McKinsey, Vollzugsdefizite und soziale Ausgrenzung

von Norbert Grehl-Schmitt

Es ist schon ein wenig in Vergessenheit geraten: Im August des vergangenen Jahres beauftragte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Unternehmensberatung McKinsey, um herauszufinden, was dem Bundesinnenministerium und wohl auch dem BAMF – und so auch dem Quereinsteiger Weise – in 40 Jahren deutscher Flüchtlingspolitik nicht gelungen war, ausfindig zu machen, – die Ursachen für und die Beseitigung von tatsächlichen Abschiebehindernissen. Die Erforschung der uns allen so verborgenen Erkenntnisse, also Krankheit, Schwangerschaft, fehlende Sorgerechtsregelungen, Passlosigkeit, fehlende Flugverbindungen, usw., wurde dem zu ewartenden Erkenntnisgewinn auch gut honoriert. Lt. Spiegel vom 05.08.2016 ließ sich die Bundesregierung – oder besser: ließen sich die Steuerzahler/innen – dieses Unterfangen 1,86 Millionen € kosten, – alles in allem 678 Beratertage zu einem durchschnittlichen Tagessatz von ca. 2.700 €.

Mitte Januar 2017 lag das Ergebnis auf dem Tisch, natürlich nicht auf des Steuerzahler´s Küchentisch, sondern auf den Schreibtischen der Bundesregierung. (siehe: Welt 11.01.2017: Die McKinsey-Ideen für optimierte Abschiebepolitik). Die Erkenntnisgewinne sind ebenso banal, wie die Kosten dafür hoch waren. Die in der Presse kolportierten Highlights mögen die Fluchtlistelesenden selbst bewerten. Ärgerlich und befremdlich ist es, dass mittlerweile auch ein Bundesland wie Schleswig-Holstein auf diese technokratische Quacksalberei und gut versteckte Propaganda von McKinsey hereinfällt.

Es hat seit 2015 zu keinem Zeitpunkt ein gegenüber früheren Jahren höheres, bzw. überhaupt nennenswertes „Vollzugsdefizit“ bei Ausreisen von Flüchtlingen gegeben. In den 80er- und 90er- Jahren gab es diese „Defizite“ tatsächlich, sie waren hausgemacht, weil Asylentscheidungen getroffen wurden, die gar nicht mehr so genannt hätten werden dürfen. Vergleichen wir die Zahl der Flüchtlinge, die 2016 Deutschland hätte verlassen müssen (ca. 170.000) , mit denen, die Deutschland verlassen haben (ca. 140.000 = 25.000 Abschiebungen + 55.000 freiwillige Ausreisen + 65.000 sonstige Erledigungen – wie Doppelzählungen – ohne Dublin) ergibt sich – zum Glück! – keine ausgeglichene Bilanz, aber diese Zahlen wären vor Jahren als Erfolg gefeiert worden. Im Übrigen machen die von der Linken abgefragten Daten der Bundesregierung über die Zahl der „Geduldeten und Ausreisepflichtigen“ in Deutschland deutlich, dass gegenüber dem Jahr 2015 nahezu keine Veränderung eingetreten ist:

McKinsey erledigt seinen Auftrag weisungs- und auftragsgemäß indes auf andere Art und Weise: Es wird suggeriert, alle abgelehnten Asylanträge seien final beendete. Schutzsuchende werden dann einfach in die Rubrik „Abschiebung“ verbucht. So entstehen Zahlen, vor der die Öffentlichkeit – und damit in heutigen Zeiten auch die ganze Riege des politischen Establishments – aufschreckt: 485.000 Menschen müssen gehen. Das sind nicht viel weniger als Hannover Einwohner hat! Da spüren wir förmlich die „nationale Kraftanstrengung“ (Bundeskanzlerin Merkel; siehe SZ vom 08.02.2017:  Abschiebung: Bund und Länder für nationale Kraftanstrengung).

