Die nachfolgende Beschreibung der Praxis des Landkreis Peine, der bei der Bewilligung von Krankenhilfe an Asylsuchende besonders restriktiv verfährt, verdeutlicht noch einmal, welche Folgen das Asylbewerberleistungsgesetz in der Praxis zeitigt – ein Gesetz, das bekanntlich beschlossen wurde, weil die rot-grün regierten Länder sich die Zustimmung für 500 Mio Euro zusätzlich vom Bund haben abkaufen lassen (siehe hier). Die besonderen Schikanen, die sich der Landkreis Peine ausgedacht hat, sind allerdings auch keine zwingende Folge der bestehenden Rechtslage. Der Landkreis Peine könnte – wie andere Landkreise auch – Krankenscheine an Asylsuchende regelmäßig quartalsweise ausgeben.
Ein Blick auf die Ausgaben für Krankenbehandlung zeigt jedoch, dass nicht nur im Landkreis Peine bei der Krankenversorgung von Flüchtlingen auf eine Weise gespart wird, die beschämend ist: Für Flüchtlinge, die nur sog. Grundleistungen nach §3 AsylbLG erhalten, werden erheblich geringere Leistungen für Krankenbehandlung bewilligt als für Flüchtlinge, die sog. Analogleistungen nach §2 AsylbLG erhalten, also entsprechend den Hartz IV – Sätzen nach dem SGB XII:
2012 pro Flüchtling und Jahr: §3 AsylbLG: 1.323 € / §2 AsylbLG: 2.291 €
2013 pro Flüchtling und Jahr: §3 AsylbLG: 1.295 € / §2 AsylbLG: 2.241 €
(Quelle: Antwort der Landesregierung aus März 2015 auf eine Anfrage der FDP)
Hier zeigt sich, dass die schäbige Krankenversorgung im Rahmen des AsylbLG für die ersten 15 Monate im Landkreis Peine offenkundig kein Ausrutscher ist, sondern politisches Programm. Im Einzelfall lässt sich ein Anspruch auf eine menschenwürdige Krankenbehandlung oft durchsetzen. Wo jedoch eine Unterstützung im Einzelfall fehlt, werden Krankenbehandlungen, Therapien sowie die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln oft verweigert oder empfindlich eingeschränkt. Nachfolgend der Bericht von Roswitha Dubiel:
Ich bin ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuerin und schreibe Ihnen, weil ich es unerträglich und unzumutbar finde, wie das Sozialamt Peine eine zeitnahe Versorgung von kranken Flüchtlingen geradezu unmöglich macht.
Gerade eben zeigte mir ein in Lengede ansässiger Flüchtling einen Terminzettel vom Sozialamt, den er statt eines Krankenscheines erhielt, damit er am nächsten Tag endlich den benötigten Krankenschein ausgestellt bekommt. Er verstand nicht, was da passiert war und bat mich um eine Erklärung mit Hilfe eines Übersetzungsprogrammes.
Ich frage mich: Warum bekommt der Flüchtling nicht sofort seinen Krankenschein? Das Ausstellen eines Terminzettels erfordert den gleichen Zeitaufwand wie das Ausstellen eines Krankenscheines! Warum also soll sich der Mann, der an schlimmen Zahnschmerzen leidet, am nächsten Tag noch einmal auf den Weg zum Sozialamt machen? Die Busfahrt kostet den Flüchtling jedes Mal 7,60€! Und er ist mit dem Bus und zu Fuß noch einmal mindestens 3 Stunden unterwegs, und das mit schlimmen Zahnschmerzen! In diesem speziellen Fall wird er auch noch den Deutschkurs für Asylbewerber versäumen, der regelmäßig Donnerstagvormittag stattfindet.
