Niedersachsen und andere Bundesländer lassen sich die Zustimmung zu diskriminierenden Gesetzen abkaufen

Mit der heute abgeschlossenen Vereinbarung haben die Länder das Menschenrecht der Flüchtlinge auf gesundheitliche Gleichbehandlung gegen kurzfristig bemessene Finanzzusagen des Bundes verkauft. Dass Niedersachsen dieses Spiel mitmacht, ist enttäuschend.

Auf die Ablehnung der Novellen zum Asylbewerberleistungsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz durch die rot-grün bzw. rot-rot regierten Bundesländer im Bundesrat hatten Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen gehofft. Heute haben die Länder Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und leider auch Niedersachsen – entgegen dem niedersächsischen Koalitionsvertrag, in dem sich SPD und Grüne ausdrücklich auf eine Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes festgelegt hatten – beiden Gesetzen zugestimmt. Bremen hat immerhin die Zustimmung zum Freizügigkeitsgesetz verweigert.

Die vom Bund bei diesem Kuhhandel gemachte Finanzusage von einer Milliarde Euro für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen gilt für den Zeitraum 2015 bis 2016. Die vereinbarten Gesetzesverschärfungen werden hingegen über viele Jahre ihre diskriminierenden Wirkungen im Leben von Asylsuchenden und MigrantInnen entfalten.

Die AsylblG-Novelle pfeift weitgehend auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2012. Auch künftig soll gelten, dass an Leistungseinschränkungen und Sanktionen, entwürdigenden Sachleistungen und einer ggf. lebensgefährlichen Minimalmedizin festgehalten wird. Dies stellt einen verfassungswidrigen Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum dar.

Der Entwurf der Änderung zum Freizügigkeitsgesetz soll mit den Instrumenten von Wiedereinreisesperren und Kurzbefristungen des Aufenthalts zur Arbeitssuche den europäischen Gedanken eines Raums der Freiheit und des Rechts auch für grenzüberschreitend Arbeit und Zukunft Suchende konterkarieren.

Der Text der heutigen Bund-Länder-Vereinbarung befindet sich hier.
Eine politische Bewertung der an dem Deal nicht beteiligten Linken findet sich in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Migazin.

Nachfolgend Auszüge aus einer Erklärung von Georg Classen (Flüchtlingsrat Berlin):

Die Gesundheitsversorgung kann nach § 264 Abs 1 SGB V schon heute an eine Krankenkasse übertragen und über eine Gesundheitskarte abgewickelt werden. Hamburg und Bremen machen das schon seit 2005 bzw 2012 bereits nach geltendem Recht. Beide Länder geben Gesundheitskarten nach § 4 AsylbLG iVm § 264 Abs 1 SGB V an alle dort lebenden AsylbLG-Berechtigten aus, und gewähren in großzügiger Rechtsauslegung des § 4 AsylbLG de fakto den gleichen Leistungsumfang wie für gesetzlich Versicherte, siehe ausführlich www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/Bremer_Modell_Medizin_AsylbLG.pdf. Dazu braucht es kein neues Gesetz.

Auch künftig soll es … den Ländern überlassen bleiben, ob sie eine solche Gesundheitskarte ausgeben. Berlin z.B. will das erklärtermaßen nicht. Die Karte kann auch künftig auf die lebensgefährliche Minimalmedizin beschränkt werden, denn am Umfang des Krankenbehandlungsanspruchs nach § 4 AsylbLG wurde gar nichts geändert. Menschenrechtsverletzung durch Krankenkassen statt durch Sozialämter. Die können dann schon mal üben für die Zweiklassenmedizin.

Man hätte stattdessen die Gesundheitskarte für alle Länder verbindlich einführen können. Dazu hätte nur die bestehende Regelung des § 264 Abs 2 SGB V, die schon jetzt für einen Teil der AsylbLG-Leistungsberechtigten nach einer Wartefrist von 15 Monaten (§ 2 AsylbLG) gleiche Leistungen der Krankenkassen und eine vollwertige Gesundheitskarte bundesweit vorschreibt, auf alle Leistungsberechtigten ausgeweitet werden müssen. Das ist nicht geschehen. Stattdessen wurde heute die 1993 geschaffene lebensgefährliche Minimalmedizin des § 4 AsylbLG im Bundesrat unverändert durchgewunken und für die Zukunft festgeschrieben.

Dank der Zustimmung von Grünen, SPD und CDU/CSU im Bundesrat bleibt es beim diskriminierenden, Flüchtlinge von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgrenzenden Sondergesetz AsylbLG.

  •   Lebensgefährliche Minimalmedizin (§ 4 AsylbLG) wenn das Land es so will (und das wollen, wie die Praxis leider zeigt, die meisten Länder!),
  •   Sachleistungen und Sammellager für drei Monate zwingend (§ 3 AsylbLG) und wenn das Land es so will (zB Bayern und BaWü) auch darüber hinaus …,
  •  trickreiche Kürzungen am Regelsatz (Streichungen am Bedarf für Hausrat/Mobel, Putzmittel, Geusndheitsleistungen, Warmwasser, usw.) und Verweigerung von Mehrbedarfzuschlägen zB für Schwangere,
  • Möglichkeit migrationspolitisch begründeter, dauerhafter Sanktionen zur nochmaligen Absenkung des Regelsatzes noch weit unter das reguläre AsylbLG-Existenzminimum nach Gusto der örtlichen Behörden  (§ 1a AsylbLG), und
  • Ausschluss von der Arbeitsmarktintegration durch die Jobcenter nach dem SGB II.

Die Kostentragung durch den Bund ist zwar eine richtige Forderung. Hätte man das AsylbLG aber ganz abgeschafft, oder wie vom Auschuss für Arbeit und Soziales des Bundesrate gefordert wenigstens den direkten Übergang ins SGB II/XII nach 12 Monaten geregelt, müsste der Bund den Großteil der Kosten dauerhaft tragen. Jetzt zahlt der Bund nur eine kleinen Teil der Kosten, und auch nur für zwei Jahre.

Ist die Menschenwürde für SPD und Grüne käuflich?

Der federführende Bundesratsauschuss für Arbeit und Soziales hatte dem Bundesrat noch die Ablehung der AsylbLG-Novelle empfohlen. Der Ausschuss forderte Nachbesserungen: Dass Personen mit Aufenthaltserlaubnis nicht mehr unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, dass Asylbewerber und Geduldete nach 12 Monaten direkt ins SGB II/XII integriert werden, und dass die Krankenbehandlung nach § 264 Absatz 2 SGB V auf die Krankenkassen übertragen wird:
http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2014/0501-0600/513-1-14.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Siehe … die ausführliche Stellungnahme des Flüchtlingsrates Berlin im AS-Ausschuss des Bundestages, zur lebensgefährlichen Minimalmedizin siehe dort Seite 39 ff:
http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/Classen_AsylbLG_2014_AS-Ausschuss.pdf

Das BVerfG hat im Urteil vom 18.08.2012 zum AsylbLG klargestellt: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Das nach Artikel 1 und 20 Grundgesetz zu gewährleistende menschenwürdige Existenzminimum stehe Deutschen und Ausländern gleichermaßen zu. Die Höhe der Bedarfssätze sei in einem nachvollziehbaren Verfahren betragsmäßig zu ermitteln und vom Gesetzgeber festzusetzen. Das Existenzminimum dürfe dabei nicht zum Zweck der Abschreckung gekürzt werden.

Nach dem Urteil des BVerfG ist die Abschaffung des AsylbLG die einzig mögliche Lösung.

Georg Classen

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