Die seit über einem Jahr von Bundesinnenminister Thomas de Maizière gebetsmühlenhaft gegenüber den Bundesländern vorgetragene Forderung, Abschiebungen nach Afghanistan zu vollstrecken, setzt sich durch. Am 2. Oktober 2016 hat Deutschland mit Afghanistan ein Rücknahmeabkommen geschlossen. Niedersachsens Innenminister Pistorius hat sich bisher zurückhaltend geäußert, Abschiebungen nach Afghanistan gab es nicht (Ausnahme: Straftäter). Jetzt liegt ein Brief de Maizières vor, in dem die Länder aufgefordert werden, das Abkommen „zügig mit Leben zu füllen“. Mit Blick auf die landesweit zunehmend eskalierende Gewalt in Afghanistan, gehen Rückführungen hingegen mit unkalkulierbaren Risiken für die Betroffenen einher.
Der politische Druck auf afghanische Schutzsuchende ist seit Anfang Oktober 2016 deutlich gestiegen. In Brüssel kamen viele Staaten zur Afghanistan-Konferenz zusammen, die sich eigentlich mit der Zukunft des Landes befassen soll. Im Rahmen dessen wurde nun allerdings auch ein Papier der Europäischen Union und der Regierung Afghanistans bekannt, das am vergangenen Wochenende unterzeichnet wurde. Der „Joint Way Forward on migration issues between Afghanistan and the EU“ ist eine Vereinbarung, die den EU-Staaten die leichtere Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen in ihre Heimat garantieren soll.
Das soll auch ein bilaterales am 2. Oktober zwischen Afghansistan und Deutschland geschlossenes Rücknahmeabkommen gewährleisten.
Für eine Abschiebung notwendige Reisedokumente sollen nun innerhalb bestimmter kurzer Fristen von den afghanischen Außenvertretungen ausgestellt werden können. Derzeit wird sogar darüber nachgedacht, am Flughafen in Kabul ein eigenes Terminal für Zwecke der Rückführung einzurichten. Sicherlich wird dieses Thema auch eines der Themen auf der kommenden Innenministerkonferenz Ende November in Saarbrücken sein.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen verweist erneut auf ein im März 2016 veröffentlichtes Fact-Sheet. Darin werden Hinweise gegeben, welche aufenthaltsrechtlichen Perspektiven für geduldete Afghan:innen bestehen. Gegenüber der damaligen Rechtslage ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich im Bereich Arbeitsmarkt weitere Veränderungen wie das Aussetzen der Vorrangprüfung sowie die Anspruchsduldung bei Ausbildung ergeben haben, von denen auch Afghan:innen aufenthaltsrechtlich profitieren könnten.
Aus Sicht des Flüchtlingsrats ist es besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass alle Afghan:innen das Recht auf ein faires unvoreingenommenes Asylverfahren in Deutschland haben und nicht dazu gedrängt werden dürfen, ihre Asylanträge zurückzunehmen. Sorge macht dabei der Blick auf die trotz unveränderter Sicherheits- und Verfolgungslage geänderte Entscheidungspraxis des BAMF, auf die der Flüchtlingsrat bereits im August 2016 hingewiesen hatte.
Laut einem Sprecher des Auswärtigen Amtes vom 9.9.16 liege „der Schwerpunkt von Rückführungen mit Afghanistan im Bereich der freiwilligen Rückkehr“. Die bisherigen Zahlen könnten sogar noch höher als die des BAMF liegen, da “einige auf Förderung ganz verzichten oder sich aus Programmen bedienen, auf die der Bund keinen überblicksartigen Zugriff hat.”
Gleichzeitig stehen hinter der Freiwilligkeit bei „freiwilligen Rückkehrern“ einige Fragezeichen. Die Bundesregierung hat bereits erfolgreich politischen Druck aufgebaut, der die sogenannte Schutzquote für Afghanen weiter deutlich gesenkt hat. Dazu gehören laut Pro Asyl Die Verwendung von “Entmutigungsstrategien” und “gezielte Verunsicherung”.
Viele der Rückkehrer dürfte jetzt eine schwierige Zukunft bevorstehen – schon vorher wurde berichtet, dass sie in Kabul nicht wie versprochen Unterstützung erhalten Auch von dem Jobprogramm, das der afghanische Präsident Ghani im letzten Jahr vor dem Hintergrund der großen Fluchtbewegungen versprach, ist in Afghanistan nichts zu sehen.
PRO ASYL hat im August 2016 eine lesenswerte Broschüre zur Situation in Afghanistan aufgelegt und Ende September 2016 eine Protestaktion gegen Abschiebungen nach Afghanistan gestartet und fordert faire Asylverfahren sowie einen sicheren Aufenthaltsstatus für Afghanen. Im August ist die Schutzquote in Deutschland auf unter 50% eingebrochen, obwohl sich die Situation in Afghanistan in keiner Weise zum Besseren verändert hat. In Griechenland sitzen derweil Tausende Afghanen fest, ihnen droht ohne Prüfung der Schutzbedürftigkeit die Rücküberstellung in die Türkei. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe erklärt in der aktualisierten Stellungnahme vom 30.9.2016 zu Afghanistan und in einer Stellungnahme vom 5. Oktober zur Lage in Kabul die Sicherheitslage erheblich in Frage. Die Hilflosigkeit, mit der die Bundeswehr sich an der propagandistischen Ertüchtigung der afghanischen Streitkräfte beteiligt, schildert Sandra Petersmann am 14.10.2016 in einer DLF-Reportage.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert zu Protestschreiben an Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf. Mit dem Informationsblatt „Afghanistan ist nicht sicher“ informiert der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein über die aktuelle Lage in Afghanistan und die dort für Rückkehrende bestehende Risiken und Gefahren.
Nicht zu glauben ‚ dassman diese Menschen in eine unsichere Zukunft schickt. Jeder sollte sich vorstellen, wie es wäre ‚ wenn er in ein Kriegs land geschickt würde.