Dokumentation der bundesweiten IvAF-Fachtagung am 01./02.09.2022 in der Akademie Waldschlösschen

Am 01. und 02.September 2022 fand zum letzten Mal in dieser Förderperiode die bundesweite IvAF-Fachtagung in der Akademie Waldschlösschen bei Göttingen statt. Programmatischer Titel diesmal: Wie nachhaltig waren 20-Jahre ‚ESF-geförderte Projekte für Geflüchtete‘? Geladene Referent:innen: Maren Gag (ehem. passage gGmbH, Hamburg und im EQUAL-Projekt), Sabine Reiter (Tür an Tür Augsburg und Referentin für AA/JC-Schulungen) und Werner Wendel (Referent beim sächsisches Staatsministerium für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt, ehem. Sächsicher Flüchtlingsrat), Barbara Weiser (Netwin3) und Kerem Schamberger (medico international).

Im Zentrum standen diesmal Rückblick und Reflexion der vergangenen Förderperioden. Hierfür lieferten
– die (ehem.) Projektmitarbeitenden Maren Gag, Sabine Reiter und Werner Wendel aus ihren je spezifischen Blickwinkeln anregende Inputs.
– Barbara Weiser ergänzte diesen Rückblick mit einer kritischen Bewertung der Kabinettsvorlage für ein Chancenaufenthaltsrecht
– und Kerem Schamberger öffnete den Blick über die Grenze hinaus mit Impressionen aus den europäischen Grenzabschnitten Balrarus, Griechenland, Marokko und Niger.
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In deren Gesamtschau ergab sich für die u.a. aus Baden-Württemberg und Berlin, Niedersachsen und Bayern angereisten Tagungsteilnehmer:innen ein umfassendes Bild der Arbeit der IvAF-Verbünde und eine Grundlage für intensive Debatten um Erreichtes und Herausforderungen für die neue Programmphase. Besonders bewegend darin auch der Blick auf die Außengrenzen, bei dem sich die traurige Erkenntnis durchsetzte, dass so manches Integrationsangebot, welches durch die Programmmittel bereit gestellt werden kann, durch die Fakten, die an den europäischen Außengrenzen geschaffen werden, konterkariert werden. Schmerzlich auch zu erleben war, dass das eine oder andere Projekt aus diesem Netzwerk keinen Zuschlag in der neuen Förderperiode erhalten hatte.

Wie nachhaltig waren 20 Jahre „ESF-geförderte Projekte für Geflüchtete“? – Der Zeitstrahl

Zeitstrahl 20 Jahre ESF-geförderte Projekte für Geflüchtete
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Zu Beginn der Reflexion über die Frage „Wie nachhaltig waren 20-Jahre ‚ESF-geförderte Projekte für Geflüchtete‘?“ ließ Stefan Klingbeil anhand eines Zeitstrahls 20 Jahre Förderprogramm EQUAL / XENOS I und II, sowie IvAF-Projektphase Revue passieren. Interessant war dabei zu rekapitulieren, in welchen Wellenbewegungen Arbeits- und Ausbildungszugänge, aber auch Bleiberechtsregelungen für Geduldete erstritten werden konnten, aber auch, wie durch „Ankerzentren“ und die Erfindung der „Sicheren Herkunftsstaaten“ die Segregation und Desintegration Schutzsuchender jenen gegenüber durchgesetzt wurde, denen eine „gute Bleibeperspektive“ attestiert wird. Erläuterungen zum Zeitstrahl finden sich hier

Die Podiumsdiskussion

In der anschließenden Podiumsdikussion erinnerte Maren Gag daran, dass mit der Programmlinie EQUAL seit 2002 zum ersten mal im Bereich Arbeitsmarktintegration experimentelles Handeln in einem umkämpften Umfeld ausprobiert wurde. Veränderungen wurden vor dem Hintergrund krankmachender Arbeits- und Ausbildungsverbote angestoßen (damals waren z.B. die Vorrangprüfungen ein großes Problem für Geduldete und Gestattete) und eigene ressourcenorientierte Qualifizierungskonzepte entwickelt. Vieles davon, so Gag, hat sich seitdem verstetigt. Tragfähig z.B. sind die regionalen und bundesweiten Netzwerke geworden, die in dieser frühen Projektphase aufgebaut und institutionalisiert wurden. Viele der damals entwickelten Integrationskonzepte sind heute im Mainstream angekommen. So wurden damals auch erste Betriebe akquiriert, die (zum ersten Mal auch duale) Ausbildungen für Geflüchtete anboten.
Gag erinnerte daran, dass es erst durch die Projektarbeit gelang, den Fokus der BA stärkerer auf die Integration Geflüchteter zu lenken. Nicht zu unterschätzen in diesem Feld waren auch die hierfür entwickelten Schulungen der Mitarbeitenden von BA und JC. Thematisch zentral zudem der Übergang Schule – Beruf als wichtiges Handlungsfeld, in dem von Anbeginn an die Jugendlichen ohne Grenzen wichtiger Kooperationspartner waren.

