüllt und original verkork(s)t“). Und dann wie früher in den Postausgangskorb gelegt zur Frankierung und Abgabe an die Post.

Doch leider muss der Afghane (mittlerweile eingebürgert) nun – da um einen Monat jünger gemacht – einen Monat länger arbeiten, bevor es Rente gibt….

20 Monate, um ausstehenden Lohn einzuklagen

Sicher kein Einzelfall: Die Firma zahlt keinen Lohn und der meist aus Osteuropa stammende, kaum der Sprache mächtige Arbeiter macht, dass er wegkommt, um woanders vielleicht nicht angeschissen zu werden. Nicht so in diesem Fall, bei dem es um etwa 4.000.– EUR nicht ausgezahlten Lohn ging.

Nachdem der Arbeitgeber auf freundliche, aber konsequenzlose Schreiben u.a. des Jobcenters nicht reagiert hat, wird nach einem nicht abgeholten Einschreiben mit Rückschein als letzter Warnung Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben, das kurzfristig nach Entrichtung einer niedrigen, aber per Internet kompliziert zu entrichtenden Gebühr einen „Gütetermin“ im April 2024 anberaumt. Der Arbeitgeber erscheint nicht. Es wird ein Urteil in Abwesenheit gesprochen.

Doch wie nun an das Geld kommen? Es muss erst ein vollstreckbarer Titel beschafft werden. Dieser ist eigentlich nichts anderes als das Urteil, das nun nicht mehr anfechtbar ist. Damit geht es zur Gerichtsvollzieherin, die eine Vermögensauskunft anberaumt (ehemals Offenbarungseid). Der Termin verstreicht, keine Reaktion vom Arbeitgeber. Jetzt bleibt der Gerichtsvollzieherin nur noch die Verhaftung – doch aufgepasst: Sollte sie wider Erwarten den Schuldner festnehmen können (was sehr zweifelhaft ist und selten so spektakulär abläuft wie auf der diesjährigen Wies’n im Falle Lilly Becker), so muss der Gläubiger für die anschließenden Gefängniskosten in Vorleistung treten – also kein gangbarer Weg für jemand, der nichts hat.

Bleibt der Versuch der Kontopfändung. Also wieder beim Amtsgericht einen Pfändungsbeschluss beantragt und zur Gerichtsvollzieherin gebracht. Doch die ist nicht zuständig, da die Bank, bei der das Konto geführt wird, in Hamburg ansässig ist. Also die dortige Gerichtsvollzieherin suchen und mit der Übergabe des Pfändungsbeschlusses an die Bank beauftragen. Und nun das bange Warten: Hat die Firma überhaupt noch Konten bei der Bank? Gibt es da noch Einzahlungen, die gepfändet werden können.

Das Angebot des Rechtsanwalts des Schuldners auf eine 50%-Lösung wird vom Geschädigten gegen alle gutgemeinten Ratschläge abgelehnt: „Der Schuft soll bluten!“. Und in der Tat: Anfang September 2025 ist endlich in mehreren kleinen Beträgen die Schuld durch den Arbeitgeber inkl. Zinsen und Auslagen getilgt.

Nebenbei bemerkt: Nach Anberaumung des Gütetermins im April 2024 wurden vom Arbeitgeber ganz schnell die nicht abgeführten Krankenkassenbeiträge für fünf Monate nachbezahlt. Die Steuern und Sozialabgaben hatte er immer korrekt einbezahlt: Das nicht zu tun, ist ein strafrechtlich relevantes Delikt und wäre daher von Amts wegen zu verfolgen (Betrüger kennen ihre Pflichten). Den Lohn nicht zu bezahlen ist ein zivilrechtliches Kavaliersdelikt und mit Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind und keine Hilfe bekommen, kann man es ja machen…

Der „durchgerutschte“ Antrag auf Arbeitsgenehmigung – die Technik der „schweren Akte“

Fünf Monate wartet ein Asylbewerber aus Burundi auf seine Arbeitsgenehmigung. Eine Nachfrage beim Leiter der Ausländeramtes im Landkreis ergibt die wachsweiche Entschuldigung: Da sei ihnen etwas „durchgerutscht“, „vor allem“ wegen der langen Erkrankung einer Mitarbeiterin.

