Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert die niedersächsische Landesregierung auf, die sog. „Notunterkünfte (NUK)“ für Asylsuchende in den „Messehallen“ und im „Baumarkt Garbsen“ so bald wie möglich zu schließen und die Aufenthaltszeit in diesen Einrichtungen bis dahin auf höchstens zwei Wochen zu beschränken.
Claire Deery, Vorsitzende des Flüchtlingsrat Niedersachsen
„Die Lebensbedingungen für Asylsuchende in diesen Landeseinrichtungen sind extrem belastend und über einen längeren Zeitraum nicht zumutbar. Vulnerable Geflüchtete (Kranke, Alte, Schwangere, Kinder, Traumatisierte) haben in solchen Notunterkünften überhaupt nichts zu suchen. Wir fordern die Landesregierung auf, für alle Schutzsuchenden menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewährleisten.“
Bereits im März 2023 hat der Flüchtlingsrat auf die mangelhaften Standards in der Notunterkunft „Messehallen“ hingewiesen: Die Unterbringung erfolgt dort in durch Bauzäune und Plastikplanen aufgeteilten Parzellen ohne (hinreichenden) Sichtschutz mit jeweils 2 x 8 Betten in großen Hallen. Es fehlt an jeglicher Privatsphäre, das Licht bleibt auch nachts angeschaltet, die ständige Geräuschkulisse zehrt an den Nerven. Aus Gründen des Gewaltschutzes ist es den Bewohner*innen verboten, ihre Betten mit Tüchern zu verhängen. Die Kinder werde nicht beschult und nur sehr beschränkt betreut. Die Betroffenen fühlen sich ausgeliefert und wissen meistens nicht, wann und wie es weiter geht.
Eine vorausschauende, auch auf größere Zugangszahlen ausgerichtete Aufnahmekonzeption des Landes ist grundsätzlich zu begrüßen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Geflüchtete länger als nötig in Hallen und Notunterkünften von indiskutablem Standard untergebracht werden. Doch genau dies geschieht derzeit: Statt angesichts des Rückgangs der Flüchtlingszahlen die Unterbringung in Notunterkünften zu beenden und die Menschen schneller auf die Kommunen zu verteilen, werden die Aufenthaltszeiten auch in den Notunterkünften ausgeweitet.
Claire Deery:
„Integrationspolitisch ist dies fatal: Die betroffenen Schutzsuchenden werden unter extrem belastenden Bedingungen monatelang in landeseigenen Unterkünften „geparkt“ und sind zum Warten verurteilt, ohne dass die Betroffenen den Ablauf verstehen und ankommen können.“
Aus Sicht des Flüchtlingsrats stellt eine Unterbringung von Schutzsuchenden in NUKs wie der Messehalle oder dem Bauhof Garbsen einen Verstoß gegen Art. 18 der Aufnahmerichtlinie dar und ist daher für einen mehr als kurzfristigen Zeitraum schlicht rechtswidrig. Das gilt natürlich insbesondere für vulnerable Personen, die dort untergebracht sind. Es ist inakzeptabel, die ursprünglich für die Überwindung kurzer Unterbringungsengpässe konzipierten Notunterkünfte in Dauerunterkünfte umzuwandeln, wenn diese ein menschenwürdiges Wohnen nicht ermöglichen. Die Zeit in den NUKs ist für die Betroffenen absolut nutzlos verbrachte und psychisch belastende Wartezeit im „Dazwischen“.
Eine offene Gesellschaft zeigt sich auch daran, wie schnell Geflüchteten ein Ankommen ermöglicht und eine Teilhabe gestattet wird. Im Umgang mit ukrainischen Schutzsuchenden hat das Land gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, die Aufenthaltszeiten in den Notunterkünften auf wenige Tage zu begrenzen und Schutzsuchende kurzfristig auf die Kommunen zu verteilen.
Claire Deery:
„Jahrelang hat Niedersachsen die vom früheren Innenminister konzipierten „Ankerzentren“ abgelehnt und auf einer schnellen Verteilung bestanden, doch inzwischen nähert sich die niedersächsische Konzeption mehr und mehr dem bayerischen Modell einer „Zwischenlagerung“ in Landeseinrichtungen an.“
Der Flüchtlingsrat fordert die Landesregierung auf, die Verträge für die Notunterkünfte „Messehallen“ und „Bauhof Garbsen“ umgehend zu kündigen und vulnerable Schutzsuchende ab sofort nicht mehr in diesen Notunterkünften unterzubringen. Die Aufenthaltszeiten in diesen Einrichtungen sind auf das Notwendigste zu begrenzen.