Maren Gag schloss ihren Input mit der Aufgabenstellung, dass flüchtlingsbezogene Bildungslehrgänge weiter entwickelt und Geflüchtete mit Behinderung stärker berücksichtigt werden müssen. Hier hob sie die ersten guten Kooperationen mit den EUTB’s und handicap international hervor.
Von besonderer Bedeutung war damals die Qualitätssicherung durch eine wissenschaftliche Begleitung, betonte Gag. Ein Aspekt der Nachhaltigkeit, der in der neuen Förderperiode erst noch sichergestellt werden muss. Die Arbeit wurde insgesamt auch vom Bund als so erfolgreich eingestuft, dass dieser in der Folge ein eigenes Programm auflegte. Aber ohne diesen Bottom-up Ansatz, so resümierte Maren Gag, wäre das Top-down Modell von Politik und Verwaltung im Sande verlaufen.
Den Vortrag von Maren Gag haben wir hier als Pdf auf unserem Server zum download bereit gestellt, ihr Vortrag als Video ist hier auf unserer youtube-Plattform verfügbar.

Sabine Reiter von Tür an Tür Augsburg ließ zu Beginn ihres Inputs historische Veränderung bzgl. Zugang zum Arbeitsmarkt anklingen. So erinnerte sie an den Blühm-Erlass von 1997, der ein dauerhaftes Arbeitsverbot für Geflüchtete vorschrieb. Auch ab 2000 blieb der Arbeitsmarktzugang restriktiv ausgelegt und erst 2013 kam zumindest der unbeschränkte Arbeitsmarktzugang für anerkannte Geflüchtete. 2016 konnte dann der Wegfall der schädlichen Vorrangprüfung errungen werden. Weitere Liberalisierungen traten 2019 mit dem Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz in Kraft.

Begleitend griff ab 01.01.2005 das neues Zuwanderungsgesetz, mit dem Kettenduldungen vermieden werden sollten. Hiervon profitierten 55.303 Personen, denen ein Bleiberecht angesichts rechtlicher oder tatsächlicher Ausreisehindernisse zugebilligt wurde. In einem weiteren Schritt wurde 2007 mit der sog. „Altfallregelung“ („Wer arbeitet, darf bleiben“) jenen 606 Personen eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ ausgestellt, die vor dem 01.07.1999 eingereist waren. (AE §§ 104a oder 104b)
2011 dann folgte eine Bleiberechtsregelung für Jugendliche mit einer Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren nach sechs-jährigem Aufenthalt, von der 2.765 Jugendliche (AE §25a Abs.1) und 14.544 Geduldeten zwischen 12 und 20 Jahren nach acht-jährigem Aufenthalt profitierten.
Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts 2015 kam es zu einer stichtagsunabhängigen Aufenthaltsgewährung für 14.731 integrierte Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren nach vier-jährigem Voraufenthalt mit Schulabschluss/-besuch, sowie zu 10.383 Aufenthaltsgewährungen bei nachhaltiger Integration nach sechs- bzw. acht-jährigem Voraufenthalt (Jugendliche mit AE §25a Abs.1, erw. Personen mit AE §25b)
Am 06.08.2016 kam dann das Integrationsgesetz mit der sog. „3+2-Regelung“, die mit einer Ausbildungsduldung + Aufenthaltserlaubnis im gelernten Beruf einher ging.
Diese vorangegangenen Reformansätze fasste das Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung (§ 60 c und § 60 d AufenthG) am 01.01.2020 zusammen und verhalf damit 7.902 Personen zu einer Ausbildungsduldung und 4.713 Personen zu einer Beschäftigungsduldung nach § 60d. Zusätzlich erhielten 9.249 Personen eine sog. Ermessensduldung und 6.087 Personen eine AE nach §19d Abs. 1a (bzw. §18a Abs. 1.

