Flüchtlingsrat fordert Klarstellung von Pistorius: Libyen ist kein „sicherer Ort“

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert den niedersächsischen Innenminister Boris  Pistorius auf, der Einschätzung der Bundesregierung zu widersprechen, es gäbe in Libyen „sichere Orte“. Pistorius ist jetzt gefordert, öffentlich Menschenrechtspositionen zu beziehen und klarzustellen, dass eine Abschiebung oder Anlandung von Geflüchteten in Libyen den Seerechtskonventionen und der Europäischen Mernschenrechtskonvention sowie der Genfer Flüchtlingskonvention widerspricht.

Laut „Süddeutscher Zeitung“ vom 01.07.2017 sprach sich Pistorius vor einem Jahr für „Auffanglager in Syrien“ aus, ließ dann aber auf Kritik des Flüchtlingsrats (und aus den eigenen Reihen) über Staatssekretär Manke erklären, er habe von „Libyen“ gar nicht gesprochen und Anlaufstellen unter der Kontrolle des UNHCR gefordert (siehe Podiumsdiskussion vom 11.09.2017). Jetzt ist es an der Zeit, dass der niedersächsische Innenminister auch öffentlich klarstellt, dass es ihm ernst ist mit der Verteidigung der Menschenrechte, und dass auch Niedersachsen bereit ist, Flüchtlinge aus Italien aufzunehmen.

Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, um den Zynismus der auch von der Bundesregierung mitgetragenen EU-Flüchtlingspolitik auf den Punkt zu bringen: Mit ihrer Antwort vom 30.08.2018 auf eine Anfrage der Linken zum Thema „EU-Missionen zur Bekämpfung unerwünschter Migration im Mittelmeer“ (BT-Drs. 19/4092) hat die Bundesregierung ihn jetzt erbracht. Zu Frage 12 führt die Bundesregierung aus:

„Die Begriffsbestimmung [„sicherer Ort“, kw] ist auf die praktische Beendigung der jeweiligen Gefahrenlage für Schiffbrüchige auf See ausgerichtet, wobei die Umstände jedes Einzelfalles berücksichtigt werden müssen. Entsprechende Orte sind auch in Libyen gegeben.“

Mit unfassbarer Ignoranz geht die Bundesregierung damit über die Tatsache hinweg, dass laut UNHCR in Libyen mehr als 8.000 Flüchtlinge unter unsäglichen Haftbedingungen interniert sind (siehe auch:  Zeit vom 30.08.2018). Hunderte Menschen drängen sich in Räumen ohne Fenster. Es gibt wenig Nahrung, einige Flüchtlinge berichteten, dass sie tagelang überhaupt nichts zu essen bekommen hätten. Die Menschen werden in diesen Lagern teilweise gefoltert, die Frauen vergewaltigt. (siehe hierzu z.B. Zeit online, 2. August 2018).

Wie die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration FFM berichtet, ist die sogenannte libysche Küstenwache wegen des anhaltenden Kriegs um die Hauptstadt Tripolis zusammengebrochen. Die Aufnahme-, Verteilungs- und Lagerverwaltung in und um Tripolis habe sich aufgelöst. Anschliessend seien die Reste der sog. libyschen Küstenwache in die Milizenkämpfe im Süden der Hauptstadt verwickelt gewesen, d.i. weitab der Küste. Die Aufständischen gehörten zu den Minderheit-Milizen, die sich seit eineinhalb Jahren von den nationalen und internationalen Geldzahlungen ausgeschlossen sähen. (weitere Infos von FFM hier).

Italien droht indes weiterhin mit Abschiebungen nach Libyen, betreibt eine unerträgliche Hetze gegen Geflüchtete und missachtet offen das Völkerrecht. In dieser Situation braucht es jetzt öffentliche Solidaritätserklärungen der Länder, die das Flüchtlingsrecht hochhalten und nicht mit Füßen treten wollen. Auch Niedersachsen ist hier gefordert. Das Drama der „Diciotti“ darf sich nicht wiederholen, die am 20. August mit 177 aus dem Mittelmeer geborgenen Flüchtlingen in Catania  anlegte: Auf Geheiß von Innenminister Salvini wurden die Geflüchteten anschließend eine Woche auf dem Schiff interniert. Erbärmlicherweise fand sich fast eine Woche lang kein europäischer Staat zur Aufnahme der Geflüchteten bereit. Erst am 25. August erklärten sich die katholische Kirche sowie Albanien und Irland bereit, die Geflüchteten aufzunehmen. Rund 100 von ihnen kamen in das Aufnahmezentrum in Rocca di Papa bei Rom.

Von dort sind einige „geflüchtet“ (so der Transport-Minister der 5-Sterne-Bewegung, der diese Tat als „schwerwiegend“ eingeschätzt hat). Gestern sind 17 von ihnen in Rom bei einem Hilfepunkt von „Ärzte ohne Grenzen“ aufgetaucht: Die Polizei hat sie dann festgehalten, ins Präsidium gebracht und erst nach sechs Stunden frei gelassen. Anwählte und Flüchtlingsorganisationen sprechen von „einer Menschenjagd“ und haben deutlich gemacht, dass die Geflüchteten sich in Italien frei bewegen dürfen. Die Polizei hat den 17 mitgeteilt, sie sollten im Laufe der nächsten Woche Asyl in Italien beantragen. Wahrscheinlich wird das nicht geschehen, da viele Geflüchtete (die meisten aus Eritrea, einige aus Syrien) sich jetzt auf den Weg nach Norditalien befinden. Laut „La Repubblica“ werden sie versuchen, die Grenzen nach Österreich oder Frankreich zu überqueren. Von den 143 Menschen auf der „Diciotti“ sind bis jetzt 73 verschwunden.

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