Zum Hintergrund:
Das Land Niedersachsen hat seine Unterbringungskapazitäten stark erhöht und will sie weiter ausbauen: Derzeit verfügt das Land über 3800 Plätze in den EAEs und will bis zu 7500 Plätze einrichten, die in Krisenzeiten auf bis zu 10.000 Plätze aufgestockt werden sollen. Weitere 5000 Plätze sollen in Notunterkünften bereitgehalten werden, 5000 Plätze sollen bei Bedarf über den Katastrophenschutz akquiriert werden.
Die Zahl der Asylanträge ist auch in Niedersachsen gegenüber dem Vorjahr deutlich gesunken (siehe Statistiken des nds. Innenministeriums). In Reaktion darauf hat die niedersächsische Landesaufnahmebehörde die Verteilungsquoten von Asylsuchenden auf die Kommunen in den letzten Wochen drastisch reduziert: War im vergangenen Jahr noch eine Verteilung zwischen 600 und 700 Asylsuchenden auf die Kommunen üblich, werden derzeit nur wöchentlich 300 Geflüchtete auf die Kommunen verteilt. Statt die Asylsuchenden wie bisher auf die Kommunen zu verteilen, werden sie einfach länger in Landesunterkünften untergebracht.
Für die Notunterbringung in den Messehallen wurde vom MI im Herbst 2023 eine Höchstaufenthaltsdauer von zwei Wochen festgelegt. Eine Unterbringung von Vulnerablen in den Messehallen sollte ganz vermieden werden. Später wurde – unter Bezugnahme auf administrative Probleme – die Aufenthaltsdauer in den Messehallen und im Bauhof Garbsen vom MI auf sechs Wochen erweitert. Inzwischen werden in diesen Einrichtungen Menschen mehr als sechs Monate untergebracht.
Gemäß § 44 Abs. 2a Asylgesetz sollen die Länder „geeignete Maßnahmen“ bei der Unterbringung Asylsuchender treffen, um den Schutz von schutzbedürftigen Personen zu gewährleisten. Explizit genannt wird hier der zu gewährleistende Schutz von Frauen. Einige weitere Personengruppen gelten nach Art. 21 der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) als besonders schutzbedürftig. Zu nennen sind hier beispielhaft Frauen, Kinder, queere, ältere, alleinerziehende oder behinderte Menschen. Als besonders schützenswert gelten auch Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Bei unseren Besuchen in den Messehallen und im Bauhof Garbsen treffen wir immer wieder auch Alte, alleinstehende Frauen, Mütter mit Säuglingen, Opfer von sexueller Gewalt, Kranke und traumatisierte Geflüchtete sowie Kriegsopfer und viele Kinder an.
Bei der generellen Umsetzung und Auslegung der gesetzlichen Vorschriften helfen die „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“. Diese Leitlinien wurden u.a. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erarbeitet, um für Bund, Land und Kommunen bei der Entwicklung von Gewaltschutzkonzepten Umsetzung zu finden.
Auch Notunterkünfte müssen von Anfang an Gewaltschutz sicherstellen. Das Aufnahmesystem muss so ausgerichtet sein, dass die Einhaltung der Rechte schutzsuchender Menschen zu jedem Zeitpunkt gewährleistet ist. Wie Gewaltschutz auch in Notunterkünften umsetzbar ist, hat eine Arbeitsgruppe der Bundesinitiative „Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ in seiner Empfehlung als „Policy Paper“ im Oktober 2023 veröffentlicht. Sie richtet sich damit an politische Entscheidungsträger*innen auf Bundes- Landes und kommunaler Ebene, um Gewaltschutz bei der Notunterbringung sicherzustellen. Von der Bundesinitiative wurden auch Checklisten zur Umsetzung der Gewaltschutzstandards entwickelt, welche praktische Anwendung finden müssen. Mitarbeiter*innen in Notunterkünften müssen aber Mindestvoraussetzungen der Unterbringung vorfinden, um diese Listen abarbeiten zu können. Die Notunterkünfte „Messehallen“ und „Bauhof Garbsen“ erfüllen die baulichen Voraussetzungen hierfür offenkundig nicht und müssen daher so bald wie möglich geschlossen werden.
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