Unbegleiteter minderjähriger Flüchtling seit 13 Tagen rechtswidrig in Abschiebungshaft

Flüchtlingsrat fordert: Land Niedersachsen muss umgehend für eine sofortige Entlassung sorgen

Mit scharfer Kritik und einem öffentlichen Appell an die Landesregierung reagiert der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf die Inhaftierung eines unbegleiteten, vermutlich minderjährigen Flüchtlings. Der Jugendliche reiste am 19.02.2020 aus den Niederlanden ein, wobei er festgenommen und umgehend in der Abschiebungshaftanstalt im niedersächsischen Langenhagen inhaftiert wurde – ohne Einschaltung des Jugendamts. Da das Alter des jungen Menschen nicht klar war, führte das Jugendamt – allerdings erst nach erfolgter Inhaftierung – eine Inaugenscheinnahme in der Abschiebungshaft durch und kam zu dem Ergebnis, dass die „Minderjährigkeit nicht ausgeschlossen werden kann“. Auch die Bundespolizei, die die Inhaftierung veranlasst hat, gab das Geburtsdatum mit Ende 2003 an und geht damit ebenso von der Minderjährigkeit des jungen Flüchtlings aus wie die Justizvollzugsanstalt Langenhagen, die den mutmaßlich 16-Jährigen wohlweislich nicht zusammen mit den übrigen Gefangenen inhaftiert, sondern in einem separaten Trakt des Gefängnisses komplett isoliert unterbringt.

Johanna Lal, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrat Niedersachsen, kommentiert:

„Sowohl die Inhaftierung an sich als auch die zusätzliche Isolation in der Haft stellt eine akute Gefährdung des Kindeswohls dar. Der Jugendliche ist psychisch schwer belastet und weist körperliche Misshandlungsspuren auf. Seine Verfassung verschlechtert sich zusehends. Es muss dringend gehandelt werden.“

Bundespolizei und Niedersächsische Landesregierung stehen in der Verantwortung: Nach herrschender Rechtslage muss bei Verdacht auf Minderjährigkeit das Wohl des Kindes im Vordergrund aller staatlichen Maßnahmen stehen (BGH V ZB 185/14UNHCR 1997, 5.11 c; VGH Bayern 12 CE 14.1833, VGH München 12 C 14.1865). Die Bundespolizei – spätestens aber der zuständige Richter beim Amtsgericht – hätte beim Aufgreifen des Jugendlichen aufgrund der bestehenden Zweifel an der Volljährigkeit die Inhaftierung ablehnen und das Jugendamt kontaktieren bzw. einen Vormund zur rechtlichen Vertretung berufen müssen, was nicht erfolgt ist. Die Inhaftierung ist rechtswidrig, da gemäß § 62, Abs 1 AufenthG ein_e Minderjährige_r nur in besonderen Ausnahmefällen in Haft genommen werden darf. Hinzu kommt, dass der niedersächsische Rückführungserlass eine Inhaftierung von Minderjährigen grundsätzlich verbietet.

In der Nacht vom 26.02. auf den 27.02. eskalierte die Situation in der JVA: Offensichtlich aus konkreter Sorge vor einem Suizid wurde der junge Geflüchtete nicht etwa entlassen, sondern in die Strafanstalt für Erwachsene in der Schulenburger Landstraße verbracht, wo er in einer Einzelzelle mit Kameraüberwachung untergebracht wurde. Nachdem dort eine Scheibe zu Bruch ging, wurde er wegen drohender Selbstverletzung zunächst in eine andere Zelle mit getönten Fenstern verlegt, um ihn von außen zu beobachten und selbstverletzende Handlungen zu verhindern. Im Verlauf des 27.02. wurde er dann wieder in die Abschiebungshaftanstalt verbracht.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Mitarbeiter des Flüchtlingsrats Niedersachsen, kommentiert:

„Unserer Auffassung nach zeigt dieser Vorfall , dass weder die JVA Langenhagen noch die Strafanstalt in der Schulenburger Landstraße ein angemessener Ort für die Unterbringung des mutmaßlich minderjährigen und offenbar psychisch stark belasteten Jugendlichen ist.“

Vergeblich hat der Flüchtlingsrat bereits am 27.02.2020 das niedersächsische Innenministerium, das nds. Sozialministerium und das nds. Justizministerium mehrfach aufgefordert, die Inhaftierung zu beenden. Am Morgen des 2. März erklärte das niedersächsische Innenministerium sich für unzuständig, „da die Abschiebungshaft von der zuständigen Bundespolizeiinspektion beantragt worden ist“, und verwies auf „das für den Vollzug der Haft zuständige Justizministerium“. Von dort liegt bislang keine Reaktion vor.

Wir fordern die niedersächsische Landesregierung auf, die Inhaftierung des geflüchteten Jugendlichen umgehend zu beenden und ihn in die Obhut des Jugendamtes bzw. eines Vormundes zu geben.

Johanna Lal, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats Niedersachsen:

„Minderjährigenschutz geht vor. Das Land kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen und hat sofort die Freilassung anzuordnen.“

Für Rückfragen:

Johanna Lal, Tel.: 0511 – 85033490, jl@nds-fluerat.org

Muzaffer Öztürkyilmaz, Tel.: 0511 – 98246038, moy@nds-fluerat.org

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