Der Landkreis Celle hat einen psychisch schwer erkrankten Mann zusammen mit seinen vier minderjährigen Kindern abgeschoben – und dadurch von der schwangeren Mutter getrennt. Das Vorgehen des Landkreises sei nicht zu beanstanden, meint das niedersächsiche Innenministerium. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen und die Rechtsanwält:innen der Familie kritisieren die Behörden scharf.
In der Nacht des 20. Januar 2022 gegen 01:30 Uhr drang die Polizei in Begleitung eines Mitarbeiters des Landkreises Celle in die Wohnung der schlafenden Familie ein, um sie nach Georgien abzuschieben – obwohl dem Landkreis bekannt war, dass die im siebten Monat schwangere Frau M. aufgrund einer – attestierten – Risikoschwangerschaft nicht abgeschoben werden darf.
Der Landkreis Celle gibt an, dass Frau M. sehr aufgeregt gewesen sei und gegen ihre Abschiebung protestiert habe. Um Frau M. und ihr ungeborenes Kind zu schützen, habe der Landkreis entschieden, sie (vorerst) nicht abzuschieben und ihr eine „freiwillige Ausreise“ zu ermöglichen. Ihr psychisch erkrankter Ehemann, der mehrere Suizidversuche unternommen hat, und ihre vier Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren wurden trotzdem gegen ihren Willen mit einem Flugzeug von Berlin nach Georgien verfrachtet.
Das niedersächsische Innenministerium meint, der gesamte Vorgang sei nicht zu beanstanden. Da ein erster Abschiebungsversuch aufgrund des Widerstands der Familie abgebrochen worden sei, sei die Maßnahme von der geltenden Erlasslage gedeckt. Aus Sicht des Flüchtlingsrats kommt es aufgrund der Risikoschwangerschaft hierauf jedoch nicht an.
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen
„Das Verhalten der Verantwortlichen ist entsetzlich scheinheilig. Erst ignoriert die Ausländerbehörde, dass die Familie aufgrund der Risikoschwangerschaft von Frau M. nicht abgeschoben werden darf, und versucht es dennoch. Als ihr das Ganze zu gefährlich wird, deklariert sie die Aussetzung der Abschiebung zu einem fürsorglichen Akt und bieten Frau M. eine „freiwillige Ausreise“ an. Wäre den Behörden tatsächlichen an Frau M. und ihrem ungeborenen Kind gelegen, dann hätten sie die Familie nicht auseinandergerissen.“
Rechtsanwalt Paulo Dias (Hannover) und Rechtsanwältin Magdalena Gajczyk (Minden), die die Familie vertreten
Wir können nur hoffen, dass Frau M. ihr ungeborenes Kind nicht aufgrund dieses unmenschlichen Behördenverhaltens und den damit verbundenen erheblichen psychischen Belastungen verliert. Ihr Ehemann ist in Anbetracht seiner desolaten psychischen Verfassung nicht im Stande, die vier Kinder allein zu versorgen. Frau M., die derzeit laut Bescheinigung einer Fachärztin für Frauenheilkunde nicht abgeschoben werden soll, soll wohl durch die Schaffung vollendeter Tatsachen dazu psychisch gezwungen werden, trotz Risikoschwangerschaft „freiwillig“ auszureisen.
Die Rechtsanwält:innen Gajczyk und Dias und der Flüchtlingsrat Niedersachsen haben erst gegen 09:00 Uhr von den Vorkomnissen erfahren. Während das Innenministerium keine Veranlassung sah, die Abschiebung zu stoppen, sah sich das gegen 10:50 Uhr angerufene Verwaltungsgericht nicht in der Lage, bis zum Abheben des Sammelchartes um 12:00 Uhr eine Entscheidung zu treffen.
Nach Auffassung des Flüchtlingsrats und den Rechtsanwält:innen Dias und Gajczyk belegt der Fall, erhebliche, menschenrechtliche und rechtsstaatliche Defizite, die regelmäßig im Zusammenhang mit Abschiebungen zu beobachten sind. Zwei (weitere) Gründe, Abschiebungen in Frage zu stellen.
Kontakt
Rechtsanwält:innen – Paulo Dias und Magdalena Gajczyk
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Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
05 11 – 98 24 60 38, moy@nds-fluerat.org
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