Diese Vergegenwärtigung hart erkämpfter, zum Teil äußerst kleinteiliger, Rechtsansprüche ergänzte Sabine Reiter mit dem Hinweis, dass ab 2014 mit dem Projekt „Early Intervention“ ab 2014 Schulungen in der AA durch XENOS-Projekte durchgeführt, und also hier für die Rechte Geflüchteter sensibilisiert wurde. Die damals entstandenen rechtskreisübergreifenden Teams von JC und AA wurden später zu Integrationsteams, zwischenzeitlich wieder aufgelöst und werden aktuell unter den Eindrücken des Ukrainekrieg wieder reaktiviert.
Der Vortrag von Sabine Reiter ist hier als Video auf unserer youtube-Plattform verfügbar

Werner Wendel, der nach Jahren der Projektarbeit in XENOS beim Sächsischen Flüchtlingsrat heute Referent beim sächsischen Staatsministerium für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, erinnerte zu Beginn seines Inputs daran, dass für ihn spätestens 2011 durch die Begleitung Geflüchteter aus Syrien erkennbar wurde, dass viele Geduldete dauerhaft bleiben werden. Daraus leiteten sich für ihn seit 2009 erste ESF-BAMF-Sprachkurse ab, die 2012 auch für Geduldete und Gestattete geöffnet wurden und die kein Mindestsprachniveau mehr kannten. Im XENOS-Programm erlangten hier viele Schutzsuchende Sprachkompetenz. Mit der Erweiterung in die DeuFöV wurde der Anspruchskreis der Zugangsberechtigten erweitert. Aktuell sind Integrationskurse sofort und unabhängig von Status zugänglich, so sie denn verfügbar sind. Für Landessprachprogramme, so Wendel, gäbe es in Ergänzung zu Integrations- und DeuFöV- Kursen aber immer noch einen hohen Bedarf.
Der Vortrag von Werner Wendel ist hier als Video auf unserer youtube-Plattform verfügbar

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In der anschließenden Diskussion wurde von Tagungsteilnehmer:innen unterstrichen, dass viele Neuerungen von Projekten vorangetrieben wurden. Sie hatten den engen Kontakt mit Geflüchteten an der Basis und Erfahrungen mit deren Bedürfnissen. Auch wurde so der Blick auf die Gesamtheit der Zielgruppe erweitert und z.B. auf die Belange vulnerabler Personen stärker eingegangen. Alle Anwesenden waren sich einig, dass die bundesweite Zusammenarbeit und der kollegiale Austausch nicht nur für die Resilienz wichtig ist. Nur durch die gemeinsame intensive Lobbyarbeit konnte erreicht werden, dass das ESF-Programm ab 2015 aufgelegt wurde.

Barbara Weiser: Das Chancen-Aufenthaltsrecht

In der juristischen Einordnung der Kabinettsvorlagen zum Chancen-Aufenthaltsrecht u.a. stellte Barbara Weiser die geplanten Änderungen vor. Im Zentrum ihrer Kritik standen dabei die Chancenaufenthaltserlaubnis selbst, die Bleiberechtsregelung nach § 25a AufenthG, nach § 25b AufenthG sowie der Zugang zu Integrationskursen / DeuFöV-Kursen. Dabei nahm sie auch Bezug auf derzeit greifende Vorgriffserlasse und praktische Anwendungen in den Bundesländern.
Zur Erinnerung: gem. zu verabschiedendem Chancen-Aufenthaltsrecht sollen Menschen, die ohne sicheren Aufenthaltstitel und nur mit einer Duldung am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können. In dieser Zeit müssen sie die Voraussetzungen für ein Bleiberecht erfüllen, also insbesondere Lebensunterhaltssicherung und einen Identitätsnachweis
gemäß §§ 25 a und b AufenthG. Weiser wies in ihrem Vortrag auf Schwachstellen im Entwurf hin bezüglich einer mangelhaften, ja überflüssigen Stichtagsregelung, die durch eine rollierende Regelung ersetzt werden sollte, bezüglich Rechtsunsicherheit bei der Familienzusammenführung, der Identitätsklärung und hier insbesondere auf die Hinweis- und Anstosspflicht der Ausländerbehörden.

