Niedersachsen forciert Abschiebungen / Zahlen zu 2015

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Auf Anfrage der CDU im niedersächsischen Landtag veröffentlichte die Landesregierung folgende Zahlen (siehe Drucksache 17/5491):
Verglichen mit dem Vorjahr sind die Abschiebungszahlen weiter gestiegen. 2015 gab es insgesamt 1.133 Abschiebungen (2014: 855). Auffällig ist dabei insbesondere der starke Anstieg der Zahl der Direktabschiebungen in das Herkunftsland (2015: 871 gegenüber 300 im Jahr 2014), während die Zahl der Abschiebungen im Rahmen der Dublin III – Verordnung zurück ging (2015: 262, 2014: 555). Über die Hälfte aller Abschiebungen erfolgten in Westbalkanstaaten (682).

542 Abschiebungen wurden zur Nachtzeit begonnen (Die ursprünglich genannte Zahl von 716 wurde nachträglich korrigiert. Im Vorjahr waren es 391). Das ist ein Armutszeugnis vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der sog. Rückführungserlass des Landes den Behörden vorschreibt, Abschiebungen „grundsätzlich“ nicht zur Nachtzeit vorzunehmen. Die Landesregierung rechtfertigt – anders als bislang – auch ein gewaltsames nächtliches Eindringen in Wohnungen zur Durchsetzung von (unangekündigten) Abschiebungen. Zwar läge die Voraussetzung für ein Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur Nachtzeit gem. § 24 Abs. 4 Nds. SOG „in der Regel bei Abschiebungen nicht vor“. Jedoch dürften Wohnungen gemäß § 24 Abs. 5 Nr. 2 Nds. SOG „zur Verhütung des Eintritts erheblicher Gefahren“ jederzeit betreten werden, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Personen aufhalten, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen“. Eine „erhebliche Gefahr“ sieht die Landesregierung unter Verweis auf § 2 Nr. 1 Buchstabe c Nds. SOG als gegeben an, „wenn ein aufenthaltsrechtlicher Straftatbestand erfüllt ist“.  Das ist wenig überzeugend: Der nicht genehmigte Aufenthalt von Flüchtlingen in Deutschland stellt offenkundig keine „Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut“ dar.

Folgende Herkunftsländer kooperieren bei Abschiebungen nach Auskunft der Landesregierung wenig oder gar nicht:
Ägypten, Äthiopien, Armenien, Aserbaidschan, Bangladesch, Benin, Burkina Faso, China, Cote d’Ivoire, Eritrea, Ghana, Guinea, Indien, Jordanien, Kambodscha, Kuba, Libanon, Liberia, Mali, Niger, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien.  Flüchtlinge aus diesen Herkunftsländern, denen eine „mangelnde Mitwirkung“ bei der Passbeschaffung unterstellt wird, sollten sich auf diese Auskunft der Landesregierung zur Begründung dafür stützen, dass das Fehlen von Passpapieren nicht von ihnen zu vertreten ist. Für Syrien gibt es einen förmlichen Abschiebungsstopp. Auch in den Zentralirak wird nicht abgeschoben. Vereinzelt wurden in der Vergangenheit nach Angaben der Landesregierung Abschiebungen auch nach Afghanistan oder in den Nordirak durchgeführt, in den vergangenen drei Jahren jedoch nicht.

Für das Jahr 2016 rechnet die Landesregierung mit bis zu 1,2 Millionen asylrechtlichen Entscheidungen – und leitet daraus die Erwartung ab, dass auch die Zahl der Abschiebungen drastisch ansteigen wird. „Die Landesregierung stellt sich jedenfalls darauf ein, dass es … im Vergleich zu 2015 zu einer Verdreifachung der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigungen in Niedersachsen kommen kann, also über 3000 Abschiebungen vollzogen werden müssen.“ Entsprechend wird die Zahl der Verwaltungsvollzugsbeamt*innen (derzeit 41) 2016 um weitere 46 Stellen drastisch aufgestockt.  Diese Maßnahmen des Landes erscheinen überzogen angesichts der Tatsache, dass derzeit rund drei Viertel aller Flüchtlinge aus Ländern mit hoher Anerkennungschance kommt (Syrien, Irak, Afghanistan), und dass in etliche Herkunftsländer aus anderen Gründen nicht abgeschoben werden kann (s.o.).

Im Jahr 2015 wurden 18 von der Bundespolizei und den Ländern organisierte Charterflüge (2014: vier) und elf internationale Frontex-Charterflüge (Vorjahr: fünf) genutzt bzw. durchgeführt. Im Dezember 2015 und Februar 2016 hat Niedersachsen eigene Chartermaßnahmen für Abschiebungen in Westbalkanstaaten initiiert. „Zusätzlich erleichtert wurden diese Maßnahmen dadurch, dass seit November 2015 zur Rückführung von Personen aus dem Westbalkan als Reisedokument das sog. EU-Laissez-Passer genutzt werden kann.“ Niedersachsen plant weitere Charterabschiebungen in Westbalkanstaaten in Kooperation mit Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

Am 31. Januar 2016 hielten sich in Niedersachsen insgesamt 18.904 Personen auf, die „ausreisepflichtig“ sind. Davon haben 14.992 Personen eine Duldung, darunter überwiegend Flüchtlinge aus Westbalkanstaaten (6.464 Personen), aber auch 527 Syrer*innen, 583 Afghan*innen, 474 Iraker*innen, 86 Eritreer*innen.  Rund ein Fünftel (2.849) lebt bereits seit 11 Jahren und länger in Deutschland, rund ein Viertel (3865) seit über 5 Jahren.

Kai Weber

Quellen:

Antwort der Landesregierung vom 5.4.2016 auf eine Anfrage der CDU:  Wie sieht das Konzept der Landesregierung zur konsequenten Rückführung von ausreisepflichtigen Menschen aus Niedersachsen aus?, Drucksache 17/5491
Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der CDU betr. Asylbewerber:innen, 19.03.2015
Antwort der Bundesregierung vom 14.01.2014 auf Kleine Anfrage der CDU Fraktion, Drucksache 17/1288

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