„Just a simple, quiet life“ – Bericht zur Abschiebung einer ghanaischen Überlebenden von Menschenhandel und geschlechtsspezifischer Gewalt

Hinweis: Im Folgenden geht es u.a. um Menschenhandel, Zwangsprostitution, Genitalverstümmelung und sexualisierte Gewalt.

Unter den hunderten abschiebebedrohten Menschen, die wir in unserer Beratung kennenlernen, gibt es manche, an deren Stimme und Gesicht wir uns auch nach Monaten noch immer so deutlich erinnern, als hätte wir sie gestern das letzte Mal gesprochen. Frau Abena K.* ist einer dieser Menschen. Als wir sie am 18. Februar 2025, am Abend vor ihrer Abschiebung nach Ghana, zuletzt sprachen, war sie so stark auf Beruhigungsmitteln eingestellt, dass sie nur sehr langsam sprechen und kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie vier Monate Haft in Langenhagen und einen abgebrochenen Abschiebeversuch hinter sich. Nun hatte sie beschlossen, dass sie sich nicht mehr gegen die Abschiebung wehren würde. Doch ihre Angst war so groß, dass sie täglich Medikamente gegen Schlaflosigkeit und Panik verabreicht bekam. Warum fürchtete sich Abena so vor der Abschiebung?

Flucht vor Gewalt in Ghana

Schon in ihrer Jugend musste Abena innerhalb von Ghana fliehen. Eine große Narbe am Arm belegt ihre Gewalterfahrung. Zwar ist die Mehrheit der Frauen in Ghana nicht mehr von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM/C) betroffen, dies gilt jedoch nicht für alle ländlichen Regionen. So drohte Abena im jungen Erwachsenenalter diese Form der geschlechtsspezifischen Gewalt, vor der sie aus ihrer Heimatregion in die Hauptstadt floh. Dort war sie auf sich allein gestellt, sie musste sich prekär mit Gelegenheitsjobs als Trägerin über Wasser halten. Viele Frauen in westafrikanischen Ländern teilen dieses Schicksal und geraten früher oder später ins Visier von Menschenhändlern. Und so erging es auch Abena: Auf der Straße wurde sie von einer Frau angesprochen, die ihr einen besseren Job und Unterbringung versprach und ihr Vertrauen gewann. Dieses Schema ist keine Seltenheit, häufig wird so der Kontakt zu mittellosen Frauen hergestellt, die getäuscht und dann nach z.B. Libyen in Zwangsarbeit und oft Zwangsprostitution verkauft werden. Im Fall von Abena kam es schon in Ghana zu sexueller Ausbeutung. Schließlich lernte sie in diesem Zusammenhang einen Mann kennen, der in Belgien lebte. Er versprach sie zu retten, „frei zu kaufen“ und nach Europa zu bringen. Eine weitere Falle. In Belgien angekommen wurde sie über Monate hinweg von dem Mann festgehalten und missbraucht. Irgendwann jedoch gelang ihr die Flucht und sie fand ihren Weg nach Deutschland.

