Der vorliegende Beschlussvorschlag für die MPK ist schockierend und inakzeptabel.
1. Kompetenzbereich verfehlt
Es ist nicht die Aufgabe der MPK, gesetzliche Detailregelungen vorzuformulieren, sondern Leitlinien. Was sich in den Kapiteln 9 ff. des vorliegenden Entwurfs eines Beschlussvorschlags der MPK wiederfindet, widerspricht in vielen Punkten den bisherigen Vorgaben und Festlegungen in Koalitionsvereinbarungen von Bund und Ländern und spiegelt in weiten Teilen die Sicht der rechten Populisten. Im MPK-Papier heißt es:
„Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder stimmen darin überein, dass bestandskräftige Ausweisungen vollzogen werden müssen. Dazu werden die Kräfte in den Ländern gebündelt und alle wesentlichen mit Rückkehrfragen zusammenhängenden Aufgaben zentralisiert.“
Diese Debatte wurde bereits vor einigen Jahren in Niedersachsen geführt. Nach langer Diskussion wurde deutlich, dass die Zuständigkeit in den jeweiligen Kommunen verbleiben soll. Eine erneute Diskussion erscheint völlig verfehlt.
2. Debatte um Ankerzentren wieder aufgewärmt
„Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder befürworten die Einrichtung zentraler Ankunftseinrichtungen, damit Rückführungen auch direkt aus diesen Einrichtungen heraus betrieben werden können“,
ist im MPK-Papier zu lesen. Bisher hatte sich Niedersachsen deutlich gegen die Einführung von Anker-Zentren gestellt.
„Sollen die vom Land Niedersachsen abgelehnten Ankerzentrums-Konzepte eines Horst Seehofer wirklich wieder auferstehen, die eine Isolierung von Geflüchteten über lange Zeiträume vorsahen? Solche Konzepte sind Gift für jede Integrationsplanung, sie widersprechen in eklatanter Weise den auf Landesebene getroffenen Vereinbarungen“, so Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
3. Effektivierung von Abschiebungen über Menschenwürde
Die Effektivierung von Abschiebungen wird in der vorliegenden Vorlage zur MPK priorisiert, ohne auch nur im Ansatz eine Abwägung vorzunehmen: Es seien „gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, anzupassen“, heißt es da. Dazu gibt es einen umfassenden Katalog von Rechtsänderungen, die darauf hinauslaufen, Abschiebungshaft zu erleichtern und zu verlängern. Behörden sollen „auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer des Betroffenen in der Unterkunft betreten können“, wenn es um Abschiebungen geht. Das bedeutet im Klartext: Wenn eine Abschiebung aus der GU nachts um 3 Uhr überraschend vollzogen wird, sollen alle Bewohner:innen damit rechnen müssen, aus dem Schlaf gerissen zu werden. Hier wird deutlich, dass die Autor:innen des Entwurfspapiers nicht auch nur im Ansatz eine Vorstellung davon haben, was das für die Bewohner:innen bedeutet, die jahrelang in Wohnheimen leben. Abgesehen davon, dürfte solch eine Regelung mit dem durch die EMRK (Art. 8) und aus Art. 1 des Grundgesetzes abgeleiteten garantierten Schutz des Privatlebens nur schwer vereinbar sein.
4. „Kurzer Prozess“ statt Einzelfallprüfung
Einreise- und Aufenthaltsverbote sollen ohne Rücksicht auf den Einzelfall durchgesetzt werden. Wohnsitzauflagen und räumliche Beschränkungen werden im Sofortvollzug umgesetzt. Es wird „kurzer Prozess“ gemacht.
5. Missachtung von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten
Ungeachtet der bisherigen Erfahrungen mit wirkungslosen und verfassungsrechtlich fragwürdigen Verfahren des Auslesens von Handys etc. soll dieser sehr weitgehende Eingriff in die Persönlichkeitsrechte frühzeitig und mehrfach ermöglicht werden.
6. Legitimierung von Pushbacks und Grenzverfahren
In Kap. 12 geht es dann um „eine bessere Kooperation auf europäischer Ebene“. Dazu zählt das Papier ganz selbstverständlich und ohne jeden Bezug auf die jetzt schon verheerende Praxis der europäischen Grenzregimes mit Lagerinternierung unter unsäglichen Bedingungen und systematischen Pushbacks auch die Etablierung eines „verpflichtenden“ Asylgrenzverfahrens „an den EU-Außengrenzen“. Die im Text genannten Bedingungen (höchstens dreimonatiges Verfahren plus 2 Wochen für Rechtsbehelf) sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind.
„Wen soll das überzeugen? Solche Fristen werden selbst in Deutschland weit gerissen. Wer soll sie umsetzen? Wer soll ein faires Asylverfahren an den Grenzen gewährleisten? Wir sehen doch täglich, was an den Küsten der EU passiert! Der Beschlussvorschlag hat voraussichtlich kaum Chancen auf eine Umsetzung, ist in seiner Tragweite aber kaum zu überschätzen: Das ist ein asylpolitischer Sündenfall. Die Verantwortung für das Asylrecht wird an die Außengrenzen abgeschoben“, kommentiert Kai Weber.
7. Mit vereinten europäischen Kräften Abschottung perfektionieren
Gemäß Kap. 13 soll die faktisch gescheiterte Dublin III – VO wiederbelebt werden. Obwohl klar ist, dass die EU-Randstaaten sich gegen die Zuweisung der Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren in Europa wehren und das Konzept auf alle möglichen Weisen unterlaufen, fällt der Konferenz nicht besseres ein als eine Wiederbelebung der alten Konzepte. Hat nicht die Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten in Europa verdeutlicht, dass eine Aufnahme von Geflüchteten auf der Basis von free choice-Konzepten und unter Einbeziehung der Selbsthilfekräfte der Betroffenen wie auch der Unterstützungsbereitschaft der Zivilgesellschaft viel bessere Ergebnisse zeitigt?
Kapitel 14 thematisiert „Maßnahmen für einen besseren Schutz der Grenzen“, wozu das Papier umstandslos auch die Unterstützung der Mitgliedstaaten „beim Ausbau von Grenzschutzkapazitäten und Grenzinfrastruktur“ sowie von „Mitteln für die Überwachung und Ausrüstung“ zählt – also offenbar auch Mauern und Stacheldraht, dazu Grenzkontrollen, Einfluss auf die Visumpraxis von Nachbarstaaten und die Abordnung von Beamt:innen „im Rahmen der Vorverlagerungsstrategie“.
Das Festhalten an Aufnahmeprogrammen „in begrenztem Umfang“ ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, liest sich in diesem Kontext aber als ein Element im Rahmen einer Flüchtlingspolitik, die das Grundrecht auf Asyl empfindlich beschneiden und in großem Stil die Rechte von Geflüchteten einschränken möchte, um sich am Ende für kleine Kontingente von aufgenommenen Geflüchteten feiern zu lassen.
Kontakt: Kai Weber, Tel. 0511 – 8487 9972, Mail: kw@nds-fluerat.org
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