Nachfolgend dokumentieren wir Auszüge aus einem Vermerk von Dr. Thomas Hohlfeld, Referent für Migration und Integration, Fraktion DIE LINKE, der die Antwort der Bundesregierung vom 26.11.2015 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Asylstatistik für das dritte Quartal 2015 ausgewertet hat (BT-Drs. 18/6353).
Siehe in diesem Zusammenhang auch die hervorragende Zusammenfassung der Linken zur an Zynismus kaum zu überbietenden Debatte um den Schutz afghanischer Flüchtlinge. Die bereinigte Schutzquote für afghanische Flüchtlinge lag im dritten Quartal 2015 bei über 86%. Dennoch bringt es die Bundeskanzlerin fertig, afghanische Flüchtlinge vor einer Flucht nach Europa zu warnen, siehe Zeit online.
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Anmerkungen von Dr. Thomas Hohlfeld zu ausgewählten Einzelaspekten:
Die Zahlen beziehen sich auf das 3. Quartal 2015, soweit nicht anders angegeben.
Frage 1b: Die bereinigte Schutzquote ist weiter gestiegen: auf 52,6%
[Anmerkung: „Bereinigt“ bedeutet, dass nur die Fälle berücksichtigt werden, bei denen es auch eine inhaltliche Entscheidung über den Asylantrag gibt. Formale Entscheidungen (z.B. Dublin-Fälle) bleiben unberücksichtigt.]
SYR: 100%, ERI: 99,6%, Irak: 99,4%, SOM: 89%, Iran: 88,4%, AFG: 86,1%.
Bewertung: De Maiziere hatte die beabsichtigten verstärkten Abschiebungen nach Afghanistan u.a. damit begründet, dass die Anerkennungschancen bei Afghanen nicht so hoch seien – das entspricht nicht der Wahrheit (86,1%!). Somalis und Afghanen werden als Asylsuchende nicht zu Integrationskursen zugelassen, wie sie angeblich keine überwiegende Aussicht auf einen rechtmäßigen Daueraufenthalt haben – trotz fast 90%iger Anerkennungschancen!
Frage 17: Die bereinigte Schutzquote bei Asylsuchenden, die nicht aus Ländern des Westbalkan kommen, beträgt 94,2%!
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Frage 28: Innenminister de Maiziere setzte die Zahl von über 30% „falschen Syrern“ in die Welt – und hielt auch auf Nachfragen daran fest. Hier heißt erklärt die Bundesregierung, dass es derzeit „kein belastbares Zahlenmaterial zu Täuschungen über die Staatsangehörigkeit bei Asylsuchenden“ gibt! Die einzige konkrete Zahl, die genannt wird, ist, dass vom 1.1. bis 31.8.2015 genau 116 syrische Reisepässe „beanstandet“ wurden (dies muss keine Täuschung der Staatsangehörigkeit sein!) – das betrifft also 0,2% der in diesem Zeitraum gestellten 55.587 Asylanträge syrischer Flüchtlinge!
Frage 3: In 97,8% aller Entscheidungen über einen Widerruf des Schutzstatus kommt es zu keinem Widerruf (2.599 Verfahren) – auch diese Verfahren sind mithin eigentlich verzichtbar und unnötiger bürokratischer Ballast
Frage 4: Die nominelle durchschnittliche Asyl-Bearbeitungsdauer beträgt 5,2 Monate (2. Q.: 5,4 Mon.)
– besonders lang: AFG: 13,2 Mon.; ERI: 13,6; Pakistan: 12,6; Nigeria: 11,7; Somalia: 14 Mon, Iran: 17,1
– besonders kurz: SYR: 3,8; ALB: 2,4; SER: 4,3; MAZ: 3,7 Mon.
– bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen: 7 Mon.
-> Diese Angaben sind wenig praxistauglich, solange die Bundesregierung unfähig oder unwillens ist anzugeben, wie lange es von der ersten Registrierung bis zur Asylantragstellung dauert, denn diese Zeiten gehen nicht in die statistisch erfassten Verfahrensdauern mit ein!
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4a) Durchschnittliche Dauer eines Dublin-Verfahrens: 3,9 Monate.
4c) Durchschnittliche Dauer ohne Dublin-/Folgeverfahren und ohne priorisierte Länder: 15 Monate!
4d) Verfahren, in denen es eine inhaltliche Asylanhörung gab (keine schriftlichen, keine Dublin-Verfahren): 6,3 Mon.
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4m) durchschnittliche Dauer bis zu Anhörung (wenn es eine gab): 3,6 Mon.; von Anhörung bis Entscheidung: ebenso 3,6 Mon. (wie bei den Gesamtdauern gibt es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Ländern)
4o) Verfahrensdauern bei Antragstellung ab 1.1.2015 bei Herkunftsländern mit schriftlichem Verfahren: SYR: 2,3 Mon, Irak: 2,9; Eritrea: 2,5 Monate! Das zeigt, wie wirksam die Beschleunigung durch schriftliche Verfahren ist und dass der Wiedereinstieg in individuelle Prüfungen die Verfahrensdauern erheblich verlängern wird!
Anteile der schriftlichen Verfahren an allen Verfahren, bei: SYR: 83,4%, Irak: 61%, Eritrea: 31,1%.
4q) Die Zahl der seit über einem Jahr anhängigen Asylverfahren ist noch einmal deutlich gestiegen, von 57.443 im 2. Quartal (BT-Drs. 18/5785) auf 75.632 (18.311 über 2 Jahre) – Zeiten von der Registrierung bis zur Asylantragstellung sind hierin noch nicht einmal enthalten!
