Hohe Gebühren für Nutzung von Plätzen in Flüchtlingsunterkünften sind sittenwidrig

Die Zeitungen berichten über den Fall eines Neustädter Flüchtlings, der für sein 12 qm – Zimmer eine Nutzungsgebühr von 622 € monatlich zahlen soll (siehe Berichte in der HAZ, in der Neuen Presse, bei SAT 1 sowie beim NDR). Auf diese Problematik hat der Flüchtlingsrat schon im April 2019 auf einer Tagung hingewiesen.

Hierzu stellt der Flüchtlingsrat fest: Stadtsprecherin Nadine Schley behauptet, die Stadt Neustadt sei verpflichtet, eine „kostendeckende“ Gebühr zu erheben. Das ist falsch: Die Kommunen verfügen über weitgehende Spielräume bei der Ausgestaltung der Gebühren- bzw. Entgeltsatzungen. Es steht ihnen frei, niedrigere Gebühren zu erheben oder sogar vollständig von der Erhebung abzusehen, soweit daran ein öffentliches Interesse besteht (§ 5 Abs. 1 S. 3 NKAG). Zudem können die Kommunen bei der Gebührenbemessung und bei der Festlegung der Gebührensätze soziale Gesichtspunkte, auch zugunsten bestimmter Gruppen von Gebührenpflichtigen, berücksichtigen (§ 5 Abs. 3 S. 3 NKAG). Zu fordern ist daher, dass die Gebühren sozial gestaffelt werden, wie dies z.B. in Harburg oder in der Landeshauptstadt Hannover geschieht.

Während im Landkreis Harburg pro Person und Monat – abhängig von der Höhe des erzielten Einkommens – maximal 180,00 € (6,00 € pro Tag) fällig werden, erhebt die Samtgemeinde Gellersen pro Person eine monatliche Pauschalgebühr i.H.v. 360,00 € (12,00 € pro Tag) – unabhängig von der Höhe des erzielten Einkommens. In der Stadt Garbsen beläuft sich das monatliche Entgelt für die Unterbringung in einer der drei Flüchtlingsunterkünfte auf mindestens 753,60 € (24,98 € pro Tag) und reicht bis zu 855,30 € (28,51 € pro Tag). In Hemmingen betragen die Gebühren der Unterbringung 930,00 €. Sofern Geflüchtete in Burgdorf untergebracht werden, zahlen sie – je nach Unterkunft – pro Monat bestenfalls 261,54 € (8,71 € pro Tag) und schlimmstenfalls mit 738,69 € (24,62 € pro Tag) fast das Dreifache. Die Stadt Laatzen fordert monatlich zwischen 271,00 € (9,06 € pro Tag) und 673,80 € (22,46 €) von den dort untergebrachten Geflüchteten. In Lehrte differieren die Gebühren der Unterbringung zwischen 564,00 € (18,80 € pro Tag) und 304,20 € (10,14 € pro Tag), wohingegen obdachlose Personen ohne Fluchthintergrund pauschal 5,70 € pro Tag und damit höchstens 171,00 € im Monat zahlen. Eingerechnet werden etwa Investitionen für die Anschaffung oder Errichtung von Gebäuden, Abschreibungen für Investitionen oder Herrichtungskosten.

Der Fall des Neustädter Flüchtlings bringt die Ursachen gut auf den Punkt: Die oft hohen Herstellungskosten für Flüchtlingsunterkünfte, die 2015 unter Zeitdruck errichtet wurden, werden auf nur zehn Jahre abgeschrieben mit dem Ergebnis, dass rechnerisch eine absurd hohe „Nutzungsgebühr“ pro Wohnheimplatz zu Buche schlägt. Hinzugerechnet werden zuweilen auch noch Kosten für „Sicherheitsdienste“ oder Sozialarbeit.

Uns erscheint die Höhe der erhobenen Gebühren integrationspolitisch unsinnig und rechtlich fragwürdig, weil sittenwidrig. Im Übrigen demotivieren und frustrieren solch horrende Gebühren die Betroffenen. Sie haben einen Job, kommen endlich auf einen grünen Zweig und wollen sich Spielräume verschaffen, dann stellen sie fest, dass sie 60 bis 80 Prozent ihren Nettoeinkommens für die Unterbringung bezahlen müssen. Meist bleibt dann nicht mehr als Hartz IV zum Leben übrig. Vielen Geflüchteten treibt es die Tränen in die Augen, wenn sie mit rückwirkenden Forderungen der Kommunen von mehreren Tausend Euro konfrontiert sind und feststellen, dass sie vor einem Schuldenberg stehen.

