Faktencheck: Seehofers Mär vom „massenhaften Asylmissbrauch“

Dieser Beitrag ist bereits älter als vier Jahre. Eventuell ist der Inhalt nicht mehr aktuell.
von PRO ASYL
Während in Freital die Progromstimmung der 90er Jahre zurückgehrt und Gewalt gegen Flüchtlinge zunimmt, heizt CSU-Chef Seehofer die Debatte an. Angesichts eines „massenhaften Asylmissbrauchs“ fordert er schnelle Abschiebungen statt Verständnis. Das ist nicht nur politisch fatal, auch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Ein Faktencheck.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat Bundespräsident Joachim Gauck wegen dessen Rede zur Flüchtlingspolitik kritisiert. Gauck hatte gefordert, Flüchtlinge großherziger aufzunehmen und erinnerte daran, dass Millionen Deutsche nach dem zweiten Weltkrieg selbst Flüchtlinge waren. In einem Interview mit dem Münchener Merkur, kritisierte CSU-Chef Seehofer den Bundespräsidenten: „Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Heimatvertriebenen, dass sie solcheVergleiche nicht gerne hören. Die Ursachen sind jetzt andere, jetzt geht es auch um massenhaften Asylmissbrauch.“Angesichts der wachsenden Gewalt gegen Flüchtlinge ein fatales Signal. Seit Monaten hetzen etwa in Freital Rassisten gegen Flüchtlinge. Seit Tagen wird die Flüchtlingsunterkunft in der sächsischen Kleinstadt von einem rassistischen Mob belagert, Beobachter sprechen von Pogromstimmung.
Mehr als 50 Prozent werden schlussendlich anerkannt

Auch einem Faktencheck hält die Mär vom „massenhaften Asylmissbrauch“ nicht Stand. 173.072 Asylerstanträge wurden in 2014 gezählt, ein Bruchteil der knapp 60 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebenen weltweit. Die Schutzquote des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war dabei mit offiziellen 31,5 Prozent so hoch wie lange nicht – in 2015 liegt die Quote bisher bei 34,7 Prozent. Rund 130.000 Entscheidungen hat das BAMF 2014 getroffen. Über ein Viertel der Antragsteller (25,9%) erhielten die Flüchtlingsanerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention, weitere 4,0 Prozent erhielten europarechtlichen subsidiären Schutz, für 1,6 Prozent wurden nationale Abschiebungsverbote verhängt.Rund 45.000 Asylanträge (35%) kamen als  „formelle Erledigungen“ gar nicht zur Entscheidung: In mehr als der Hälfte dieser Fälle wurde nach der Dublin-Verordnung ein anderer EU-Staat für zuständig befunden; hinzu kamen viele Entscheidungen nach der „sicheren Drittstaatenregelung“, weil für die Antragsteller bereits ein anderer Staat die internationale Schutzberechtigung festgestellt hatte – leider oft, ohne dass die Betroffenen tatsächlich Aufnahme und Schutz erhalten hätten.

Zieht man diese formellen Erledigungen ab und betrachtet nur die inhaltlich geprüften Fälle, ergibt sich eine bereinigte Gesamtschutzquote von 48,5 Prozent, das heißt, fast jede/r Zweite wird als schutzberechtigt anerkannt. Bei 10,5 Prozent positiven Klageverfahren vor Gericht liegt die Erfolgsquote letztlich bei über 50 Prozent.

Viele abgelehnte Flüchtlinge haben gute Gründe

Auch viele abgelehnte Flüchtlinge haben ihre Heimat aus guten Gründen verlassen. So leben zum Beispiel knapp 4.000 afghanischen Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland, deren Asylantrag abgelehnt wurde – obwohl die Sicherheitslage zusehends eskaliert.

Ein Großteil der Ablehnungen bezog sich in 2014 auf Flüchtlinge aus dem Westbalkan. Bei Flüchtlingen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Kosovo und Serbien lagen die Anerkennungsquoten lediglich bei 0,3 bis 2,2 Prozent. Hieraus auf einen „massenhaften Asylmissbrauch“ zu schließen, ist nicht nur gefährlich, sondern auch falsch. Auch aus den Westbalkanstaaten kommen viele Menschen, die gute Gründe haben, ihr Herkunftsland zu verlassen – ihre Fluchtgründe werden jedoch nicht anerkannt.

Wenn etwa Roma keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu Bildung, zu medizinischer Versorgung haben, ihre Siedlungen zwangsgeräumt werden und dies alles im Zusammenwirken massive Folgen hat, dann kann dies kumulative Verfolgung in Sinne des Asylrechts darstellen. Trotzdem werden Asylanträge rigoros abgelehnt. Diese Ablehnungspolitik den Opfern von Diskriminierung und sozialem Elend vorzuwerfen ist nicht nur zynisch, so wird die rassistische Stigmatisierung ganzer Flüchtlingsgruppen befeuert und der Nährboden für Hetze und Angriffe geschaffen

Bitte schreiben Sie an dieser Stelle nur allgemeine Kommentare.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...