In der dazugehörigen AG zu dem Vortrag wurde des weiteren festgehalten, dass die Anforderungen z.B. an § 25b sehr hoch sind, die in nur einem Jahr Aufenthaltserlaubnis auf Probe erreicht werden müssen (Passbeschaffung, Einbürgerungstest und überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts der ganzen Familie). Als Lösungsoption wurde eine Herabstufung der Anforderungen diskutiert. Allerdings müssten dazu Bundesregelungen verändert werden, die nur auf Bundesebene verändert werden könnten. Als realistischere Lösung wurde festgehalten, dass die Bundesländer per Erlass regeln müssten, dass im Falle des Ablaufs der einjährigen Aufenthaltserlaubnis auf Probe eine Ermessensduldung erteilt werden solle, wenn nicht alle Anforderungen z.B. an § 25 erfüllt werden konnten. Bei vollständiger Erfüllung kann das Bleiberecht erteilt werden. Außerdem wurde die Verengung auf §§ 25a/b kritisiert. Es sollten auch andere Bleiberechtsregelungen aus dem Chancenaufenthaltsrecht erlangt werden können. Auch diese Änderungen müsste auf Bundesebene beschlossen werden.

Den Vortrag von Barbara Weiser haben wir als Pdf zum download auf unserem Server bereit gestellt, als Video ist er hier auf unserer youtube-Plattform verfügbar

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Kerem Schamberger: Die Bigotterie der Europäischen Flüchtlingspolitik

Kerem Schamberger von medico internationalöffnete abschließend den Blick des Fachpublikums für brennende Fragen der europäischen Grenzpolitik und seinen shrinking spaces, den immer kleiner werdenden Räumen des Widerstands gegen die Abschottung. Auf jüngsten Reisen an die polnisch-belarussische und ukrainische Grenze, nach Griechenland und die Exklave von Ceuta/Mellila gewann er Eindrücke der Materialität eines Versicherheitlichungsdiskurses, der Migrant:innen und Schutzsuchende nur mehr als als Bedrohung zeichnet, sich in Sammellagern manifestiert und also einen Angriff auf uns als postmigrantische Gesellschaft der Vielen darstellt. Dabei erinnerte Schamberger daran, dass allein im ersten Halbjahr 2022 mehr als 1.200 Menschen im Mittelmeer ertranken bzw. seitdem vermisst werden. Überwachungstechniken werden genutzt, um die libysche Küstenwache zu informieren, statt Menschenleben zu retten.
Erschütternd sein Bericht samt der Bilder der neu errichteten CCAC’s, den Closed Controlled Access Center z.B. auf Samos, für 43 Mio. € völlig abgelegen neben einer Müllkippe errichtet und mit Doppelzaun, Dauerpatrouille und einer ständigen Videoüberwachung versehen, die im Athener Kontrollzentren zentral zusammen laufen. Hier gibt es keinen Zugang für Anwält:innen mehr, das Berichterstattungsverbot ist so lückenlos, dass selbst die hier gezeigten Bilder nur „geschmuggelt“ werden konnten. Ein Lagerkonzept, welches auf Seehofers Idee der AnkER-Zentren zurück geht. Die Bilder dieser CCAC waren umso erschreckender, als dass mittlerweile 95% aller Asylanträge in GR als unzulässig abgelehnt werden, da in der griechischen Rechtssprechung die Türkei als „sicherer Drittstaat“ anerkannt wird und abgelehnte Asylsuchende also in Abschiebehaft kommen, von der Türkei aber nicht zurück genommen werden. Viele Geflüchtete versuchen deshalb inzwischen, das Mittelmeer direkt nach Italien zu queren, um der Brutalität der Push-Backs zwischen der Türkei und Griechenland zu entgehen. Bezüglich dieser Push-Backs berichtete Schamberger von Getöteten, die mit mit Handschellen auf dem Rücken gefesselten Händen aufgefunden wurden. Seine Empfehlung: der Podcast: Memento Moria

Schamberger schilderte anschließend die Angriffe marokkanischer Sicherheitskräfte in Melilla im Juni des Jahres, bei denen 37 jener Flüchtenden ihr Leben verloren, die zu den ärmsten der Armen gehören und die kein Geld haben für Routen, auf denen man Schlepper / Fluchthelfer finanzieren muss. Der spanische Ministerpräsident Sanchez sprach von einem „Angriff“ auf die spanischen Sicherheitskräfte von Geflüchteten und nahm damit eine Täter-Opfer-Umkehr vor. Neben dieser Erinnerung, beleuchtete Schamberger auch das Schicksal jener, die für ihre Versuche, Asyl zu begehren, auch noch bestraft werden. Z.B. an einen Mann aus Syrien, der wegen Beihilfe der illegalen Einwanderung /des Menschenhandels zu 52 Jahren verhaftet wurde, weil er im Moment des Aufgreifens eines Fluchtbootes die Pinne in der Hand hielt. (Der eigentliche „Schlepper“ war längst wieder zurück gekehrt.) Verhandlungen dieser Art dauern in Griechenland in der Regel ca. 27 Minuten, die Urteile belaufen sich im Schnitt auf 48 Jahre. Geflüchtete sind inzwischen die zweitgrößte Gruppe in griechischen Gefängnissen. Neben Geflüchteten werden auch NGO’s und Journalist:innen kriminalisiert, die deswegen ihre Arbeit vor Ort einstellen. Staatliches Handeln an den Außengrenzen unterliegt immer weniger einer Kontrolle nichtstaatlicher Organisationen, die sich für Menschenrechte von Geflüchteten einsetzen.

