Tödliche Polizeieinsätze müssen weiter aufgeklärt werden
Wie über eine Mitteilung der Polizeiinspektion Stade bekannt wurde (auch NDR das Tageblatt berichten), hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle bereits am 22. Juni dieses Jahres eine Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahren seitens der Staatsanwaltschaft Stade im tödlichen Polizeieinsatz vom 3. Oktober 2021 zurückgewiesen, bei dem der sudanesische geflüchtete Kamal Ibrahim erschossen wurde.
„Diese Entscheidung ist empörend und macht ein weiteres Mal deutlich, dass es seitens der Ermittlungsbehörden keinen ernsthaften Aufklärungswillen gibt, wenn bei Polizeieinsätzen Menschen durch Beamt:innen zu Tode kommen“, sagt Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
Die Anwältin des Bruders von Kamal Ibrahim legte als Nebenklägerin am 24.03.2022 Beschwerde gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stade ein, die Tötung des Geflüchteten als „Notwehr“ bzw. „Nothilfe“ zu werten und das Ermittlungsverfahren einzustellen. Kamal Ibrahim wurde bei dem Einsatz in der Gemeinschaftsunterkunft in Harsefeld von elf Kugeln förmlich durchsiebt. Dabei kannten die Beamten den Mann, sie hatten ihn am gleichen Tag schon zweimal aufgesucht und wussten um seine psychische Erkrankung, waren also vorbereitet (siehe Presseerklärung vom 25.10.2021). Sofern nicht ein Klageerzwingungsverfahren der Nebenklage erfolgreich ist, kommt es damit zu keiner Anklage gegen die beteiligten Beamt:innen und damit zu keiner Verhandlung vor Gericht, die den ganzen Vorgang gründliche hätte aufklären können.
Nachdem es bereits im Fall des Polizeieinsatzes mit Todesfolge gegen den afghanischen Flüchtling Amin Alizada von August 2019 nicht zu einer Anklage kam, stoppt die Staatsanwaltschaft erneut jegliche weitere gerichtliche Aufklärung.
„Das kann nicht im öffentlichen Interesse sein. Die Umstände müssen bis ins Detail aufgeklärt werden, damit für das polizeiliche Handeln Konsequenzen gezogen werden und sich solche Vorgänge nicht wiederholen“, so Walbrecht. „Wenn es keine grundlegende Aufklärung gibt, kann weder das Vertrauen in die Polizei hergestellt werden, noch wird man den berechtigten Interessen der Angehörigen und Freund:innen der Getöteten gerecht“.
Der Flüchtlingsrat fordert seit längerem Konsequenzen aus solchen Vorfällen wie auch aus den Vorwürfen rassistischer Praktiken bei der Polizei (siehe Erklärung etlicher migrantischer und weiterer Organisationen hier). Ein wesentliches Instrument wäre dabei die Einrichtung einer unabhängige Institution, die Beschwerden wegen polizeilichen Handelns untersucht und Ermittlungsbefugnisse hat.
In den letzten drei Jahren gab es vier Polizeieinsätze in Niedersachsen, bei denen Geflüchtete in der Folge starben. Sowohl Aman Alizada als auch Kamal Ibrahim waren psychisch schwer belastet. Beide Polizeieinsätze geschahen in einer psychischen Ausnahmesituationen der beiden Geflüchteten. Immer wieder werden v.a. psychisch kranke oder auffällige Menschen durch Polizist:innen getötet, und in den wenigsten Fällen kommt es dann zu Anklagen. Die Staatsanwaltschaften vor Ort sind durch die tagtägliche Ermittlungsarbeit offenbar zu sehr mit der Polizei verbunden, als dass sie eine unabhängige Aufklärung gewährleisten könnten.
Zur Aufklärung der tödlichen Polizeieinsätze gehört sicher auch, dass man die weitere Lebenssituation der Geflüchteten betrachtet und die weiteren Akteure in die Betrachtung miteinbezieht. Möglicherweise hätten Situation, in denen Geflüchtete in eine psychische Ausnahmesituation geraten, mit einer besseren sozialpsychologischen Unterstützung verhindert werden können.
Deshalb fordern der Flüchtlingsrat und die Bürgerinitiative Menschenwürde aus Stade einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Niedersächsischen Landtags, der nicht nur die tödlichen Polizeieinsätze u.a. gegen Aman Alizada und Kamal Ibrahim unter die Lupe nimmt, sondern umfänglich auch die weiteren Lebensumstände Geflüchteter berücksichtigt, an deren Ende mitunter solch eskalierende Einsätze stehen. Nicht allein bei der Polizei, sondern ggf. auch bei weiteren Behörden, mit denen Geflüchtete in Kontakt stehen, müssen diese Todesfälle zu Konsequenzen führen.
Medienberichte:
Tageblatt.de: Meldung vom 07.07.2022
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