Kein Schutz für Überlebende geschlechtsspezifischer Verfolgung

In einer Stadt in Niedersachsen beruhigte sich ihr Leben schließlich. Da ihr bewusst war, dass Ghana als „sicherer Herkunftsstaat“ gilt und Menschen von dort so gut wie keine Chancen auf Asyl in Deutschland haben, hielt sie sich verdeckt, meldete sich nicht an und beantragte kein Asyl. Stattdessen fand sie irreguläre Arbeit und Zugang zu einer Kirchengemeinde. Nach einem Jahr aber wurde sie bei einer Kontrolle festgenommen. Sie kam in Abschiebehaft. Aus der Haft heraus stellte sie nun einen Asylantrag. Dieser wurde, wie befürchtet, als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Mithilfe einer Anwältin klagte sie gegen diese Entscheidung. Schließlich war sie vor geschlechtsspezifischen Gewalt geflohen, Überlebende von Menschenhandel und Missbrauch. Um die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen, wurde auch ein Eilantrag gestellt. Dieser jedoch wurde ebenfalls abgewiesen. Die Begründung: Einer erwachsenen Frau drohe in Ghana keine Genitalverstümmelung mehr. Auch bestehe keine Gefahr, dass sich der Menschenhandel wiederhole. Die Taten in Belgien seien individuelle Straftaten, keine Verfolgungshandlung. In der Sache wurde sie zwar in der Haft von der Polizei angehört, eine Duldung als Betroffene in einem laufenden Ermittlungsverfahren wurde jedoch nicht ausgestellt. Auch ein Antrag auf Bedenk- und Stabilisierungsfrist für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution nach § 59 Abs. 7 AufenthG wurde abgelehnt – sie habe ja den einjährigen Aufenthalt in Deutschland für ihre Entscheidung nutzen können, ob sie gegen die Täter aussagen möchte, eine weitere Aussetzung der Abschiebung sei dafür nicht notwendig.

Friedlicher Protest gegen die Abschiebung

Als es schließlich zur Abschiebung kam, protestierte Abena laut, aber friedlich im Flugzeug. Als der Pilot ihre Geschichte hörte ,weigerte er sich, sie mitzunehmen und sie wurde zurück in die Haft gebracht. Doch die Rechtsmittel waren erschöpft und nach einem kurzen Moment des Gefühls von Selbstwirksamkeit, der durch den Protest gegen die Abschiebung entstanden war, kam die Ohnmacht zurück. Während der verbleibenden Zeit in Haft wuchs die Angst vor der Rückkehr nach Ghana und gleichzeitig wurde Abenas Lebenswillen immer schwächer. Phasenweise gab es nächtliche Lebenskontrollen durch die JVA-Beamtinnen – das heißt, in regelmäßigen Abständen kam jemand in ihre Zelle, um zu schauen, ob sie noch lebt. Da Abena als Frau auf der Station immer wieder allein untergebracht war, hatte auch die soziale Isolation – trotz regelmäßiger Besuche durch Hannover Solidarisch, uns und auch befreundete Gemeindemitglieder – eine einschneidende Wirkung.

„Alles, was ich wollte“, sagte sie uns kurz vor der Abschiebung, „war ein einfaches, ruhiges Leben“ – „just a simple, quiet life“.

Das lange Warten auf eine Nachricht nach der Abschiebung

Das deutsche Asylsystem hat beim Schutz von Abena völlig versagt. Sie ist durch alle Raster gefallen. Durch die pauschale Einstufung Ghanas als „sicher“ wird die spezifische Gewaltbetroffenheit und Verfolgungsgeschichte von Abena geleugnet. Auch die Gerichte haben diesen Fehler nicht korrigiert. Die Abschiebung war für Abena ein erneuter unmittelbarer Angriff auf ihr Leben, der sie in einen weiteren Kampf ums Überleben zwingt. Wie dieser Kampf verlaufen ist, wissen wir nicht. Anders als am Vorabend fest und im über mehrere Monate aufgebauten Vertrauen verabredet meldete sich Abena nach der Abschiebung nicht bei uns. Wir haben seither nicht nochmal von ihr gehört. Wir hoffen, dass sie in Ghana, bei dem Kontakt, den ihr Hannover Solidarisch vermitteln hat, wenigstens vorübergehend Hilfe gefunden hat. Das noch laufende Klageverfahren ist eingestellt worden, weil dem Gericht keine ladungsfähige Adresse vorliegt. So wird niemals endgültig gerichtlich geklärt werden, ob Abena vielleicht doch einen rechtlichen Anspruch auf Schutz in Deutschland gehabt hätte.