Mit Bildern von der polnisch-belarusischen Grenze schloß Schamberger seinen Vortrag, um die Bigotterie der europäischen Flüchtlingspolitik zuzuspitzen. Denn es ist nicht nur der verlogene Ruf nach Fachkräfteeinwanderung der das Sterben an den Außengrenzen ad absurdum führt. Auch die Tatsache, dass Schamberger selbst auf seiner Reise an der polnisch-belarussischen Grenze wegen des Verdachts der illegalen Fluchthilfe drei Mal kontrolliert wurde, während er 50 km weiter südlich für den selben Akt an der polnisch-ukrainischen Grenze als „Fluchthelfer“ gefeiert worden wäre, spricht Bände. In diesem Grenzgebiet arbeitet medico international übrigens mit der „grupa granica“ zusmmen, die vor allem über Twitter Aktuelles von diesem europäischen Grenzabschnitt berichtet.

Den Vortrag von Kerem Schamberger ist hier als Video auf unserer youtube-Plattform verfügbar.

Der Vortrag Schambergers und seine beeindruckende Fotodokumentation der Wirklichkeit an den verschiedenen Abschnitten der EU-Außengrenze bewegte die Tagungsteilnehmer:innen sehr. Insofern verwundert es nicht, dass die Projektmitarbeiter:innen die Hausaufgabe mitnahmen, den zu der Zeit anzufertigenden Projekt-Abschlußberichten Hinweise auf die Widersprüchlichkeit ihrer geförderten Arbeit zur Integration Geflüchteter hinzuzufügen, wie sie gegenüber der aktuellen EU-Flüchtlingspolitik nur all zu offenkundig sind. Satt Ankommenden Hürden bei der Integration in den Weg zu stellen, sollte jeder Person, die es schafft, die EU-Außengrenze zu überwinden, ein E-Bike geschenkt werden. Diesen Zusammenhang wollten die Tagungsteilnehmer:innen jedenfalls im Folgeprojekt ‚WIR‘ nicht mehr aus den Augen verlieren. Denn die hier wiedergespiegelten Erfahrungen an den EU-Außengrenzen führt zu einer Vulnerabilität und (Re-)Traumatisierung, die die Arbeits- und Lernfähigkeiten der Betroffenen wesentlich beeinträchtigt. Diese Fokuserweiterung will man auch auf die künftige bundesweite Netzwerkebene mit nehmen.

Ingesamt hinterließ die Tagung einen so guten Eindruck, dass angeregt wurde, die neue Programmphase mit einem ähnlichen reflexiven Input auf einem bundesweitem Treffen zu beginnen. Als ähnlich wünschenswert wurde auch die Wiederaufnahme einer Evaluation und wissenschaftlichen Begleitung bewertet und eine Kooperation mit dem Projekt „Globales Lernen“ in Erwägung gezogen.

In einer Abschlußrunde wurde – neben viel Lob für die Ausrichtung dieser IvAF-Fachtagung – der Wunsch geäußert, auf kommenden Zusammenkünften Kolleg:innen aus der operativen Ebene stärker mit ein zu binden, indem z.B. Möglichkeiten der kollegialen Beratung angeboten und Praxisbeispielen und konkreten Fragestellungen aus der operativen Ebene stärker repräsentiert werden. Insgesamt aber wurde der Mehrwert gelobt, den der offene und engagierte Austausch (gerade durch die Ausrichtung durch einen Flüchtlingsrat) mit sich bringt. Als Themenwunsch für die kommenden Förderperiode wurde die Auseinandersetzung um Rassismuserfahrungen der Beratung suchenden Geflüchteten geäußert. „Wie rassistisch ist der Arbeitsmarkt?“ wäre dann ein Arbeitstitel einer der kommenden IvAF-Fachtagungen.

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