Indes sieht die Wirklichkeit anders aus: von 01/2016 bis 03/2017 – also in den letzten 15 Monaten – wurden fast 140.000 Asylanträge als „unbegründet“ abgelehnt, Tendenz vermutlich deutlich steigend. Dass diese Verfahren jahrelang vor den Gerichten liegen werden, spielt dabei keine Rolle: die Diffamierung dieser schutzsuchenden Menschen als „illegale“, also abschiebbare Personen – McKinsey erweckt eher den Eindruck, als ginge es um Stückgut – schafft gleichzeitig den Nährboden für eine längst Wirklichkeit gewordene massenhafte Segregation, umgesetzt durch Arbeitsverbote, Internierung, Leistungskürzung und -verweigerung, usw., eine Salamitaktik, die im politischen Geschäft scheinbar wunderbar funktioniert.

Es wird – neben vielen anderen Dinge – wichtig sein, diese perfide Strategie zu entlarven und vor allem die soziale Segregation von Menschen in diesem unserem Land umfangreich zum Wahlkampfthema machen. Lassen wir uns nicht mehr einfach von gut bezahlten Nebelwerfern in die Irre leiten!

Nachtrag:

Üblicherweise ergänze ich meine eigenen Ausführungen eher nicht, aber in u.g. Kontext hatte ich eine Meldung des Spiegels übersehen, auf die die Presse in den vergangenen Tagen Bezug genommen hat und die einen eigenen Kommentar Wert ist::

Zahl der ausreisepflichtigen Asylbewerber unklar

Diese Meldung deckt sich nicht nur mit der Aussage, dass es kein „Vollzugsdefizit“ gibt, sie offenbart auch, wie – vermutlich nicht nur auf dem innenpolitischen Spielfeld – viel Geld für wenig Beratung ausgegeben wird: Wenn sich Ex-BAMF-Chef Weise tatsächlich darüber beschwert, dass das BMI – oder eben dessen Zähl-Instrument AZR -die falschen Zahlen übermittelt oder das BMI die tatsächliche Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen nicht kennt, dann stellt sich natürlich die Frage, ob bei einem Tagessatz von 2.700,00 € nicht auch erwartet werden kann, dass McKinsey die Datenlagen sorgfältig recherchiert, analysiert und bewertet, bevor Leitlinien für eine Abschiebepolitik verfasst werden.

Jedenfalls fällt eines der Säulenargumente des Beratungsunternehmens in sich zusammen: „Im Jahr 2017 werden die direkten Gesamtkosten (für die Ausreisepflichtigen, ngs) damit bei rund drei Milliarden Euro liegen“ (siehe „Welt“-Artikel). Wenn also die Zahlen nicht bekannt oder eben deutlich geringer sind, dann muss die Rechnung wohl neu aufgemacht werden. Im Handwerk jedenfalls müsste sich wohl manches Unternehmen auf gepfefferte Nachbesserungsforderungen gefasst machen…

Solch – gelinde gesagt – Oberflächlichkeit läßt erahnen, dass McKinsey wenig Recherchelust bei der indizierten Problemlage hatte, dass die Zeitspanne zwischen Ausreisepflicht und Vollzug „bei vollzogenen Rückführungen durchschnittlich zwölf Monate, in manchen Fällen sogar rund 4,5 Jahre“ (ebda.) betrug. Wenn dann geraten wird, „zu investieren, um die Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland zu verkürzen“ (ebda), dann wäre für ein solch umfassendes, zumindest teures Gutachten sicherlich auch der Frage nachzugehen gewesen, ob diese Investition nicht besser in und für Menschen erfolgt, die sich schon lange in Deutschland aufhalten und – in vielen Fällen – ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Investitionen in Qualifizierung und in Maßnahmen zur Teilhabe dürften jedenfalls bedeutend nützlicher sein, als scharf an Grundrechtsverstössen skiziierte – und damit immer auch rechtlich angreifbare – Ausschaffungsszenarien.

Die Flüchtlingshilfe hätte da sicherlich so manch gutes Gutachten für deutlich weniger Geld parat.

Bitte schreiben Sie an dieser Stelle nur allgemeine Kommentare.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...

Schreibe einen Kommentar

Jetzt spenden und unsere Arbeit unterstützen!