6-jährige Celler Romni mit Schwerbehinderung nachts abgeschoben

Gemeinsame Presseinformation von Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., Roma Center e.V. und AK Asyl und Migration Celle, 19. Juli 2021

Celler Behörden schieben schwerbehindertes 6-jähriges Celler Mädchen nach Serbien ab, obwohl das Jugendamt seit Jahren für die Gesundheitsfürsorge des Kindes verantwortlich ist

Flüchtlingsrat Niedersachsen, Roma Center e.V. und der AK Asyl und Migration Celle kritisieren die Abschiebung einer alleinerziehenden Romni mit ihrer schwer behinderten sechsjährigen Tochter nach Serbien scharf. Die Stadt Celle und die Abschiebebeamt:innen rückten für die Abschiebung Ende Juni nachts gegen 1.30 Uhr in der Wohnung von Mutter und Tochter an. Das 2015 in Celle geborene Mädchen leidet unter einer schweren Hörminderung mit verbundener Spracherwerbsstörung, einer Mikrozephalie und einer Hüftdysplasie. Das Landessozialamt hatte deswegen bei ihr einen Grad der Behinderung von 90 Prozent festgestellt. Das Celler Jugendamt war für das Mädchen seit mehren Jahren zur Unterstützung der Mutter als Ergänzungspflegerin für den Bereich der Gesundheitsfürsorge eingesetzt. Erst kürzlich waren dem Jugendamt vom Amtsgericht Celle weitere Aufgabenbereiche für das Kind übertragen worden.

Helga Habekost, AK Asyl und Migration Celle:

„Wie kann es sein, dass niedersächsische Behörden mit solch kühler Härte eine besonders schutzbedürftige Romni mit ihrer schwer behinderten Tochter abschieben – noch dazu mitten in der Nacht -, während zeitgleich bei den Aktionswochen Vielfalt im Landkreis Celle mehrfach Veranstaltungen zum Antiziganismus organisiert wurden und die Wichtigkeit des Themas allerorten bekundet wird? Das Mädchen wurde nicht ohne Grund seit mehreren Jahren durch das Celler Jugendamt und die Caritas-Familienhilfe unterstützt, um die Rechte des Kindes zu wahren. Gab es hier ein vernetztes Versagen von Jugendamt, Familienhelferin, Gutachterin und Justiz? Es macht uns wütend und betroffen, dass die Ausländerbehörde der Stadt Celle trotz eines berechtigten Härtefallantrages weiterhin die Abschiebung betrieben hat. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Entscheidung des noch ausstehenden Asyl-Gerichtsverfahrens und der Härtefallkommission abzuwarten.

Dass die in der Wohnung verbliebenen persönlichen Sachen der Kleinfamilie nun (laut Hinweis der Ausländerbehörde) dem Wohnungsgeber zufallen sollen, hat ein weiteres „Geschmäckle“.“

Seit sechseinhalb Jahren kümmern sich zahllose Menschen und Institutionen in Celle und weiteren Orten Niedersachsens um das 2015 in Celle geborene Kind, um ihm trotz der schweren Behinderung eine gute Gesundheitsversorgung und Bildungsteilhabe zu ermöglichen. Die Mutter des Kindes war zuvor vor schwerer physischer und psychischer Gewalt aus Serbien nach Niedersachsen geflüchtet. Das Mädchen wurde zuletzt in einem Förderkindergarten spezifisch unterrichtet und sollte anschließend entweder vom Jugendamt in eine heilpädagogische Einrichtung für Hörgeschädigte überführt werden oder eine Sprachheilschule besuchen. Mitte Juni hatte eine Unterstützerin einen Härtefallantrag für die Familie gestellt, damit sich die niedersächsische Härtefallkommission mit der besonderen humanitären Situation der Familie befassen kann.

Sebastian Rose, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.:

„Die Celler Behörden schieben ein 6-jähriges schwerbehindertes Mädchens aus Celle nachts mit seiner Mutter in ein für sie völlig unbekanntes Land ab. Sie nehmen dafür eine schwere Kindeswohlgefährdung des Celler Mädchens nach der Abschiebung nach Serbien billigend in Kauf. Roma sind in Serbien in allen Bereichen des Lebens benachteiligt und müssen vielfach in slumähnlichen Quartieren leben. Das Mädchen wird dort keine ausreichend kindgerechte Entwicklungschance haben. Nicht umsonst hat das Celler Amtsgericht vor mehreren Jahren eine Ergänzungspflegschaft durch das Jugendamt angeordnet, um die Mutter zu unterstützen.
Wir fordern die sofortige Rückholung der kleinen Familie nach Celle, damit sich Mutter und Kind weiter so entwickeln können, wie es menschenrechtlich geboten ist! In Serbien droht ihnen baldige Verelendung.“

Die Mutter des Kindes war selbst in psychiatrischer Behandlung. Noch einen Tag vor der nächtlichen Abschiebung befand sie sich in Behandlung bei der Celler Psychiatrischen Institutsambulanz, ohne vom Abschiebetermin zu wissen. Es besteht der Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Celler Fachklinik überwies die Patientin zur weiteren Abklärung (mit Sprachmittler:in) an die Wahrendorffschen Kliniken Hannover, wo bald die weitere Behandlung erfolgen sollte.

