490 € für einen Schlafplatz im Mehrbett-Container – Flüchtlingsrat kritisiert Stadt Hemmingen

Die Stadt Hemmingen will Geflüchtete künftig in Mehrbett-Containern im Gewerbegebiet unterbringen – und hierfür Gebühren in Höhe von 490,22 € pro Person und Monat verlangen. Die Stadt betreibt eine verfehlte Aufnahmepolitik und nimmt den Geflüchteten die Motivation, (weiter) zu arbeiten, meint der Flüchtlingsrat Niedersachsen, der die Pläne der Stadt überdies für rechtswidrig hält. Die Organisation fordert den Rat der Stadt Hemmingen auf, die Vorschläge der Stadtverwaltung grundlegend zu überarbeiten und ihre Spielräume zugunsten berufstätiger Geflüchteter zu nutzen.

Der Rat der Stadt Hemmingen befasst sich auf seiner heutigen Sitzung mit dem Entwurf einer neuen „Satzung über die Unterbringung obdachloser Personen und ausländischer Flüchtlinge in der Stadt Hemmingen“ (DS-Nr. 75/2022 und 76/2022). Da die (einzige) Sammelunterkunft in der Stadt stark sanierungsbedürftig ist, sollen die Bewohner:innen künftig auf dem Hinterhof der Unterkunft in Mehrbett-Containern für 6 bis 8 Personen untergebracht werden – und hierfür, sofern sie einer Beschäftigung nachgehen, pro Person, d.h. für jeden Familienangehörigen, und pro Monat 490,22 € – mit anderen Worten: zwischen ca. 2.940 € und 3.920 € je Container und Monat – zahlen. In der Containeranlage stehen insgesamt 120 Wohnplätze zur Verfügung, die nach Auffassung der Stadt idealerweise durchgängig belegt sein sollten, da bei Leerstand keine vollständige Refinanzierung der entstehenden Kosten erfolgt.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent der Geschäftsführung beim Flüchtlingsrat Niedersachsen

Nach der Logik der Stadt Hemmingen müssen möglichst viele Geflüchtete möglichst lange in der Sammelunterkunft leben, damit die Stadt nicht auf ihren Kosten sitzen bleibt. Das ist das Gegenteil von einer Politik, die auf Integration und Teilhabe zielt. Die Stadt hat es über all die Jahre versäumt, Geflüchtete gezielt in eigenen Wohnungen unterzubringen bzw. die Sammelunterkunft nun wenigstens in ein geeignetes Gebäude zu verlegen. Beides muss sich ändern. In Containern sollten Menschen nur in absoluten Ausnahmefällen und nur für kurze Zeit wohnen müssen. Wenn Geflüchtete bis zu 40 % ihres Einkommens für einen Schlafplatz in einem Mehrbett-Container aufwenden müssen, beraubt sie das mit hoher Wahrscheinlichkeit ihrer Motivation, (weiter) zu arbeiten und sich in die Gesellschaft einzubringen. Zudem ist die Kalkulation der Gebühren fehlerhaft und mit der Rechtslage nicht vereinbar. Bei der Neubemessung der Gebühren muss die Stadt ihre Spielräume zugunsten der berufstätigen Geflüchteten nutzen und diesen merklich weniger Gebühren in Rechnung stellen.“

Obwohl das Wohnen in diesen Containern nicht im Ansatz mit dem Leben in einer eigenen Wohnung vergleichbar ist, übersteigt die Höhe der Gebühr die ortsüblichen Vergleichsmiete im Hinblick auf den Quadratmeterpreis und der in Privatwohnungen üblichen Ausstattung (eigenes Bad und Küche) um ein Vielfaches – dies ist nach Auffassung des Flüchtlingsrats rechtswidrig (siehe auch VGH Bayern, Beschluss vom 16.05.2018 – 12 N 18.9, Rn. 88). Da die Gebühr in privatrechtlichen Mietverhältnissen als Wucher zu qualifizieren wäre, weil sie die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete um weitaus mehr als 50% übersteigt und die „Zwangslage“ der wohnungssuchenden Geflüchteten ausnutzt, ist sie zugleich sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB. § 138 BGB gilt grundsätzlich für die gesamte Rechtsordnung und verbietet es auch im Verwaltungsrecht, eine Zwangslage mittels wucherischer Gebühren auszunutzen.

Darüber hinaus ist die Kalkulation der Gebühren nach Auffassung der Organisation fehlerhaft. So dürfen die Kosten für den Sicherheitsdienst (242.000 €), der dem Objektschutz dient, den Bewohnenden nicht in Rechnung gestellt werden. Gleiches gilt für die Kosten, die für „Overhead“, d.h. die Verwaltung der Containeranlage durch den DRK im Auftrag der Stadt Hemmingen anfallen (26.500 €). Denn in beiden Fällen handelt es sich um Kosten, die nicht personen- sondern unterkunftsbezogen sind (VGH Bayern, Beschluss vom 16.05.2018 – 12 N 18.9, Rn. 74 mwN.). Diese Kosten herausgerechnet würde die Gebühr pro Person und Monat – in einem ersten Schritt immerhin – von ca. 490 € auf ca. 303 € sinken. Zudem will sich die Stadt sämtliche Kosten für die Anschaffung und Pflege der Wohncontainer innerhalb von 10 Jahren über die Gebühren wieder erstatten lassen, was arbeitende Geflüchtete unverhältnismäßig stark belastet.

Nach Auffassung des Flüchtlingsrat Niedersachsen muss die Stadt Hemmingen ihre Spielräume nutzen und berufstätigen Geflüchteten merklich weniger Gebühren in Rechnung stellen. So soll das Gebührenaufkommen die Kosten der jeweiligen Einrichtungen zwar grundsätzlich decken (§ 5 Abs. 1 S. 2 NKAG), allerdings steht es der Stadt frei, niedrigere Gebühren zu erheben bzw. vollständig von der Erhebung abzusehen, soweit daran ein öffentliches Interesse besteht (§ 5 Abs. 1 S. 3 NKAG). Zudem kann die Stadt bei der Festlegung der Gebührensätze soziale Gesichtspunkte, auch zugunsten bestimmter Gruppen von Gebührenpflichtigen, berücksichtigen (§ 5 Abs. 3 S. 3 NKAG). Dadurch ist es der Stadt möglich, etwa Geflüchtete, die arbeiten, gänzlich von den Gebühren zu befreien oder ihnen zumindest geringere Gebühren aufzuerlegen, etwa um Ihre Teilhabe und Zukunftsperspektiven zu fördern.

In der Sammelunterkunft in Hemmingen beträgt die Gebühr für einen Platz in einem winzigen Mehrbettzimmer aktuell 930,94 € pro Monat. Im Juni 2020 ließ die Stadt Hemmingen ihre Gebührenforderung gegen einen der Bewohner, der vor dem Verwaltungsgericht klagte, allerdings gänzlich fallen – vermutlich um eine Gerichtsentscheidung, die die Gebühren für rechtswidrig erklärt hätte, zu vermeiden.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat sich mit einem Schreiben an den Bürgermeister und den Rat der Stadt Hemmingen gewandt.

Kontakt

Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 – 98 24 60 38
moy(at)nds-fluerat.org, nds(at)nds-fluerat.org

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