1 Gedanke zu „Faktencheck: Seehofers Mär vom „massenhaften Asylmissbrauch““

  1. Nur Prozentangaben machen das Dilemma nicht deutlich. Ich empfehle jedem die monatliche Asylgeschäftsstatistik des BAMF durchzusehen.

    Es werden viele Menschen anerkannt, aber die Summe der Menschen, die aus den Westbalkanländern kommen und ausreisepflichtig werden ist zu hoch. Die Summe der Asylfolgeanträge ist zu hoch. Es so ist, dass mit dem Bemühen – zumindest in Niedersachsen – Asylbewerber möglichst dezentral überall zuzuweisen, die meisten in ländlichen Regionen leben. Eine hilfsbereite Dorfgemeinschaft in kleinem Umfeld ist meiner Erfahrung nach 1000mal besser für die Integration – gerade bei den Kindern – als Großstädte. Aber durch die dezentrale Unterbringung und das Wiederaufleben alter Zuweisungsquoten führt dazu, das Balkanfamilien seit der Visumsfreiheit 2010 quasi jährlich zum Asylfolgeverfahren wiederkommen und immer im gleichen Dorf landen. Wenn man dann zusätzlich merkt, dass die Integrationswilligkeit nie kommt, zerfrisst das die Aktzeptanz und Hilfsbereitscheift zum Nachteil aller Flüchtlinge. Hier muss wirklich mehr Ehrlichkeit her bei der Politik und der daran angebundenen Flüchtlingsorganisationen.

    Auch die Darstellung des Lebens auf dem Westbalkan ist meiner Ansicht nach meist schlecht recherchiert. Zu Mazedonien weiß ich bspw. ein wenig:

    Die Verfassung der Republik Mazedonien nennt in Ihrer Präambel explizit das Volk der Roma gemeinsam mit den anderen Völkern im Staat als Träger der Selbstständigkeit und Souveränität des gemeinsamen Staates. Seit der Unabhängigkeit des Landes haben die Roma über Parteien Teil am politischen Leben. In der Verfassung ist eine Quote zur Vertretung von ethnischen Minderheiten in der Verwaltung festgeschriebn – für Roma 0,62 %. Ein großer Unterschied zu den Kurden in Syrien bspw.

    Es gibt einen Minister in der Mazedonischen Regierung, der Roma ist, es gibt viele Roma die Exekutivämter bekleiden. Im Moment sind zwei Roma Parteien (Partei für die vollständige Emanzipation der Roma und der Bund der Roma in Mazedonien) mit ihren Abgeordneten im Parlament vertreten, eine davon in der Regierungskoalition. Es gibt einen Minister, Nezdet Mustafa, speziell für wirtschaftliche Teilhabe und kulterelle Selbstbestimmung der Roma. Die Gemeinde Shuto Orizari ist die größte Roma-Gemeinde in Europa, deren Bürgermeister Roma ist und Romanes ist die offiziele Sprache. Romanes ist auch Lernsprache in den Schulen als Wahlpflichtfach.

    Um eine stärkere Integration der Roma in die Gesellschaft zu bestärken, wurde im Jahr 2005 bereits eine nationale Strategie mit 4 operativen Programmen in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen, Beschäftigung und Wohnungswesen für die Roma ins Leben gerufen. Zuletzt wurde vor dem Hintergrund der Beitrittsverhandlungen mit der EU im Jahr 2012 ein Aktionsplan zur sozialen Inklusion für Roma mit einem Budget 755.000 EUR in Kraft gesetzt.

    Seit 2010 werden Roma im nationalen Arbeitsbeschaffungsplan als spezielle Zielgruppe definiert. Im Rahmen dieser Pläne werden Ausbildungen und Trainingsprogramme in bestimmten Berufszweigen finanziert. Jeder arbeitslose, unabhängig von der Ethnie, hat in Mazedonien einen Anspruch auf Krankenversicherung. Das ist besser als in Griechenland. Für Roma gibt es landesweit sogar 16 spezielle Gesundheitsberater. Es gibt viele EU finanzierte Projekte im Wohnungsbau für sozial gefährdete Familien, unabhängig von der Ethnie. Es werden Sendungen im staatlichen Fernsehen in Romanes angeboten, es gibt zwei eigene Roma-Fernsehsender.

    Es passt das echte Leben in Mazedonien nicht mit dem zusammen, was man immer lesen und hören kann. Das merken die Menschen immer mehr und deshalb braucht es andere Lösungen (GreenCard Regelung o.Ä.).

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Jetzt spenden und unsere Arbeit unterstützen!