Vom Sozialamt Peine wird auf dem Rücken kranker, völlig hilfloser Asylbewerber eine völlig überzogene und unnötige Bürokratie praktiziert, die als menschenverachtend und schikanös bezeichnet werden muss. Bereits am 30. 01.2015 wandte ich mich an den Leiter des Sozialamtes Herrn Schröter, um auf die mangelnde Umsetzbarkeit der seit dem 01.02.2015 neu in Kraft getretenen Regeln hinzuweisen, erhielt jedoch leider keine Antwort. Bis zum 31.01.2015 war es nämlich so, dass der Flüchtling jederzeit nach Vorlage seines Arzttermins einen Krankenschein ausgestellt bekam, was auch schon umständlich war, aber nicht unmöglich. Man muss bedenken:
- Der Flüchtling ist erkrankt, hat hohes Fieber und Schmerzen. Welche Strapaze, welches Leiden wird diesem Menschen zusätzlich zugemutet, wenn er erst noch Behördengänge, Busfahrten und Fußmärsche auf sich nehmen und viele Stunden, evtl. Tage auf ärztliche Hilfe warten muss?
- Wie sollen Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse das System verstehen und auch noch telefonische Terminabsprachen treffen? Nicht alle bekommen Hilfe von Ehrenamtlichen oder Sozialarbeitern.
- Warum bekommen die Flüchtlinge keinen Krankenschein für jeweils ein Quartal wie es z. B. in Bremen und Hamburg der Fall ist? Für die Sozialämter wäre es eine große Entlastung, weil der zeitintensive Publikumsverkehr zu diesem Punkt wegfiele.
Wir fragen uns: Merkt denn keiner von den Verantwortlichen, was mit dieser völlig übertriebenen und unnötigen Bürokratie eigentlich angerichtet wird? Der Flüchtling und seine Familie (2 minderjährige Kinder) waren unendlich traurig, hilflos und ernüchtert – meine Familie und ich ebenso. Und leider ist das kein Einzelfall! Ich habe in den 9 Monaten als Flüchtlingshelferin schon oft Ähnliches erlebt.
Ich habe noch ein anderes Beispiel: Ein Flüchtling aus Serbien musste seine Überweisung zu einem Orthopäden vom Gesundheitsamt genehmigen lassen, was 8 Wochen in Anspruch nahm. Als der praktische Arzt auf die Genehmigung hin und weil inzwischen ein neues Quartal angebrochen war eine neue Überweisung ausstellte, musste auch diese nach erneuter Bitte um einem Termin beim Sozialamt dort abgestempelt werden, damit sie der Orthopäde annehmen darf. Die Vorstellung beim Amtsarzt in Peine und das Besorgen des Stempels wurden von Flüchlingshelfern aus Lengede mit dem Auto erledigt, da der Flüchtling mit seinen großen Schmerzen in der Achillesferse diese Wege mit Bus und zu Bus nicht bewältigen konnte. Diese unnötige Bürokratie belastet natürlich auch die Flüchtlingshelfer, die ehrenamtlich arbeiten. Sogar unsere Kinderärztin vor Ort beklagt sich mir gegenüber über die unzumutbaren Zustände im LK Peine, sie musste nach eigenen Angaben wegen fehlender Stempel oder anderer Kleinigkeiten schon starke finanzielle Einbußen hinnehmen.
Als besorgte Mitbürgerin und ehrenamtlich Tätige im Bereich der „Hilfestellung im Alltag für Asylbewerber/Flüchtlinge“ kann ich nur sagen: Diese Menschen, die nach schrecklichen Erlebnissen in ihrer Heimat bei uns gestrandet sind, sollten bei Krankheit unbürokratisch und schnell eine ärztliche Behandlung bekommen! Meine Familie, die ebenfalls engagiert hilft, und andere Personen hier in Lengede, die ebenfalls ehrenamtliche Hilfe für Flüchtlinge leisten, sind ebenso schockiert wie ich über diesen menschenunwürdigen Umgang mit Asylbewerbern und Flüchtlingen. Sind denn diese Menschen, die unser Land in größter Not, aber mit so viel Hoffnung aufsuchen, Menschen zweiter oder gar dritter Klasse?
Ich schicke diesen Brief gleichzeitig an mehrere Personen und Institutionen und hoffe, dass sich alle dafür einsetzen, dass kranken Asylbewerbern schnell und problemlos, ohne Irrwege und Schikanen ein Arztbesuch ermöglicht wird.
Mit freundlichen Grüßen
Roswitha Dubiel
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