Wie bitte? Stellt Euch ein Versandhaus vor, dem Kundenaufträge auf diese Weise „durchrutschen“. Es ist in allen Dienstleistungsunternehmen seit Jahrzehnten klar, dass jedes eingehende Dokument in einer üblichen Workflow-Software erfasst wird. Und darüber kann jederzeit kontrolliert werden, wer für den nächsten Bearbeitungsschritt zuständig ist und welche Vorgänge längere Zeit nicht angefasst und dementsprechend einer Intervention durch die Abteilungsleitung bedürfen. Nichts dergleichen im Ausländeramt. In Behörden gibt es den Begriff der „schweren Akte“ – eine Akte, die eben immer ganz nach unten „durchrutscht“. Lang für unliebsame Fälle eingeübte und genutzte Behördenpraxis. Und vielleicht ist diese Möglichkeit der „schweren Akte“ gerade der Grund dafür, dass derartige Software beim Ausländeramt nicht eingesetzt wird.

Nach Familienzusammenführung erst mal sechs Wochen Hunger

Mitte April 2024 ist große Freude. Die Ehefrau kommt nach Jahren des Wartens in der Türkei mit den fünf Kindern nach Deutschland. Die Gemeinde findet eine Unterkunft. Die Ausländerbehörde hat aber erst im Mai einen Termin für die Ausstellung von „Fiktionsbescheinigungen“, die für die Auszahlung von Leistungen, hier Bürgergeld, erforderlich sind. Wir schaffen es, die Anträge beim Jobcenter noch im April abzugeben – auch unvollständig gelten sie als gestellt. Andernfalls wären Leistungen für April nicht mehr möglich.

Doch wovon leben? Der Ehemann bekommt die 563.– EUR Bürgergeld pro Monat. Und wovon soll die Ehefrau mit den fünf Kindern bis Ende Mai leben? Eine Vorschusszahlung ist hier nicht vorgesehen. Allenfalls ein Eilantrag beim Sozialgericht könne den Stein der Ämter erweichen. Es wird im Bekanntenkreis gebettelt, die Kirchengemeinde gibt 300 EUR – irgendwie schaffen sie es, nicht zu verhungern.

Dann Ende Mai der Bescheid des Jobcenters. Doch hier die nächste Überraschung: Der Ehemann und Vater lebt in seiner Unterkunft mit einem anderen Mann zusammen, die Ehefrau mit den Kindern in einer Gemeindeunterkuft. Völlig mechanisch werden für die zweite Hälfte April die „Kosten der Unterkunft“ für die sieben Personen auf dieses eine Bett des Vaters „verteilt“. Nach Ansicht des Sachbearbeiters ist es also möglich, dass eine siebenköpfige Familie in einem Bett schläft – in einem Zimmer mit einem fremden Mann. Die Gemeinde mahnt bei der Familie die nicht bezahlten Unterkunftskosten der Ehefrau und der Kinder an. Die Korrektur dieser Idiotie des Jobcenters kostet wieder Aufwand – aber immerhin ist niemand verhungert.

Abenteuerliches Vorgehen bei der „Erstausstattung“

Wer heute aus einer Obdachlosenunterkunft endlich in eine eigene Wohnung einzieht, kann einmal in seinem Leben Zuschuss für eine „Erstausstattung“ sowie einen Kredit für eine Mietkaution bekommen. Angesichts der Wohnungssituation ist Tempo angesagt – oft liegen zwischen Abschluss des Vertrags und Einzahlung der Mietkaution nur wenige Tage. Und danach der Einzug in eine kahle Wohnung. Die übergangsweise Mitnahme von Matratzen o.ä. aus der Obdachlosenunterkunft in die neue Wohnung ist verboten, geschweige denn Teller, Besteck, Töpfe, Bettdecken o.ä. Für eine Familie bedeutet der Bezug einer eigenen Wohnung ein Finanzierungsbedarf von mehreren Tausend Euro: Für Kaution, Schlafmöglichkeiten, Küchenausstattung, Tische, Stühle etc.. Freunde und Bekannte müssen helfen.

