Asyl und Migration: CDU beklagt Vollzugsdefizite

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Zur gestrigen Pressemeldung des statistischen Bundesamts über einen neuen Rekord der Einwanderungen nach Deutschland und der Klage der Landes-CDU über angeblich zu geringe Abschiebungen in der heutigen Ausgabe der HAZ (s.u.) nachfolgend ein Kommentar:

Bemerkenswert an den vom statistischen Bundesamt vorgelegten Zahlen ist nicht nur ihre Höhe: Das Wanderungssaldo, also die Differenz aus Einwanderung und Auswanderung, betrug 2014 mehr als 600.000. Auch die Zusammensetzung der Einwanderung ist interessant: 60% aller Eingewanderten kommt aus der EU. Weit über 200.000 Einwanderer kamen z.B. aus Polen, ohne dass dies im öffentlichen Drama irgendeine Rolle gespielt hätte. Die weiteren Hauptherkunftsländer sind Rumänien,Bulgarien, Italien und Ungarn, erst auf den hinteren Plätzen folgen Herkunftsländer von Flüchtlingen, an der Spitze Syrien mit knapp 40.000. Migration ist, das machen diese Zahlen deutlich, zuallererst eine Migration auf dem Weltmarkt für Arbeit, erst sekundär auch Fluchtmigration, die weniger als 20% der Gesamtmigration nach Deutschland ausmacht.

Vor den Hintergrund dieser Zahlen (und ihrer zumeist positiven Bewertung) ist es immer wieder irritierend, warum vergleichsweise geringe Flüchtlingszahlen zu einem riesigen öffentlichen Problem aufgebauscht werden. Kein Zweifel, die Unterbringung von Asylsuchenden ist für viele Kommunen eine Herausforderung. Aber ist es wirklich bedeutsam, dass 3.000 ausreisepflichtige Flüchtlinge noch nicht aus Niedersachsen abgeschoben wurden? Oder dass knapp 600 Flüchtlinge auf eine Entscheidung im Härtefallverfahren warten? Steuern wir deshalb, wie Oppositionsführer Björn Thümler (CDU) meint, „auf einen Punkt zu, dass es irgendwann kracht“? Ist es gar gerechtfertigt, vor einer „Situation wie in den Neunzigerjahren“ zu warnen, „als es zu Attacken auf Wohnheime kam“? Das öffentliche Lamentieren über angebliche Vollzugsdefizite und die Forderung nach „Zurückführung abgelehnter Asylbewerber“ schüren genau den Rassismus, den Herr Thümler zu bekämpfen vorgibt. Das Land Niedersachsen hat die unter einem CDU-Innenminister Uwe Schünemann jahrelang geübte Praxis überfallartiger Abschiebungen im Morgengrauen beendet und zu einem menschlicheren Umgang mit Flüchtlingen zurückgefunden. Das hat zu einem deutlichen positiven Klimawechsel in Niedersachsen beigetragen. Wir sollten auf diesem Weg weiter gehen und den Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik konsequent umsetzen. Nach wie vor werden auch in Niedersachsen die Spielräume für eine menschenfreundliche Umsetzung der Gesetze nicht ausgeschöpft und Abschiebungen durchgeführt, die vermeidbar wären.

Die Einwanderung von Menschen nach Deutschland liegt, wie die Politik nicht müde wird zu betonen, im öffentlichen Interesse, sie steigert die privaten Gewinne und sorgt für steuerliche Mehreinnahmen (siehe z.B. PE von Wirtschaftsminister Olaf Lies). Die Politik muss endlich aufhören, die mit Einwanderung durchaus auch verbundenen Probleme im öffentlichen Drama als Problem der Flüchtlingsaufnahme zu inszenieren. Das ist sachlich falsch und produziert unnötig Ängste.

Kai Weber

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HAZ 17.03.2015
Land muss Abschiebungen immer öfter vertagen
Masse der Asylverfahren sorgt für Staus / Ein Teil der Ausreisepflichtigen taucht unter / Härtefallkommission überlastet
Von Heiko Randermann

Hannover. Nicht nur bei der Aufnahme von Flüchtlingen gibt es Staus, auch bei der Bearbeitung der Asylanträge sind die Ausländerbehörden von Kommunen und Land zunehmend überfordert. So leben in Niedersachsen derzeit 3084 Menschen, die kein Aufenthaltsrecht haben, aber noch nicht abgeschoben wurden. Weitere 12 351 werden geduldet, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde, sie aber aus humanitären Gründen oder der unruhigen Lage in ihrem Herkunftsland nicht abgeschoben werden dürfen. Das geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der CDU-Fraktion hervor.

