Verteidigen Sie das Asylrecht!
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 28. Februar stellt der CDU-Bundesvorstand seinen Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm seinen Parteimitgliedern auf einer Regionalkonferenz in Hannover zur Diskussion.
Mit diesem Programmentwurf begeht die CDU einen Tabubruch: Erstmals seit Verabschiedung des Grundgesetzes stellt sie das Grundrecht auf Asyl grundsätzlich in Frage. Wir bitten Sie herzlich, das Asylrecht zu verteidigen und Initiativen zu ergreifen, damit der Programmentwurf nicht in der vorliegenden Form verabschiedet wird!
Seit Wochen gehen Millionen von Menschen überall in Deutschland bei allen Unterschieden gemeinsam auf die Straßen, um gegen Rechtsextremismus und Faschismus zu protestieren. Das sind ermutigende Zeichen aus der Zivilgesellschaft, die sich klar gegen die rassistischen Vertreibungs- und Deportationsphantasien von Rechtsextremen richten und eine große Solidarität mit den angegriffenen Menschen bekunden.
Die CDU hat sich klar gegen die Rechtsextremen und ihre rassistischen und antisemitischen Fantasien ausgesprochen und bezieht auch in ihrem Entwurf des Grundsatzprogrammes deutlich Stellung. Sie bekennt sich klar zur Achtung der Würde des einzelnen Menschen und zu den Grund- und Menschenrechten sowie zu unserem Rechtsstaat (Seite 2). Weiter heißt es in dem Grundsatzprogramm:
„Wir setzen uns für eine effektive und nicht nur symbolische Verteidigung der Menschenrechte ein. Wir machen uns für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern, ethnischen Minderheiten und marginalisierten Gruppen (…) stark.“ (S. 25).
Die Geltung der Menschenrechte für alle Menschen ist gerade in der heutigen Zeit von großer Bedeutung, wo grundlegende Rechte infrage gestellt werden. Deutschland hat schon aus historischen Gründen eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenverachtung. Daher sind wir bestürzt, dass die CDU in ihrem Programmentwurf an anderer Stelle einen „grundlegenden Wandel des europäischen Asylrechts“ fordert und das Asylrecht in Europa faktisch abschaffen will. Wörtlich heißt es in dem Programmentwurf:
„Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren.“
Mit einer solchen Position würde die CDU einen fundamentalen Kurswechsel vornehmen: Menschen, die vor Kriegen und Verfolgung fliehen, könnten auf dieses Basis in Europa keinen Schutz mehr bekommen.
Seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Grundgesetzes vor 75 Jahren ist das Grundrecht auf Asyl noch nie so grundsätzlich in Frage gestellt worden. Wir erinnern exemplarisch an die Worte des Alt-Bundeskanzlers Helmut Kohl, der vor dem CDU-Bundesvorstand am 30. August 1991 erklärte:
„Es gehört zu den Erfahrungen aus deutscher Geschichte, nicht zuletzt der Christlich Demokratischen Union, dass das Asylrecht heilig sein soll für jeden, der aus religiösen, politischen und sonstigen Gründen wirklich verfolgt wird. Wer in Gefahr für Leib und Leben ist, muss hier Zuflucht finden können.“1
Millionen von Menschen wurden während der Zeit des Nationalsozialismus von von den Faschisten verfolgt, gequält und ermordet. Hunderttausende hätten gerettet werden können, wenn es in den Nachbar- und Überseeländern eine organisierte Rettungspolitik für die Verfolgten des Naziregimes gegeben hätte. Bekanntlich schlossen die meisten Länder jedoch ihre Grenzen bis auf einen spaltbreit, wiesen Flüchtlinge ab und überließen die Verfolgten ihren Häschern. In der Konsequenz wurde nach dem Ende des Faschismus die Anerkennung eines Anspruchs auf einen Schutz für Verfolgte und Schutzbedürftige in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, in völkerrechtlichen Verträgen wie der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie im Grundgesetz verankert.
Wir appellieren an Sie und alle CDU-Mitglieder, diese Lehren aus der deutschen Geschichte nicht einfach über Bord zu werfen und an einer werteorientierten Politik festzuhalten, zu der notwendigerweise auch das Bekenntnis zum Asylrecht gehört. Dies erfordert – auch sprachlich – eine klare inhaltliche Grenzziehung gegenüber der AFD: Wenn z.B. der CDU-Politiker Jens Spahn öffentlich erklärt, er wolle Schutzsuchende an den Grenzen „notfalls mit physischer Gewalt“ aufhalten, erinnert dies an die – 2016 auch von der CDU heftig kritisierten – Aussagen der AFD-Politikerinnen Petry und von Storch, an der Grenze „notfalls“ auf Flüchtlinge zu schießen. Inzwischen ist in der öffentlichen Diskussion statt von Schutzsuchenden fast nur noch von „irregulärer Migration“ die Rede. Doch eine Flucht bedeutet, den Ausweg in der Not zu suchen – oft ohne Dokumente und fast immer ohne Visum. Sie kann nicht regulär stattfinden. Wenn in dieser Weise den Schutzsuchenden ihr Entkommen vorgeworfen wird, zeigt dies, wie erfolgreich die AFD bereits jetzt die öffentliche Debatte bestimmt.
Die EKD formuliert in ihrer gemeinsamen Erklärung zur Reform des Asylrechts:
„Ebenso kritisch sehen wir daher die Versuche, den Flüchtlingsschutz in sogenannte sichere Drittstaaten außerhalb der EU auslagern zu wollen. Jede Person, die in einem EU-Land Schutz erbittet, hat Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Gerade für Politikerinnen und Politiker, die sich am christlichen Menschenbild orientieren und die sich den Begriff der Humanität auf die Fahnen schreiben, sollte das Eintreten für den Flüchtlingsschutz ein Herzensanliegen sein.
Der Platz von Christinnen und Christen ist an der Seite der Schutzsuchenden. Sich der Verantwortung zu entledigen ist für uns keine Option.“2
Der Bundesrat hat mit den Stimmen der CDU in seiner 1041. Sitzung am 2. Februar 2024 eine Entschließung gefasst, in der es heißt:
Mehr denn je bedarf es jetzt eines entschlossenen Eintretens für die Verfassung, den liberalen Rechtsstaat und die Würde jedes einzelnen Menschen. Einen ersten Schritt dafür haben all jene Menschen getan, die in den letzten Tagen bundesweit auf die Straßen gegangen sind. (…)
Wir bitten Sie, diese Bekenntnisse ernst zu nehmen und gerade angesichts des Erstarkens von Hass und Hetze in den letzten Monaten die Grund- und Menschenrechte einschließlich des Asylrechts zu verteidigen. Zu den Lehren aus dem Nationalsozialismus gehört auch der Schutz von Verfolgten. Sie sollten nie wieder vor verschlossenen Grenzen stehen.
Wir appellieren an Sie und alle Mitglieder der CDU, den vorliegenden Programmentwurf der CDU zu ändern und den Erhalt des Asylrechts zu fordern. Am 28.02.2024 werden wir vor dem Parteitag der CDU in Hannover für die Verteidigung des Asylrechts demonstrieren.
In der Hoffnung auf Ihre Unterstützung
freundliche Grüße,
i.A. Kai Weber
Geschäftsführer
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