Doch dann kommt die Rache des Jobcenters, das oft Wochen später zur Begutachtung der Wohnverhältnisse „Gutachter“ (oder sollen wir sagen: „Bösachter“) schickt. Und dann werden die beantragten Teile der Erstausstattung zusammengestrichen: Die Familie schläft auf Matratzen, hat Bettdecken, hat irgendwelche Teller und Besteck usw. – also kein Bedarf. Und wenn dann ein Widerspruch zu diesen Ablehnungen eingelegt wird, werden Belege angefordert; Belege, dass zwei Matratzen normalerweise im Keller einer Familie für den Besuch der Enkel lagern, dass die anderen eigentlich auf den Sperrmüll sollten, dass dieses Besteck und Geschirr aus dem Wohnmobil, das Bett, Stühle und Tisch aus der der Einliegerwohnung oder dem Ferienhaus stammen – alles mit Unterschrift und Anschrift dessen, der hier mit Leihgaben in die Lücke gesprungen ist.

Da lobe ich mir zivile Einrichtungen wie „Hafen hilft“ in Hamburg. Dort sind wir als zuverlässige Unterstützer von Zuwanderern registriert (uns wird vertraut, dass wir uns hier nicht einem grauen Markt durch Weiterverkauf von Spenden bereichern) und haben es nun mehrfach geschafft, binnen weniger Tage, manchmal übers Wochenende Erstausstattungen z.B. für eine achtköpfige Familien zu bekommen, sieben Matratzen und ein Babybett, Wäsche, Decken, Küchenausstattung usw.. Erst Monate später bekam diese Familie dann einen Bescheid des Jobcenters, dass doch noch das eine oder andere fehlende Teil bewilligt werde.

Kindergeld, die erste

Irgendwann hat es auch beim örtlichen Ausländeramt herumgesprochen: Asylbewerber aus der Türkei können auch schon im Anerkennungsverfahren Kindergeld bekommen (alle Übrigen aus Ländern ohne besondere Beziehung zur EU erst nach der Anerkennung). Also wird eine kurdische Familie aus der Türkei mit sechs Kindern Ende Mai aufgefordert, das Kindergeld nachzuweisen, andernfalls drohe Leistungskürzung.

Es dauert drei Wochen, bis alle Papiere zusammen sind und der Antrag abgegeben werden kann. Doch das Ausländeramt schlägt gnadenlos zu und kürzt die Leistungen auf einige Hundert Euro. Die Familie sieht sich verhungern. Erst eine energische Intervention eines Helfers bringt die Ausländerbehörde dazu, sich so zu verhalten wie das Jobcenter: Dieses geht in Vorleistung und holt sich nach Bewilligung den vorgestreckten Betrag von der Familienkasse zurück.

Doch nicht genug: Der Bescheid der Familienkasse ist korrekt, der älteste Sohn fällt solange aus dem Kindergeld heraus, bis er eine Schulbescheinigung einreicht (ist mittlerweile geschehen). Doch die Ankündigung der Auszahlung des Kindergelds wenig später weist plötzlich nur noch vier Kinder aus: 1020.– EUR sollen überweisen werden, eines fehlt. Erleichterung erst bei der Überweisung: 1275.– EUR für fünf Kinder. Mal abwarten, ob und wann die Familienkasse das fehlerhafte Schreiben korrigiert.

Kindergeld, die zweite:
Salto mortale und andere Zaubertricks

Mitte 2024 scheint es geschafft: Die Familienkasse bezahlt rückwirkend 2.500.– EUR Kindergeld nach langer Auseinandersetzung an die Mutter einer Tochter, die online in der Ukraine studiert. Doch Pustekuchen: Im nächsten Jahr wieder ein endloser Schriftwechsel ohne Bescheid und ohne Geld. Die Tochter macht im Juni 2025 ihren Studienabschluss, doch ein Diplom kann nur persönlich in Charkiw abgeholt werden. Mitte August 2025 dann die Drohung der Familienkasse: Falls nicht bis zum 10. September 2025 ein entsprechendes Dokument vorgelegt würde, würde abschließend das Kindergeld rückwirkend seit Juli 2024 endgültig abgelehnt.

Ende August fährt die Tochter nach Charkiw und holt das Abschlussdiplom dort ab. Doch der Familienkasse wird dies einen Tag zu spät per Mail mitgeteilt. Am 15. September dann die angekündigte Katastrophe: Es ergeht ein Einspruchsentscheid, also eine endgültige Ablehnung der Kindergeldzahlung, Rechtsmittel: Klage vor dem Finanzgericht Hannover. Verfahrensdauer mindestens zwei Jahre. Es ist der klassische vierte Akt eines Theaterstücks. Im Zirkus ist dies die Situation, in dem ein Zauberer mit der Säge die Jungfrau in der Kiste zersägt.

