Die Kronjuwelen der Bundesrepublik

von RA Peter Fahlbusch

Frankreich hat(te) seine Kronjuwelen im Louvre untergebracht, in der Bundesrepublik findet sich dergleichen -zumindest nach Auffassung vieler Verfassungsrechtler- in Art. 104 GG. Hüben wir drüben nun steht es nicht ganz so gut um diese Kostbarkeiten. Das BVerfG hat für die bundesrepublikanische Festnahmepraxis (schön verteilt auf 3 Bundesländer) mit drei Entscheidungen vom 4. bzw. 5.8.2025 (2 BvR 329/22, 2 BvR 330/22 und 2 BvR 1191/22) erneut und zum wiederholten Mal erhebliche Defizite in der Anwendung der basics des Art. 104 GG aufgezeigt. Wer sich nicht in die ausführlich begründeten Beschlüsse vertiefen mag sei auf die Pressemitteilung des BVerfG verwiesen.

Auch vorliegend geht es eigentlich um das kleine 1 x 1 des Freiheitsentziehungsrechts, was sich (für die ganz schnellen Leser*innen) verkürzt wie folgt zusammenfassen lässt:

  1. Freiheitsentziehungen bedürfen einer Gesetzesgrundlage, Art. 104 I GG. Liegt diese nicht vor sind Festnahme unzulässig.
  2. Geplante Festnahmen ohne vorherige richterliche Entscheidung sind unzulässig, Art. 104 II 1 GG. Eine dem Richtervorbehalt unterliegende Freiheitsentziehung ist auch dann gegeben, wenn zwischen Festnahme und Richtervorführung „nur“ ein Zeitraum von gut einer Stunde in Rede steht (das BVerfG findet hier die schöne Formulierung, dass der Richtervorbehalt keiner „Marginalitätsschwelle“ unterliegt). Vollzugsbeamte der Polizei, die von der Ausländerbehörde gebeten werden, Betroffene im Wege der Amtshilfe in Gewahrsam zu nehmen, können sich regelmäßig nicht mit Erfolg darauf berufen, dass zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung eine richterliche Anordnung nicht (mehr) rechtzeitig eingeholt werden könne.
  3. Ungeplante Festnahmen verlangen eine unverzügliche Vorführung vor den Haftrichter, Art. 104 II 2 GG. Die Verfassung orientiert sich hier nicht an irgendwelchen „Geschäftszeiten“ der zuständigen Amtsgerichte; allgemein festgelegte Dienstzeiten für Richter*innen gibt es nämlich nicht. Zudem verlangt der Schutzzweck des Art. 104 II 2 GG eine entsprechende Gerichtsorganisation.

Aus hiesiger Sicht besonders irritierend ist die seit zig Jahren zu beobachtende, geradezu stupende Ignoranz nicht aller, aber vieler mit Festnahme- und Haftsachen befasster Behörden und Gerichte im Umgang mit Art. 104 GG. Auf meine Verfahrensstatistik (jede/r zweite Mandant/in jedenfalls teilweise zu Unrecht in Haft) verweise ich.

Dass das BVerfG in mit Abschiebungsverfahren zusammenhängenden Freiheitsentziehungssachen immer wieder korrigierend eingreifen muss und augenscheinlich wenig gehört wird ist kein gutes Zeichen. In wenigen Monaten tritt das mit noch mehr Freiheitsentziehungs- und -beschränkungsmöglichkeiten durchzogene GEAS in Kraft. Ich sehe dem mit Sorge entgegen.

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