Anmerkung Hannover Solidarisch: Selten hat uns ein Mensch und sein Schicksal so berührt. In dem Zeitraum in der wir sie besuchten (und mit ihr weinten), war sie immer in unseren Gedanken. Es war schwer ihren Dank anzunehmen, für die Besuche, die Telefonate und die kleinen Dinge, die wir ihr in den Knast brachten. Bis zuletzt haben wir mit ihr gehofft. Vorsichtshalber haben wir bereits am Anfang der Besuche, Kontakt nach Ghana aufgenommen und nach umfangreicher Recherche eine Person gefunden haben, die ihr kurzfristige Hilfe anbieten konnte.

 


*Name geändert

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2 Gedanken zu „„Just a simple, quiet life“ – Bericht zur Abschiebung einer ghanaischen Überlebenden von Menschenhandel und geschlechtsspezifischer Gewalt“

  1. So wie Abena geht es leider vielen Frauen. Sie leben oft in Armut und ohne Perspektive, werden meistens von anderen Frau angesprochen, ihnen wird ein Job im oft europäischen Ausland oder anderern „reichen“ Ländern in Aussicht gestellt und wenn man dann, meistens illegal, dort ist, stellt sich heraus, dass man sich prostituieren muss, oft eingesperrt und ohne Möglichkeit zu entkommen. Davon können etliche aus Afrika, auch Ost-Europa und aus Asien ein Lied singen. Mit geschlechtsspezifischer Verfolgung hat das jedoch nichts zu tun, es ist einfach nur kriminell. Die Sehnsucht nach einem besseren Leben und die Träume der Frauen werden ausgenutzt und scheinbar in greifbare Nähe gerückt. Tragisch und traurig, aber kein Grund für Asyl. Und so ist es auch nachzuvollziehen, dass eine junge Frau aus Ghana, einem sicheren Herkunftsland, und das sicher bezieht sich auf politische Verfolgung, nicht auf kriminelle Handlungen, wieder in ihr Heimatland zurückgeführt wird. Für die junge Frau ist es ein Desaster! Hat sie doch in Deutschland die Möglichkeit, die es nur selten in der Welt gibt, auch ohne Ausbildung und Job ein auskömmliches Leben zu führen. Wer möchte das schon aufgeben? Der Wunsch nach einem simple quiet life ist sehr verständlich und es tut einem leid, wenn dieser Wunsch nicht erfüllt wird, doch es ist der Wunsch vieler Migranten, die sich ein besseres Leben mit Perspektiven und Bildung für die Kinder, ein gutes Gesundheitssystem, gute, im Verhältnis zu den Herkunftsländern, ausreichende Wohnverhältnisse, Hilfen, Sprachkurse und Unterstützung und ein Leben in bescheidenem Wohlstand wünschen. Manche nennen sie Wirtschaftsmigranten, denn sie kommen ohne einen Fluchtgrund, oft aus sicheren Herkunftsländern, mit Wünschen und Träumen, die hier an der Realität des Asylsystems scheitern. So nachvollziehbar dieser Wünsche und Träume auch sind, so nachvollziehbar ist die Handlungsweise unseres Landes, diese Menschen wieder in ihr Herkunftsland zurückzubringen, denn weder unser doch recht großzügiges Asylsystem noch unser Sozialsystem können die vielen Menschen aufnehmen und versorgen und ehrlich, dafür ist es auch nicht gemacht. Die Entscheidung der Abschiebung von Abena ist richtig und nachvollziehbar, so leid einem auch das persönliche Schicksal dieser Frau tut!

    Antworten
    • „Hat sie doch in Deutschland die Möglichkeit, die es nur selten in der Welt gibt, auch ohne Ausbildung und Job ein auskömmliches Leben zu führen. Wer möchte das schon aufgeben?“ – Was habe ich da nicht verstanden? Es gibt ein auskömmliches Leben ohne Ausbildung und Job? Da gehe ich vielleicht auch hin! Das ist aber nicht in diesem Land, Deutschland!
      Geht es noch zynischer?

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