Doch wir sind nicht im Zirkus, die Familie hat real kein Geld. Also Beratung auf dem Jobcenter, dann weiter zu einer verständigen Mitarbeitenden bei der Arbeitsagentur. Ein kurzes Telefonat mit der Leistungsabteilung, eine Kopie der wichtigen Dokumente und die noch unverbindliche Zusage, dass die Leistungsabteilung des Jobcenters übernehme. Ob es noch in den aktuellen Zahlungslauf Ende des Monats eingebaut werden könne, wisse sie nicht.

Zwei Überweisungen am 25.9.2025 (Familienkasse 2.875.– EUR und Jobcenter 3020.– EUR) lassen die Spannung dann ins nahezu Unerträgliche steigen und läuten das Finale furioso ein:

Ein perfekt ausgeführter Salto Mortale der Familienkasse, die mit Schreiben vom 18.9.2025, eingegangen am 26.9.2025, ihren Einspruchsentscheid vom 15.9.2025 wieder „abändert“ und das doch schon totgesagte Kaninchen wieder in Form von nun doch für den Zeitraum September 2024 bis Juli 2025 genehmigten Kindergeld aus dem Zylinder zieht.

Doch dieser Zauberer muss unter wütenden Buhrufen die Szene verlassen. Unser Beifall und Mitgefühl gilt eindeutig dem wackeren Jobcenter, das nun einen in einem durch diesen Salto Mortale wieder hinfällig gewordenen Bescheid vom 22.9.2025, ebenfalls eingegangen am 26.9.2025 korrigieren muss: Acht Seiten und viele Stunden Arbeit für die Katz; verarscht von einer Behörde unter dem Dach desselben Ministeriums, in dem linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Vielleicht wird in einem Epilog zu diesem Drama dann auch aufgeklärt, wie die Differenz von 145.– EUR in den Bescheiden zu erklären ist…

Die Idiotie der Bezahlkarte

Nun wird auch hier die Bezahlkarte wird eingeführt, die das Leben für Asylbewerber ohne Anerkennung das Leben erschwert. Ein bürokratisches Monster, das erhebliche Expertise in Finanzfragen erfordert, um die Abbuchungen für Telefon oder Deutschlandticket von einer erst mühsam zu identifizierenden, mit der Karte verbundenen IBAN bei den entsprechenden Unternehmen rechtzeitig zu veranlassen. Barabhebungen sind auf 50 EUR pro Monat beschränkt. Das bisher genutzte Bankkonto mit seiner monatlichen Kontoführungsgebühr ist nutzlos.

Doch dann ein Schreck: eines Tages zeigt die App plötzlich in der Kontoübersicht jeden Betrag doppelt an: Doppelte Einzahlung der Asylbewerberleistungen, doppelte Abbuchungen bei den Geschäften, doppelte Gebühren für Barabhebungen. Panik bricht aus. Wie durch ein Wunder war diese doppelte Anzeige am nächsten Tag verschwunden.

Finanzanwendung mit derartigen Fehlern müssten sofort aus dem Verkehr gezogen werden, die BaFin müsste die Zulassung einer solchen Finanzsoftware „eigentlich“ untersagen. Die Ausländerbehörde beschwichtigt: Es handele sich ja „nur“ um einen Anzeigefehler. Qualität ist etwas anderes.

Der ganze Mist mit der Bezahlkarte hat Millionen gekostet. Eine Auskunft darüber, wie viel Geld Asylbewerber ins Ausland überwiesen hätten (das war das zentrale Argument für die Bezahlkarte) konnte die Bundesregierung nicht geben; vermutlich sind die Erlöse, die VISA dabei einstreicht, um ein Vielfaches höher als der behauptete Missbrauch der Asylbewerberleistungen.

Aber Ordnung und Abschreckung müssen eben sein – koste es, was es wolle.

Der Sketch vom Buchbinder Wanninger endet im Übrigen mit dem Ausruf: „Saubande dreckade!“

Dem schließe ich mich an.

 

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