Niedersachsenweit sowie bundesweit drohen zahlreiche abrupte Hilfeabbrüche in der Unterstützung von unbegleitet Minderjährigen, die sich im Übergang in die Volljährigkeit befinden. Vielfach besteht der Bedarf, einer über die Volljährigkeit hinausgehenden Unterstützung, im Rahmen der Jugendhilfe. Der Rechtsanspruch ist gesetzlich klar verankert im § 41 SGBVIII.
Für viele Jugendliche droht dieser Abbruch bereits, wenn sie überhaupt erst einmal in der Jugendhilfe „richtig“ angekommen sind. Insbesondere im letzten Jahr hat sich für viele Kinder und Jugendliche die Phase der (vorläufigen) Inobhutnahme über einen sehr langen Zeitraum hinausgezogen. Die Jugendlichen wurden/werden demnach erst deutlich später im Rahmen der vorgesehenden Anschlussmaßnahmen (Wohngruppe, Mobile Betreuung, etc.) betreut.
Problematisch ist die regional sehr unterschiedliche Handhabung der Bewilligung der Hilfen für junge Volljährige sowie die Einschätzung von Bedarf und Notwendigkeit. Hinzukommt, dass den Jugendlichen als auch ihren Begleitpersonen (bspw. Vormünder) dieser Rechtsanspruch zum Teil nicht bekannt und transparent genug ist.
Deshalb hier nochmal der Aufruf, bei über die Volljährigkeit hinaus bestehendem Unterstützungbedarf ,diese Möglichkeit unbedingt auszuschöpfen und die Jugendlichen bei der Beantragung zu unterstützen!!
Vielfach droht ein Zusammenbruch des kompletten Unterstützungsnetzwerkes. Das heißt, es droht bspw. einigen jungen Menschen, aus der Jugendhilfeeinrichtung in eine Gemeinschaftsunterkunft ziehen müssen und zahlreichen Veränderungen unvorbereitet gegenüberzustehen. Die Volljährigkeit bringt mehrere (rechtliche) Veränderungen mit sich, die zu vielen Ängsten und Verunsicherungen führen: U.a. die Vormundschaft entfällt, die aufenthaltsrechtliche Situation ist oft noch nicht gesichert/geklärt/transparent , (mögliche) Ausreisepflicht wird vollziehbar, Zuständigkeitswechsel der Behörden, es drohen erneute Beziehungsabbrüche und ein erneuter Verlust von Stabilität…
Auf Grundlage der Arbeitshilfe des Bundesfachverbandes für UMF ist hier eine (um einzelne Aspekte erweiterterte ) Informations- und Handlungsgrundlage zusammengestellt:
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Rechtsanspruch und Beantragung von Hilfen für junge Volljährige
Aktuell zeichnet sich erneut die Tendenz ab, Anträge auf Hilfeverlängerungen über das 18. Lebensjahr hinaus bundesweit abzulehnen, obwohl ein Unterstützungsbedarf vorliegt. Dies hat sich nach Wahrnehmung des Bundesfachverbandes umF und des Flüchtlingsrates Nds. in den letzten Monaten mit den steigenden Zahlen von jungen Geflüchteten zusätzlich verschärft. Die aktuell vielerorts herausfordernde Situation darf Standards der Jugendhilfe nicht zu Lasten der Jugendlichen senken.
Thematische Inhalte :
1. Wer ist leistungsberechtigt?
2. Rechtsgrundlage
2.1 Leistungsinhalte
2.2 Anspruchsvorraussetzungen
2.2.1 Kriterien zur Beurteilung der Persönlichkeitsentwicklung
2.3 Notwendigkeit
3. Was tun bei Ablehnung der Hilfe?
4. Verfahrensablauf
5. Konsequenzen frühzeitiger und abrupter Hilfebeendigung
1. Wer ist leistungsberechtigt?
Nach § 41 SGB VIII gibt es den Anspruch auf Hilfen für junge Volljährige bis zum 21. Lebensjahr, bei besonderen Gründen bis zum 27. Lebensjahr.
Dieser Rechtsanspruch besteht für alle Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden, die in Deutschland leben und ist demnach unabhängig vom Aufenthaltsstatus zu gewähren.
