„Es brennt in meiner Seele“ – Bericht zu Elend und Obdachlosigkeit nach der Abschiebung von Baran G. in die Türkei

In den Debatten um Abschiebungen heißt es immer wieder, dass Leute nun einmal zurück in „die Heimat“ müssen, wenn sie kein Aufenthaltsrecht in Deutschland (mehr) haben. Doch Kern von Abschiebungen ist immer der Zwang, die Unfreiwilligkeit, die Gewalt. Wie geht das mit den romantisierten Vorstellungen der Feuilletons von „Heimat“ zusammen?

Bei den meisten der Menschen, die wir in der Beratung in Abschiebehaft kennenlernen, kommt es tatsächlich zur Abschiebung. Besonders dann, wenn noch Verfahren in Deutschland laufen, bemühen wir uns darum, den Kontakt zu den Abgeschobenen zu halten. So erleben wir oftmals mindestens in Auszügen mit, was für Folgen die Abschiebehaft und die Abschiebung für die Betroffenen haben. Ein Beispiel ist die Geschichte von Baran G*.

Baran haben wir mehrere Monate lang in Abschiebehaft begleitet. Dabei haben wir einen psychisch schwer kranken, erschöpften, aber kämpferischen Mann kennengelernt. Baran ist in Deutschland geboren, hat fünf Jahrzehnte – sein ganzes Leben lang –  hier gelebt. Zur Türkei, in die er schließlich abgeschobenen wurde, hatte er kaum Bezug. Durch die Abschiebung wurde er völlig entwurzelt, ihm wurde sinnbildlich der Boden unter den Füßen weggerissen. Wir blieben monatelang im Kontakt. Dabei konnten wir nur zuhören, denn die Möglichkeiten zu helfen waren schnell erschöpft. Baran war völlig auf sich allein gestellt.

Nach einiger Zeit Funkstille schrieb er uns mehrere sehr lange Nachrichten auf WhatsApp, in denen er von der Situation in der Türkei erzählte und vieles sehr Persönliches aus seiner Biografie mit uns teilte**:

Herr Wittekindt, Ich bin jetzt schon so lange unterwegs wie ein Nomade. Ich weiß nicht mittlerweile wo und wie ich anfangen soll. Auf meiner jetzt mittlerweile zehnmonatigen abenteuerlichen Reise habe ich in den verschiedensten Stationen und Gebieten in der Reise soviel gesehen und so viel erlebt…viel negatives, sehr viel Input… Hunger, Schlaflosigkeit, psychischer Absturz und sehr massiv…immer wieder aufs neueste. Ich habe und erlebe immer noch auf meiner Reise ins Unbekannte das pure Elend, welches ein Mensch in meiner Situation je erleben kann. Ich bin mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes „ein Schatten meiner Selbst“…zudem bin ich mittlerweile ein massiv psychisch kranker Mann, aber auch körperlich hat es wirklich sehr viel abverlangt von mir und tut es immer noch. Ich habe das sehr heiße sommerliche Chaos in der Türkei erlebt, obdachlos durchgehend, viele Male auch lange Zeit ohne was zu essen..ich bin auch chronisch übermüdet, absoluter Schlafmangel. Ich habe auch den Wintereinbruch in der Türkei gesehen, habe auch lange Zeit im eisigen, regnerischen Istanbul draußen übernachtet. Einfach nur die pure Hölle.. manchmal denke ich, das der Tod besser und einfacher wäre in meiner Situation. Meine Medikamente, die ich lange Zeit eingenommen habe und die mir sogar ja ausdrücklich von der Psychiatrie dringend empfohlen wurden, sind schon im Sommer ausgegangen […].

Dieser kurze Ausschnitt zeugt von der Verelendung, die der gewaltsamen Entwurzlung durch die Abschiebung folgte. Es ist eine humanitär nicht zumutbare Verelendung, doch diese hat das Gericht im vorgelagerten Eilverfahren nicht anerkannt: Die Gesundheitsversorgungen in der Türkei sei ausreichend stabil, es gäbe Möglichkeiten der Behandlung für die Erkrankungen von Baran. Das Gericht berücksichtigte auch nicht, dass sich Baran schon unter normalen Bedingungen schwer strukturieren kann, oft orientierungslos ist, bis zuletzt bei der Bewältigung des Alltages sozialpädagogische Unterstützung brauchte – all dies ist Teil seines Krankheitsbildes. Und so folgte, was absehbar war: Nach Erleben von Haft und Abschiebung war es für Baran erst recht nicht möglich, in der Türkei Fuß zu fassen. Es mag sein, dass es Möglichkeiten der Behandlung gäbe, doch diese sind gerade für psychisch kranke Menschen oft schwer bis gar nicht erreichbar, umso weniger, wenn sie keine Begleitung haben. Die Strukturen, die dies ermöglichen würden, sind eben nicht ausreichend vorhanden, da ist Baran kein Einzelfall.

Nach dem oben zitierten Ausschnitt folgten weitere WhatsApp-Nachrichten. Am Schluss schrieb Baran:

Hallo Herr Wittekindt, ich musste nach der letzten Message eine Pause machen und mich wieder sammeln… weil mir das alles zu sehr auf dem Herzen liegt und es brennt in meiner Seele diese ganzen Dinge, Entwicklungen in meinem Leben… danach wurde ich müde und erschöpft und ich musste die Augen kurz schließen, ein kleines Dahindösen, kein Schlaf…das würde hier in meiner Situation in der Kälte draußen gar nicht gehen, entschuldigen Sie bitte . […] ich will Sie nicht lange nerven damit …Nur bin ich bin gerade wieder aufgewühlt, fühle mich absolut verarscht, bin sauer und wütend….alles kommt grad hoch wieder….ich rauche kurz ganz schnell, dann mache ich da weiter, wo ich aufgehört habe.…

So unaushaltbar wie die Ohnmacht als Berater*in manchmal ist, so unerträglich sind diese ewigen Abschiebe-Debatten, in denen sich die Realitäten der Betroffenen, die Realität von Baran G., niemals wiederfinden.


*Name geändert
**Mit Einverständnis des Betroffenen wiedergegeben

Bitte schreiben Sie an dieser Stelle nur allgemeine Kommentare.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...

Schreibe einen Kommentar

Jetzt spenden und unsere Arbeit unterstützen!