Roma Center e.V.:

„Während bundesweit über das Ausmaß des Antiziganismus in Deutschland gesprochen wird, schieben niedersächsische Behörden erneut zwei besonders schutzbedürftige Romnja ins Elend ab. Erst vor wenigen Wochen hat die Unabhängige Kommission Antiziganismus, die von der Bundesregierung 2019 eingesetzt worden ist, ihre umfassenden Empfehlungen der Bundesregierung übergeben, die im Bundestag und in der Bundespressekonferenz vorgestellt worden sind. Die Fälle des Roma Center/ Roma Antidiscrimination Networks sind in den Bericht der Kommission eingeflossen. Die Kommission fordert einen Abschiebestopp und ein Bleiberecht für Roma.“

Flüchtlingsrat Niedersachsen, AK Asyl und Migration Celle sowie das Roma Center fordern die Rückkehr der Familie und schließen sich der Forderung der Unabhängigen Kommission Antiziganismus nach einem vollständigen Abschiebestopp für Roma an.

Kontakt

AK Asyl und Migration Celle, Helga Habekost, helga_habekost(at)yahoo.de, Tel. 05 141 20 51 663

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., Sebastian Rose, Tel. 0511 98 24 60 34, ab Mittwoch: 0511 98 24 60 30, sr(at)nds-fluerat.org, nds(at)nds-fluerat.org,

Roma Center e.V., mail(at)roma-center.de, Tel. 0551 388 7633

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11 Gedanken zu „6-jährige Celler Romni mit Schwerbehinderung nachts abgeschoben“

  1. Es wurde ein Spendenkonto eingerichtet:
    IBAN: De74 2695 1311 0091 1335 53 – Stichwort „Anastasija“
    BIC: NOLADE21GFW
    für die Richtigkeit: Helga Habekost, Celle

    Antworten
    • Hallo Frau Habekost,
      möchte auf das eigerichtete Spendenkonto
      Stichwort- Anastasija
      einen Geldbetrag spenden
      habe zZt.nur auf mein PayPal Konto
      Zugriff
      ist es mögl.über dieses Konto
      den Geldbetrag zu übertragen

      liebe Grüße aus Preetz
      Hartmut Koch

  2. Der Sadismus, den schon deutsche Kolonialisten und weiter die Nazis auf die Spitze trieben, wird immer noch weitergetrieben. Im Jahr 2021. Vielfach. Und nun eine Mutter und ihr Kind. Nachts aus dem Bett geholt und abgeschoben ins Elend. Offenbar durch „Gesetze“ gedeckt. Die Tätigen fühlen sich „im Recht“? Sie fühlen sich sicher.
    Was sind das für Gesetze, die solches Tun nicht nur zulassen, sondern „erlauben“? Welche Politik wurde gewählt? Wer sind Vertretende einer Politik, die immer wieder solches Grauen möglich macht?
    Diese alltägliche Normalität der Gewalt macht mich immer wieder fassungslos.
    Für mich ist das Staatsterror. Offiziell, in Deutschland, 2021.
    Das müssen wir als Zivilgesellschaft dringend beenden! Die Tätigen werden sich vor künftigen Gerichten verantworten müssen. Wir Alle* sind Zeuginnen und Zeugen. Es gibt kein Vergessen!

    Antworten
  3. Um aus der Schweiz zu überweisen benötige ich den Namen des Kontoinhabers, als auch eine Adresse. Weil es eine Auslandsüberweisung ist, sind diese Angaben zwingend. Wären Sie so gut und würden mir diese Angaben mailen? Gruss, Chris

    Antworten
  4. Liebe Frau Habekost,
    Vielen Dank an Sie, dass Sie sich um die Schwächsten in unserer Gesellschaft kümmern.

    Ich finde es unerträglich, dass eine alleinerziehende Frau mit ihrer kleinen Tochter abgeschoben wird.

    Danke, dass Sie mir durch das Spendenkonto ermöglichen auch ein bisschen zu helfen.

    Antworten
  5. Celle, 27.9.2021
    Herzlichen Dank allen Spendern – wenn möglich, legt noch mal was drauf.
    Unterdessen lebt das schwerbehinderte Kind mit seiner Mutter bei deren Schwester. Sie könnten voraussichtlich eine kl. Wohnung (2 Zimmer) für monatl. 200,- € mieten, müssten aber im Voraus für mind. 1/2 Jahr bezahlen. – Bislang wurden aus den Spendengeldern bereits für Übersetzungen (Arztberichte), Corona-Tests und -Masken 500 € überwiesen. – Die Abgeschobenen erhalten 0,0 € Unterstützung vom serbischen Staat und die 6-jährige kann weder KiTa, noch Schule besuchen!!! Medikamente müssen selbst bezahlt werden!
    „DANK an alle Spender“ sagt Helga Habekost

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