Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 19.10.2022, veröffentlicht am 24.11.2022 (siehe Pressemitteilung des BVerfG) festgestellt, dass die um 10% geringeren Leistungen für alleinstehende/alleinerziehende Erwachsene in Gemeinschaftsunterkünften verfassungswidrig sind. Die Bundesregierung hatte im Jahr 2019 Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vorgenommen, die dazu führen, dass alleinstehende/alleinerziehende Erwachsene, die Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG oder (i.d.R. nach 18 Monaten in Deutschland) Leistungen nach § 2 (analog zum SGB 12) beziehen, die um 10% geringeren Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2 erhalten. Zuvor bekamen sie die höheren Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1. Die Bundesregierung begründete die Kürzung mit einer weit hergeholten Argumentation, wonach Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, durch gemeinsames Wirtschaften Geld einsparen könnten. Dieser Begründung mochte das BVerfG nicht folgen und stellte daher fest, dass die gekürzten Leistungen unter dem grundgesetzlich geregelten Existenzminimum liegen.
Das BVerfG verfügte daher in seinem Beschluss, dass ab sofort alle alleinstehende/alleinerziehenden Erwachsenen in Gemeinschaftsunterkünften, die Leistungen nach § 2 AsylbLG beziehen, die höheren Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 erhalten müssen.
Siehe dazu auch weitere Erläuterungen von Rechtsanwalt Sven Adam.
Eine Handreichung des Diakonischen Werks Deutschland erklärt ebenfalls sehr gut nachvollziehbar, was aus dem Beschluss des BVerfG folgt: siehe Handreichung hier
Was ist zu tun?
Für alleinstehende/alleinerziehende Erwachsene in Gemeinschaftsunterkünften, die Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen) beziehen:
Sofern das Sozialamt nicht bereits auf den Beschluss des BVerfG reagiert hat und ab dem 23.11.2022 die höheren Leistungen bewilligt, sollten alleinstehende/alleinerziehende Erwachsene, die in Gemeinschaftsunterkünften leben und Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen zum SGB 12) beziehen, Widerspruch gegen ihre laufenden Leistungen einlegen, um sicher zu gehen, dass Ihnen ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG (23.11.2022) auch tatsächlich Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 gewährt werden.
Wir haben hier auf Basis der sehr hilfreichen Vorlage unserer Kolleg:innen vom Flüchtlingsrat Thüringen eine Vorlage für einen Widerspruch erstellt: Vorlage_Widerspruch_AsylbLG_§2_RG2_12-2022
Für alle Personen, die Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG beziehen:
Das BVerfG hat nur über Leistungen nach § 2 AsylbLG entschieden. Allerdings gehen wir davon aus, dass diese Entscheidung auch auf alleinstehende/alleinerziehende Erwachsene in Gemeinschaftsunterkünften, die Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG beziehen, übertragbar ist. Es steht zudem noch eine Entscheidung des BVerfG auf Grund einer Vorlage des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen aus. In dem Fall, der demnächst vom BVerfG entschieden wird, geht es nicht allein um die gekürzten Leistungen für alleinstehende/alleinerziehende Erwachsene in Gemeinschaftsunterkünften, sondern grundsätzlich darum, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass Menschen 18 Monate lang (oder bei Kürzungen nach §1a AsylbLG ggf. sogar länger) nur die unter dem Existenzminimum liegenden Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG gewährt werden. Es ist zu erwarten, dass das BVerfG die Verfassungswidrigkeit dieser zu geringen Leistungen feststellen wird.
Um sich rückwirkend Leistungsansprüche zu sichern, sollten daher beim zuständigen Sozialamt Widerspruch gegen die laufenden Leistungen nach §3 3, 3a AsylbLG und Antrag auf Überprüfung der in der Vergangenheit gewährten Leistungen eingelegt werden.
Es ist wichtig, dass der Widerspruch und Überprüfungsantrag vor der anstehenden Entscheidung des BVerG eingelegt/gestellt werden!
Auch für einen Widerspruch und Antrag auf Überprüfung der Leistungen haben wir auf Basis der Vorlage unserer Kolleg:innen vom Flüchtlingsrat Thüringen eine Vorlage erstellt: Vorlage_Widerspruch_Ueberprfng_AsylbLG_§3_12-2022
Klage und Eilantrag:
Sollten der Widerspruch und/oder der Antrag auf Überprüfung und Rücknahme eines Bescheides vom Sozialamt abgelehnt werden, sollte Klage beim zuständigen Sozialgericht eingereicht werden. Wenn das Existenzminimum unterschritten wird, ist zudem immer ein Eilverfahren möglich und erfolgversprechend. Es kann bereits parallel zum laufenden Widerspruchsverfahren ein Eilantrag beim Sozialgericht gestellt werden, noch bevor über den Widerspruch entschieden wurde und bei Ablehnung dann evtl. Klage beim Sozialgericht eingereicht wurde. Sollte der Eilantrag abgelehnt werden, kann immer Beschwerde beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingelegt werden.
Keine Gerichtskosten:
Verfahren vor dem Sozialgericht sind kostenlos. Bei Klagen, die sich gegen Kürzungen im AsylbLG richten, gewähren die Sozialgerichte immer Prozesskostenhilfe, über den ein_e Anwalt/Anwältin finanziert werden kann.
Sollten die Bescheide fehlerhaft sein und Leistungen zu Unrecht Vorenthalten worden sein, müssen fehlerhafte Bescheide rückwirkend bis zum Vorjahr korrigiert und vorenthaltene Leistungen nachgezahlt werden.
Anwält:innen, die mit dem Asylbewerberleistungsgesetz vertraut sind, sind u.a:
Weitere Anwält:innen sind u.a. auf www.zusammenland.de zu finden.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...