Der junge Mensch ist selbst leistungsberechtigt und hat einen Rechtsanspruch auf die notwendige und bedarfsgerechte Unterstützung – sowohl stationär als auch ambulant. Dieser Anspruch erstreckt sich auch auf junge Volljährige, die nach dem 18. Lebensjahr erstmalig einen solchen Bedarf geltend machen.Nach dem Erreichen des 21. Lebensjahres kann eine Hilfe nach § 41 SGB VIII grundsätzlich nicht mehr begonnen werden. Eine Fortsetzung laufender Hilfen über das 21. Lebensjahr ist aber in begründeten Einzelfällen möglich.Die Beweislast bei Ablehnung liegt bis zum 21. Lebensjahr bei dem Jugendamt.
2. Rechtsgrundlage
Nach § 41 Abs. 1 SGB VIII sollen Hilfen gewährt werden
– zur Persönlichkeitsentwicklung und
– zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung, wenn sie aufgrund der individuellen Situation notwendig ist.
Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten § 27 Absatz 3 und 4 SGB VIII sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend. Zielstellung ist der Fortschritt im Entwicklungsprozess. Grundsätzliche Voraussetzung für jede sozialpädagogische Dienstleistung ist eine bestehende oder zu erzielende Bereitschaft zur Mitwirkung. Dabei ist Mitwirkung allerdings keine Einbahnstraße, sondern sozialpädagogische Herstellungsaufgabe. Fehlende Mitwirkung führt deshalb nicht reflexartig zur Beendigung der Hilfe. Eine Leistung ist allerdings dann nicht zu gewähren, wenn sie offensichtlich erfolgslos ist. An den Erfolg sind keine besonders strengen Anforderungen geknüpft. Vielmehr reicht jede spürbare Verbesserung. Wo jedoch sozialpädagogische Hilfen notwendig sind, ist die Jugendhilfe vorrangig zuständig.
Nach Beendigung der Jugendhilfe, hält das Gesetz einen Anspruch auf Nachbetreuung nach § 41 Abs. 3 SGB VIII vor. Junge Erwachsene sollen danach auch nach Beendigung der Hilfen im notwendigen Umfang beraten und unterstützt werden.
2.1 Leistungsinhalte
Gemäß § 41 SGB VIII: Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten § 27 Absatz 3 und 4 SGB VIII sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend:
§ 27 SGB VIII Abs. 3 und 4
pädagogische und therapeutische Hilfen zur Erziehung, auch Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen und Erziehungssituationen, in deren Rahmen auch Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen nach § 13 Abs. 3 und § 19 SGB VIII gewährt werden kann
§§ 28-30, 33-35 SGB VIII
Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII), Soziale Gruppenarbeit (§ 29 SGB VIII), Erziehungsbeistand und Betreuungshelfer (§ 30 SGB VIII)
Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII), Heimerziehung und sonstige betreute Wohnform (§ 34 SGB VIII), Intensive sozialpädagogische Einzelfallhilfe (§ 35 SGB VIII)
Schnittstelle zur Eingliederungshilfe:
(drohende) seelische Behinderung (§ 35a SGB VIII)
2.2 Anspruchsvorraussetzungen
-keine präzise Bestimmung der Anspruchsvoraussetzungen
Voraussetzungen der Gesetzesformulierung:
1. Erforderlich aufgrund der individuellen Situation
2. Einschränkungen in der Persönlichkeitsentwicklung
3. Einschränkungen in der eigenverantwortlichen Lebensführung / Selbstständigkeit
2.2.1 Kriterien zur Beurteilung der Persönlichkeitsentwicklung
– Grad der Autonomie
– Durchhalte- und Konfliktfähigkeit
– Fähigkeit zum Aufbau von Beziehungen zur sozialen Umwelt
– Fähigkeit zur Bewältigung von Anforderungen des täglichen Leben
2.3 Notwendigkeit
Die Notwendigkeit von Hilfen zur Gestaltung einer eigenverantwortlichen Lebensführung muss gegeben sein.
Insbesondere folgende Fallgruppen bzw. Entwicklungshemmungen, können eine Notwendigkeit begründen:
– bisherige Betreuung nach §§ 33, 34, 35a SGB VIII
– brüchige, gestörte Lebenswege
– problembelastete Lebenslagen wie bspw. Obdachlosigkeit, Suchtkrankheit oder Suchtgefährdung
– Seelische Belastungen, psychische Störungen, nicht aufgearbeitete, familiäre Konflikte
– Eingliederung in die Arbeitswelt erscheint aufgrund schulischer, beruflicher oder sonstiger Abbrüche gefährdet
– Aussteiger/innen aus problematischem Milieu
3. Was tun bei Ablehnung der Hilfen?
Im Falle einer unrechtmäßigen Ablehnung des Antrages auf Hilfen für junge Volljährige kann versucht werden – auch mit Hilfe von Ombudschaftsstellen – eine Einigung mit dem örtlichen Jugendamt zu erzielen.