Die Zahl der Asylverfahren hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren stetig erhöht von rund 8000 im Jahr 2012 auf gut 18 000 im Jahr 2014. Die Zahl der Abschiebungen ist aber nicht im gleichen Maße gewachsen. Wurden im Jahr 2012 noch 563 Menschen in ihr Herkunftsland oder in ein anderes EU-Land zurückgebracht, waren es im vergangenen Jahr 855. Auch die Zahl der Nachtabschiebungen, die Rot-Grün eigentlich abschaffen wollte, ist hoch: Zwischen Januar und Oktober 2014 wurden 365 Personen zwischen 22 und 6 Uhr abgeholt und zum Flughafen gebracht.

In einer ähnlichen Größe wie die Zahl der Abschiebungen bewegt sich die der Untergetauchten. In den eineinhalb Jahren zwischen März 2013 und Oktober 2014 waren 677 Ausreisepflichtige nicht da, als sie abgeholt werden sollten. In weiteren 19 Fällen fiel die Abschiebung aus, weil nicht alle Familienmitglieder anwesend waren. Und in 65 Fällen wurde die Abschiebung durch Flashmobs oder andere Protestaktionen verhindert. Insgesamt 761 Personen, von denen allerdings 139 im zweiten Versuch doch noch abgeschoben wurden. Für das Land auch ein Geldfaktor: Unter anderem durch Stornogebühren sind dem Land Kosten in Höhe von 236 750 Euro entstanden.

Auch die Härtefallkommission kann die Arbeitsflut kaum noch bewältigen. Seit der Zugang zur Kommission im September 2013 erleichtert wurde, hat das Gremium innerhalb eines Jahres 142 Verfahren beraten und abschließen können. Gleichzeitig gingen aber weitere 592 Eingaben ein, die noch bearbeitet werden müssen.

Derzeit steigen die Flüchtlingszahlen weiter an. Nach insgesamt 18 000 Asylanträgen im vergangenen Jahr müsse man 2015 „mit einer Verdoppelung rechnen“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Freitag bei der Versammlung der Landräte in Bad Nenndorf. Die Erfahrung zeige, dass 50 Prozent der Betroffenen gute Chancen auf Anerkennung als Flüchtlinge oder Asylbewerber haben, weil sie aus Ländern wie Syrien oder dem Irak kämen. Doch die andere Hälfte der Flüchtlinge käme vor allem vom Balkan und habe deshalb so gut wie keine Chance, dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen. „Wir müssen uns maximal konzentrieren auf schnellere Verfahren“, dann würden sich auch viele Folgeprobleme lösen, so Weil.

CDU-Fraktionschef Björn Thümler wirft der Landesregierung dagegen vor, sehenden Auges hinzunehmen, dass die Situation immer schwieriger wird. „Wir steuern auf einen Punkt zu, wo es irgendwann kracht“, warnt Thümler vor einer Situation wie in den Neunzigerjahren, als es zu Attacken auf Wohnheime kam. „Das wollen wir nicht, und deshalb muss Politik handeln und abgelehnte Asylbewerber zurückführen.“

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1 Gedanke zu „Asyl und Migration: CDU beklagt Vollzugsdefizite“

  1. Die Zahl der Ausreisepflichtigen wird in den nächsten Monaten deutlich steigen. Allein im Januar und Februar haben fast 15.000 Kosovaren Asyl in DE beantragt. Daneben weiter hohe Zahlen der anderen Balkanländer – die Verfahren laufen meist noch auf dem Klageweg länger. Und man darf nicht vergessen, dass wir für Syrer bislang nur lächerliche Aufnahmeprogramme haben, für Iraker nichts dergleichen. Sicher auch, weil der Asylmissbrauch sehr kostspeilig ist. 3000 x X0.000€ ist eben viel Geld.

    Jeder ausreisepflichtige, abgelehnte Asylantragsteller – besonders die vom Balkan, deren Anzahl laut Asylgeschäftsstatistik weiter dramatisch steigt – sollte sowohl von den Ausländerbehörden als auch von der Flüchtlingssozialarbeit zur freiwilligen Ausreise und legaler Wiederkehr zur Arbeit/Ausbildung (§§ 16 und 18 im Aufenthaltsgesetz) beraten werden. Wer das wirklich will, schafft das auch.

    Alles andere ist leider ein Missbrauch, der entgegen der Aussage im Artikel der HAZ bei Menschen, die sich für Kriegsflüchtlinge und Zuwanderung engagieren schon viel Frust und Gefühle von ausgenutzt-werden verursacht hat.

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