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Frage 5: Der Anteil an Dublin-Verfahren an allen Asylverfahren ist zurückgegangen (10,3% aller Asylverfahren).
Syrische Flüchtlinge sind wegen der zeitweisen Einstellung von Dublin-Verfahren bei Syrern (von Ende August bis Ende Oktober) „nur“ noch an 2. Stelle der von Dublin-Ersuchen Betroffenen (14,9%), an 1. Stelle: Afghanistan (17,9%), 3. Stelle: Irak (12,7%).
Um Rückübernahme ersucht wurden vor allem: Ungarn (37,1%), Italien (17,9%), Polen (9,4%).
Ungarn: bei 4.303 Ersuchen gab es 1.164 Selbsteintritte; Italien: 528 (von 2.078), BUL: 272 (von 1.032)
5c) Es gab 835 Überstellungen, 57 syrische Flüchtlinge waren davon betroffen (2. Stelle).
Die Überstellungen gingen vor allem nach: Italien: 225 (26,9%), Frankreich: 131 (15,7%), Polen: 91 (10,9%)
d) In 605 Fällen wurde bereits in einem anderen Land ein Schutzstatus erteilt.
e) in 1.980 Fällen wäre eigentlich Griechenland zuständig gewesen (Selbsteintritt)
5f) Die Überstellungsquote – Überstellungen bezogen auf Zustimmungen zur Rückübernahme – betrug unverändert niedrige 11,3% (BUL: 2,9%, UNG: 1,6%, ITA: 15,5%, POL: 10,6%). Dublin funktioniert nicht – und das liegt, wie die Zahlen zeigen, nicht in erster Linie an einer mangelnden Rücknahmebereitschaft der angefragten Mitgliedstaaten.
Das Dublin-System stellt im Ergebnis – trotz des enormen bürokratischen Aufwands und der monatelangen Verunsicherung der Betroffenen – aus der Sicht Deutschlands weitgehend ein „Nullsummenspiel“ dar: 835 Asylsuchende wurden von Deutschland aus in andere Mitgliedstaaten überstellt; zugleich aber musste Deutschland 690 Asylsuchende aus anderen Ländern übernehmen: Unter dem Strich sank die Zahl der in Deutschland durchzuführenden Asylverfahren damit um 145!
Frage 11: Relativ gute Erfolgschancen im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen Dublin-Überstellungen in andere Mitgliedstaaten gibt es in Bezug auf Bulgarien (23,8%), Italien (25,3%), Malta (40%) und Ungarn (35%).
5h) Bei Flüchtlingen vom Westbalkan werden keine Dublinverfahren durchgeführt [die in Bezug genommene Rechtsgrundlage ist m.E. zumindest zweifelhaft].
Die Aussetzung der Dublin-Verfahren bei syrischen Flüchtlingen wird als „Akt der Solidarität“ bezeichnet. Vom 1.9.2015 bis 22.10.2015 sei bei 2.198 „Personen“ [Syrern?] vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht worden; von Jan. bis Sept 2015 bei 4.544 syrischen Flüchtlingen.
6) die bereinigte Gesamtschutzquote bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) beträgt: 96,1% (unter 16 J) bzw. 88% (16-18 Jahre).
UMF machten 2,7% aller Asylsuchenden aus (2. Q.: 2,2%). Sie kamen vor allem aus AFG, SYR, ERI, Irak, Somalia.
9) Der Anteil von „offensichtlich unbegründet“-Ablehnungen an allen Ablehnungen betrug 94,5% (besonders hoch war der Anteil beim Westbalkan)
10) 138 Flughafenverfahren, 16 Zurückweisungen
11) Gerichtsentscheidungen: Werden nur Anerkennungen und Ablehnungen betrachtet (nicht: „sonstige Verfahrenserledigungen“, die aber 65% aller Entscheidungen ausmachen!), ergibt sich für afghanische Kläger eine Erfolgsquote bei Gericht von 70% (knapp die Hälfte Abschiebungshindernisse, gut die Hälfte Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz)!
Bei geringeren Fallzahlen haben auch Flüchtlinge aus Irak, Somalia, Eritrea und Iran überwiegende Erfolgschancen im Gerichtsverfahren (sonstige Verfahrenserledigungen nicht betrachtet).
12: Mehr als die Hälfte aller Anhörungen betraf albanische Flüchtlinge (12.477 von 22.910).
Schriftliche Anhörungen gab es bei syrischen Asylsuchenden: 34.640; Irak: 4.027, Eritrea: 4.372
Frage 18: die durchschnittliche Anhörungsdauer betrug 100 Minuten; bei Westbalkan-Ländern aber nur: 50 Minuten! Syrien: 45 Min.
14: Entwicklung der Asylanträge und Entscheidungen zu Flüchtlingen vom Westbalkan im Detail.
Immerhin: Es gab 23 Fälle eines Flüchtlings- oder subsidiären Schutzes und knapp 100 Fälle von Abschiebungsschutz
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Hier der vollständige Vermerk von Dr. Thomas Hohlfeld
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Wie geht man bei der Wohnung- und Jobsuche am besten vor? Elias ist Elektroingenieur und Rana Französischlehrerin. Sie haben drei Kinder,
LG Karen v. Blomberg
Danke für Ihre
Hallo Frau v. Blomberg,
bitte wenden Sie sich mit Ihrer Anfrage direkt an die Geschäftsstelle: nds@nds-fluerat.org
Freundliche Grüße
Kai Weber