Sie haben es tatsächlich getan: Den massiven Protesten von Menschenrechtsorganisationen und eigener Basis zum Trotz hat die deutsche Innenministerin Faeser mit Zustimmung der Ampel den Weg für eine EU-Einigung im Asylstreit geebnet, der das europäische Asylrecht empfindlich verletzt. Dies ist der „Einstieg in den Ausstieg“ aus der Genfer Flüchtlingskonvention.
Europa entledigt sich eines Teils der Schutz suchenden Flüchtlinge zukünftig durch eine grundsätzliche Verweigerung einer Prüfung der vorgebrachten Asylgründe. Die von Innenministerin Faeser aufgestellte Behauptung, dass syrische und afghanische Flüchtlinge nicht in das Grenzverfahren kommen, ist sachlich falsch: Zentrales Instrument für die Aushebelung des Asylrechts ist die Konstruktion von sog. „sicheren Drittstaaten“. Faktisch ist der von verschiedenen europäischen Grenzstaaten angewandten Praxis von Pushbacks in angeblich „sichere Nachbarländer“ an den Grenzen nun Tür und Tor geöffnet. Auch wenn Geflüchtete aufgenommen werden, ist dies keine Garantie für eine inhaltliche Prüfung der Asylgründe: In jedem Asylverfahren – auch in den diskutierten Grenzverfahren – wird zuallererst entschieden, ob ein Asylantrag zulässig ist. Wer über einen angeblich sicheren Drittstaat kommt, wird zurückgewiesen. Das gilt auch für Kinder und ihre Familien. Und weil die EU aktuell nicht von funktionierenden Demokratien mit guten Schutzsystemen umgeben ist, sollen die Kriterien gesenkt werden, damit unsichere Staaten für sicher erklärt werden können. Die öffentliche Fokussierung auf die Frage, ob auch Familien mit Kindern dem Grenzverfahren unterworfen werden, ist insofern nur eine Detailfrage im Rahmen eines neuen Asylsystems, das einen Entzug des Rechts auf Asyl für große Gruppen von Geflüchteten vorsieht. Genau dies hat die AFD in der Vergangenheit immer wieder gefordert. Noch vor fünf Jahren wurde sie dafür beschimpft – jetzt hat sie sich durchgesetzt.
Mitgliedstaaten sollen bei der nationalen Bestimmung von „sicheren Drittstaaten“ auch nur Teile eines Staates als sicher erklären können. Eine europäische Norm, die dies verhindert, gibt es dann nicht mehr. Die Justiz als dritte Gewalt wird damit entscheidend geschwächt. Bisher haben europäische Gerichte regelmäßig Verstöße gegen Europäisches Recht gerügt. Alle Ankommenden werden bereits jetzt im Rahmen des sog. „Türkei-Deals“, einer Art Modellprojekt für die EU, in Griechenland einer Zulässigkeitsprüfung unterworfen. Selbst Familien mit Kindern, die aus Syrien oder Afghanistan stammen, sind davon betroffen. Diese Praxis soll nun zur europäischen Norm werden.
Wesentliche Akteurin in der Auseinandersetzung um das Zustandekommen des Beschlusses ist – ausgerechnet – die Außenministerin Annalena Barbock. Empörend ist nicht nur ihre Zustimmung (und die ihrer Partei) zu diesem Beschluss, sondern auch seine pseudomoralische Rechtfertigung: Ein Scheitern der Reform hätte laut Baerbock bedeutet, „dass Familien und Kinder aus Syrien oder aus Afghanistan, die vor Krieg, Folter und schwersten Menschenrechtsverletzungen geflohen sind, ewig und ohne Perspektive an der Außengrenze festhängen. Ein Nein oder eine Enthaltung Deutschlands zu der Reform hätte mehr Leid, nicht weniger bedeutet.“ Das ist so absurd und falsch, dass man nur noch den Kopf schütteln kann: Durch diesen Beschluss werden Geflüchtete entrechtet und nicht beschützt. Aber die Grünen neigen dazu, Tabubrüche durch moralische Überhöhung für Alternativlos zu erklären: Als die rot-grüne Bundesregierung sich 1999 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland an einem nicht durch das Völkerrecht gedeckten Krieg außerhalb des NATO-Einsatzgebietes gegen Serbien beteiligte, ging es um die „Verhinderung von Auschwitz“, zwei Jahre später ging es im Afghanistan-Einsatz nicht unter einer „Verteidigung der Frauenrechte“.
Uns bleibt die Hoffnung, dass noch nicht alles verloren ist: Laut Eric Marquardt (EP Grüne) bedeute der gestrige Beschluss der EU-Innenminister:innen nicht, dass sie Gesetz wird. „Wir werden uns im EU-Parlament dafür einsetzen, dass der Rat mit seinem Großangriff auf das Asylrecht nicht erfolgreich ist“, so Marquardt. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir hofft, „dass die Reform im Gesetzgebungsprozess noch verändert wird“. Da der Wortlaut der gestrigen Beschlüsse noch nicht vorliegt, sind manche Details noch unklar, z.B. die Frage nach den Kriterien, die für eine Festlegung eines „sicheren Drittstaates“ zugrundezulegen sind. Aber eines ist wohl klar: Die Zustimmung zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur Europäischen Menschenrechtskonvention sowie die tatsächliche Einhaltung dieser Konventionen werden nicht die Kriterien sein. Seit gestern ist das Asylrecht in Europa zur Disposition gestellt.
weitere Informationen siehe PRO ASYL
EU Beschlüsse auf Deutsch:
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...