Zu fordern ist daher, dass die Gebühren sozial gestaffelt und nach oben gedeckelt werden, wie dies z.B. in Harburg oder in der Landeshauptstadt Hannover geschieht. Es muss klare und verbindliche Regelungen für Gebühren geben, die nicht höher sein dürfen als die für Sozialwohnungen akzeptierten Mieten, unabhängig davon, ob es um deutsche Obdachlose oder um Flüchtlinge geht.

Darüber hinaus müssen Flüchtlinge bei ihrer Suche nach Wohnungen unterstützt werden. Die Engpässe bei der Wohnungssuche werden verschärft durch die Entscheidung des Landes, den Flüchtlingen einen Umzug in Städte zu verbieten, in denen sie Wohnungen zu akzeptablen Preisen mieten können (Delmenhorst, Wilhelmshaven, Salzgitter). Die Kommunen sind gefordert, alle Anstrengungen auf ein Auszugsmanagement aus Gemeinschaftsunterkünften zu legen, das flächendeckend mit allen relevanten Akteuren vernetzt sein muss, um Wohnungen aller benötigten Größen zu akquirieren. Hierbei müssen Kommunen auch interkommunal (auch innerhalb von Landkreisen) eng zusammenarbeiten, dabei aber auch die Belange und Wünsche der Geflüchteten berücksichtigen. Die Geflüchteten dürfen nicht allein gelassen, sondern müssen von den Kommunalverwaltungen eng unterstützt werden.

Wer von sittenwidrigen Gebührenforderungen betroffen ist, wird gebeten, der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats die Bescheide zukommen zu lassen, damit wir sie rechtlich prüfen können.

Hintergrund

Tagungsdokumentation: Kosten der Unterbringung in Flüchtlingsunterkünften, Tagung vom 12. April 2019 in Hannover

Presse

Arbeit macht Geflüchtete arm, in: taz vom 29. Juli 2019
Neustadt verlangt von Flüchtlingen 622 Euro für zwölf Quadratmeter, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung online vom 16. Juli 2019
622 Euro für zwölf Quadratmeter? „Das ist eine Form von Mietwucher“, in: Neue Presse online vom 16. Juli 2019
Wuchermiete im Flüchtlingsheim: 622 Euro für ein kleines WG-Zimmer, in: sat1regional.de vom 16. Juli 2019
Flüchtlingsrat: Hohe Gebühren für Unterbringung sittenwidrig, in: Hamburger Abendblatt online vom 17. Juli 2019
Flüchtlingsrat: Hohe Gebühren für Unterbringung sittenwidrig, in: rtl.de vom 17. Juli 2019
Flüchtlingsrat: Hohe Gebühren für Unterbringung sittenwidrig, in: welt.de vom 17. Juli 2019
Flüchtlingsrat: Hohe Gebühren für Unterbringung sittenwidrig, in: ntv. de vom 17. Juli 2019
Neustadt: Mieten für Geflüchtete überteuert, in: ndr.de, Hallo Niedersachsen vom 18. Juli 2019
Hohe Mietkosten für Geflüchtete, in: ndr. de, Niedersachsen 18.00 vom 18. Juli 2019
Unterbringungskosten für Geflüchtete. Arbeit macht Geflüchtete arm, in: taz online vom 29. Juli 2019

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1 Gedanke zu „Hohe Gebühren für Nutzung von Plätzen in Flüchtlingsunterkünften sind sittenwidrig“

  1. Liebe Mitstreiter*innen für Geflüchtet, eine von uns (Ak-Asyl, Sinzing/Bayern) ehrenamtlich betreute Familie ist aus Bayern nach Niedersachsen (Gehrden) gezogen. Von der Regierung von Unterfranken erhielt er eine Gebührenforderung für Unterbringung Rückwirkend bis 2016 über 15.184,71€ mit der Auforderung sich damit an sein zuständiges Jobcenter (=Barsinghausen) zu wenden. Erst durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde konnten wir das JC dazubringen, sich der Angelegenheit anzunehmen. Jetzt hat er trotzdem Mahnungen über die o.g. Summe erhalten. Gerne würde ich mich mit Ihnen zu diesem Vorgang austauschen. Meine Tel.Nr. 09404/2340

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