Erforderlich für die rechtmäßige Ablehnung ist eine einzelfallbezogene Begründung des Jugendamts. Wird die Ablehnung nicht begründet oder erfolgt diese nur pauschal, also nicht auf den Einzelfall bezogen, kann dies gerichtlich überprüft werden. Der junge Mensch kann seinen Regelanspruch nämlich beim örtlichen Verwaltungsgericht einklagen, wenn die Ablehnung der Hilfe rechtswidrig erscheint. Um gerichtliche Schritte gehen zu können, benötigen die meisten jungen Menschen Unterstützung, sowohl rechtlich als auch durch eine fachliche pädagogische Begleitung auf Trägerebene. Vielfach müssen Träger bis zur endgültigen Entscheidung über eine Hilfegewährung in Vorleistungen gehen, dies lohnt sich jedoch in den meisten Fällen und kann für die jungen Menschen zukunftsentscheidend sein.
4. Verfahrensablauf
4.1 Beantragung und Begründung
Der oder die Jugendliche beantragt – wenn möglich einige Wochen oder Monate – vor dem 18. Geburtstag eigenständig eine Hilfeverlängerung gem. § 41 SGB VIII. Dieser Antrag muss die Sicht der oder des Jugendlichen, also eine subjektive Begründung beinhalten, warum und in welchen Lebensbereichen weiter Hilfen zur Erziehung benötigt werden. Dem Antrag ist eine schriftliche Stellungnahme des/der verantwortlichen Betreuer:innen beizufügen, die die Hilfeverlängerung aus fachlicher Sicht der betreuenden Einrichtung darlegen.Gutachten oder Perspektiven von Ärzt:innen, Therapeut:innen, Schulpädagog:innen oder anderen Bezugspersonen sind hilfreich und einzubeziehen, um das Bild zu vervollständigen oder einzelne Bedarfslagen zu klären.Gründe für die Verlängerung von Hilfen sollten im Vorfeld auch im Rahmen des Hilfeplangesprächs begründet dargelegt werden.
Kompletter Verfahrensablauf:
– Schriftlichen Antrag stellen mit ca. 17,5 Jahren (empfehlenswert)
– ein schriftlicher Antrag erfordert einen schriftlichen Bescheid
– junger Mensch ist Anspruchsinhaber*in
– Antragsbegründung: Persönlichkeitsentwicklung, Nachreifung, Verselbsständigung,
– Untermauerung durch Gutachten und Stellungnahmen von Fachkräften
– Bearbeitungsdauer max 3 Monate
– Widerspruch innerhalb von 4 Wochen
– Bei abgelehntem Widerspruch: Klage vor dem Verwaltungsgericht innerhalb von 4 Wochen;Eilantrag erforderlich
5. Konsequenzen frühzeitiger und abrupter Hilfebeendigung
Die Jugendlichen, die nach Beendigung der Jugendhilfe noch nicht über einen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen, erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und unterliegen zahlreichen Beschränkungen. Mit dem Ende der Jugendhilfe wird darüber hinaus fraglich, ob Wohnraum zur Verfügung steht, ob Gesundheitsversorgung und Therapie in vollem Umfang gewährt werden und ob eine Ausbildung bewältigt werden kann.
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Außerdem ist ergänzend die Arbeitshilfe des Bundesfachverbandes umF, sowie eine empfehlenswerte ausführliche Darstellung des Rechtanspruches von Frau Rosenbauer und Frau Schiller des Berliner Rechtshilfefonds aufrufbar:
BUMF Arbeitshilfe:
Arbeitshilfe BUMF JungeVolljährige
Schiller/Rosenbauer : „Jugendhilfe für junge Volljährige“:
rosenbauer-schiller_junge-volljaehrige-41-sgb-viii_jsaaktuell14316
Rechtsanspruch und Beantragung der Hilfen für junge Volljährige:
Zusätzlich noch der Hinweis auf die Themenseite zu jungen volljährigen Flüchtlingen auf der Homepage des Bundesfachverbandes umF: (www.b-umf.de/de/themen/junge-volljaehrige).
Abschließend appellieren wir gemeinsam mit dem Bundesfachverband umF eindringlich an die Entscheidungsträger der Länder und Kommunen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und junge Flüchtlinge nicht ohne reale Chancen auf schulische und berufliche Ausbildung sowie eine aufenthaltsrechtliche Unterstützung und Perspektivklärung aus der Jugendhilfe zu entlassen!
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...