BVerfG erhöht Anforderungen an die Ausweisung

Geschrieben von Dr. Dienelt Freitag, 14. September 2007

Das Bundesverfassungsgericht (Kammer) hat am 10. August 2007 eine grundlegende Entscheidung zur Ausweisung von langjährig im Bundesgebiet lebenden Ausländern getroffen, die die Ausweisungspraxis nachhaltig verändern wird. Die Verfassungsbeschwerde betraf die Bedeutung des Rechts auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG für die generalpräventiv begründete Ausweisung eines Ausländers, der seit vielen Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und nach seinem Vortrag keine tatsächliche Beziehung zu seinem Heimatstaat hat. Die Entscheidung führt letztlich dazu, dass alle Ausweisungstatbestände des Aufenthaltsgesetzes, unabhängig davon, ob es sich um Ist-, Regel- oder Ermessensausweisungen handelt unter den Grundsatz der Verhältnismäßigkeitsprüfung gestellt werden. Die zwingende Rechtsfolge, die der Gesetzgeber typisierend anordnet, wird damit unter den Vorbehalt einer verfassungsrechtlich vorgegebenen Einzelfallentscheidung gestellt.

Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 28. Oktober 2005 und den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Februar 2006 auf, weil diese den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg zurückverwiesen. Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger. Er wurde im Jahre 1971 im Iran geboren und wuchs dort bis 1975 auf. In diesem Jahr zog er mit seiner Familie nach Kuwait, wo sein Vater als Diplomat an der iranischen Botschaft tätig war. Nach der Revolution im Iran flüchtete die Familie über Belgien in die Bundesrepublik Deutschland. Der Beschwerdeführer wurde im Mai 1980 als Asylberechtigter anerkannt, im Februar 1987 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis; die Asylberechtigung besteht unverändert fort. Seine Schulbildung schloss er mit dem Fachabitur ab. Er war in verschiedenen Bereichen sowohl nicht-selbstständig als auch selbstständig beruflich tätig. Im Jahr 1999 wurde der Beschwerdeführer wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verurteilt. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens hatte er angegeben, seit zehn Jahren Konsument von Marihuana zu sein. Im Juni 2004 wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen, davon in 14 Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 7 Monaten verurteilt.

Das BVerfG stellte in seiner Entscheidung fest:
„bb) Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen der für die Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus schließlich auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit rein generalpräventiv begründeter Ausweisungen werden die gerichtlichen Ausführungen zum Regel-Ausnahmeverhältnis bei der Prüfung von § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht hat weder die konkreten Umstände der Straftat hinreichend in den Blick genommen, noch hat es die Auswirkungen der Ausweisung für das Privatleben des Beschwerdeführers ausreichend gewürdigt.

(1) Das Verwaltungsgericht hat sich zwar mit der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers befasst. Es hat dies indes nur unter dem Aspekt der Schwere der Straftat getan, wobei nicht klar wird, unter welchen Voraussetzungen es einen Ausnahmefall im Sinne von § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG (§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) für gegeben erachten würde. Das Verwaltungsgericht spezifiziert lediglich die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG und spricht im ßbrigen von „hinreichend schweren Straftaten“. Hingegen hat es sich nicht hinreichend mit den Motiven des Beschwerdeführers für seine Straftaten beschäftigt und auch nicht versucht, die konkreten Tatumstände näher aufzuklären. Dies wäre aber notwendig gewesen, um die Umstände der Straftat zu erkunden, welche zum Anlass einer Ausweisung zur Abschreckung anderer Ausländer genommen werden soll. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer erheblich gegen die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen hat, rechtfertigt für sich allein eine generalpräventive Ausweisung noch nicht (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1997 – 1 C 17/94 NVwZ 1997, S. 1119 <1121>). …

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Annahme eines Ausnahmefalls im Sinne von § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG gebietet, verkennt das Verwaltungsgericht in verfassungsrechtlich erheblicher Weise das Gewicht des über 25 Jahre andauernden Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, seiner Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat (vgl. dazu unter Bezugnahme auf. die Rechtsprechung des EGMR BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Mai 2007 – 2 BvR 304/07 -, a.a.O.), und des substantiiert vorgetragenen Fehlens tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit. In der angegriffenen Entscheidung wird lediglich festgestellt, dass der Beschwerdeführer über keine familiären und besonderen wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet verfügt. Die sonstigen persönlichen Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland, in der der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsverfügung immerhin über 25 seiner 33 Lebensjahre verbracht hat und in der er aufgewachsen und hauptsächlich zur Schule gegangen ist, werden nicht gewürdigt. Ebenso wenig ist das Gericht dem Vortrag zum Fehlen tatsächlicher Verbindungen zum Iran individuell nachgegangen, obwohl sich in Ansehung seiner Lebensgeschichte die Notwendigkeit aufdrängt, die behauptete Entwurzelung – insbesondere die fehlenden Kenntnisse der persischen Sprache und Kultur – aufzuklären.

Es trifft zwar zu, dass, worauf der Verwaltungsgerichtshof abstellt, für so genannte faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot besteht. Diese Feststellung wird für sich genommen aber dem von Verfassungs wegen gebotenen, auf die Erfassung der individuellen Lebensumstände des Ausländers angelegten Prüfprogramm nicht gerecht (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Mai 2007 – 2 BvR 304/07 -, a.a.O.). Gerade die Kombination der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Umstände zur Verwurzelung in Deutschland einerseits und der Entwurzelung hinsichtlich des Iran andererseits könnte dazu führen, dass eine nur auf Erwägungen der Generalprävention gestützte Ausweisung den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit nicht gerecht wird (..).“

gez. Rechtsanwalt ßnal Zeran

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