Alleinstehende Roma-Frau mit sechs Kindern hilflos einer ignoranten Verwaltung ausgesetzt

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Presseerklärung von RA Bernd Waldmann-Stocker vom 29.10.2010:

Alleinstehende Roma-Frau mit sechs Kindern hilflos einer ignoranten Verwaltung ausgesetzt

Frau J. stammt aus Bosnien; sie ist Roma und alleinerziehende Mutter von sechs Kinder im Alter von 2 bis 16 Jahren. Sie ist illegal eingereist und hält sich hier ohne Papiere auf. Sie selbst wurde am 31.8.2010 in Duderstadt aufgegriffen und auf Veranlassung des Landkreises Göttingen aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Duderstadt in Abschiebehaft genommen. Das Landgericht Göttingen verfügte mit Beschluss vom 30.9.2010, dass der Abschiebehaftbeschluss aufgehoben wird und Frau J. unverzüglich aus der Haft zu entlassen ist. Während der Haft waren die Kinder von anderen Roma in Obhut genommen worden.

Seit dem 01.10.2010 ist sie mit ihren sechs Kindern in Göttingen ohne festen Wohnsitz aufhältig. Sie verfügt über keinerlei Identitätspapiere und kann somit auch nicht ohne Weiteres in ihr Herkunftsland zurückkehren. Die Aufnahme einer Beschäftigung ist ihr hier verwehrt.

Ein ständiger Behörden-Hick-Hack hat bis heute nicht dazu geführt, dass die sieben Personen mit Gewissheit darauf vertrauen können, vernünftig untergebracht zu werden und Sozialleistungen zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts zu bekommen.

Im Gegenteil:

Zunächst „wohnte“ sie mit ihren sechs Kindern in einem Zelt auf dem Schützenplatz; bei schlechtem Wetter unter einer Brücke in der Nähe des Platzes. Einkommen hatten die sieben nicht.

Von Anfang an haben zwei Kinder ernsthafte medizinische Probleme gehabt: Das älteste Kind ist krank und hat möglicherweise Epilepsie. Der zweitälteste Sohn ist seit ca. einer Woche im Krankenhaus, wo er notfallmäßig operiert werden musste – nachdem die in Göttingen tätige „Medizinische Flüchtlingshilfe“ zunächst überhaupt erst einmal die Konsultation bei einem Arzt sicherstellen konnte. Er befindet sich noch immer in der Klinik.

Ausländerrechtlich haben sich weder die Stadt Göttingen noch der Landkreis Göttin-gen für die sieben zuständig gefühlt. Diese hingen buchstäblich „in der Luft“. Die Familie benötigte dringend eine Unterkunft, medizinische Versorgung und Verpflegung. Eigene Geldmittel standen und stehen ihr nicht zur Verfügung. Erst nachdem Frau J. nach über zwei Wochen mit den Nerven fertig und völlig erschöpft den Weg zum Anwalt fand, konnte im Verwaltungsrechtsweg durch einen Beschluss vom 21. Oktober 2010 zunächst einmal die ausländerrechtliche Zuständigkeit geklärt werden.

Dies hat indes das Sozialamt der Stadt Göttingen in keiner Weise veranlasst, nun auch für sich die örtliche Zuständigkeit zu bejahen und den sieben Personen die dringend notwendige Hilfe zu gewähren. Es wurden den sieben Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) versagt und dies mit der rechtlich unzutreffenden Annahme begründet, nicht die Stadt, sondern der Landkreis sei leistungsrechtlich örtlich zuständig.

Erneut musste der Rechtsweg beschritten werden. Ein daraufhin angestrebtes Eilverfahren vor dem Sozialgericht Hildesheim führte am 22.10.2010 – einem Freitag wie heute – zu einem Beschluss, der gebot, dass die Familie letzten Freitag in eine Obdachlosenunterkunft in Göttingen untergebracht werden und ihr die notwendigen Mittel zur Sicherstellung des Lebensunterhalts zur Verfügung zu stellen seien.

Nun hätte man annehmen können, dass die Strapazen der Familie damit vorerst beendet wären, da sie nunmehr, nicht mehr unter einer Brücke schlafen müsste. Zumal auch dem kranken Sohn eine amtsärztliche Untersuchung durch den Beschluss zugesichert wurde. Sie bekam einen Wertgutschein in Höhe von 100€ überreicht für die Anschaffung von Lebensmitteln. Für die Notunterkunft im Rosenwinkel wurde ihr ein Schlüssel überreicht.

Doch nach Schlüsselübergabe tauchte die Mandantschaft ein weiteres Mal in der hiesigen Kanzlei am Freitagnachmittag um 15.00 Uhr auf und teilte mit, dass der Schlüssel nicht passen würde. Die sieben hatten einen Schlüssel, aber immer noch keine Unterkunft. Eine Rechtsanwältin der hiesigen Kanzlei versicherte sich vor Ort, dass dies so zutreffend war. Der Versuch, am Freitagnachmittag noch einen Mitarbeiter der Behörde offiziell zu erreichen, schlug fehl. Ein Hausmeister war weit und breit nicht erreichbar. Alternative Unterbringungsmöglichkeiten waren am letzten Wochenende nicht mehr realisierbar. Hätte der hinzugezogene Dolmetscher sich nicht bereit erklärt, die Familie bei sich übers Wochenende aufzunehmen, hätte diese bei schlechter Witterung wieder im Freien bzw. unter der Brücke nächtigen müssen.

Die anhaltende Weigerungshaltung des hiesigen Sozialamts machte für Montag, den 25.10.2010, einen weiteren Eilbeschluss des Sozialgerichts Hildesheim notwendig.

Diesem zu folge sollte die Familie wieder in dieselbe Unterkunft wie am Freitag untergebracht werden.

In Befolgung dieses Beschlusses wurde Frau J. erneut ein Schlüssel für die Notunterkunft ausgehändigt. Man mag es glauben oder nicht: Auch dieser Schlüssel passte nicht; Frau und Kinder standen wieder vor einer verschlossenen Tür. Es war mittlerweile Dienstschluss in der Sozialbehörde. Niemand war mehr offiziell zu erreichen.

Nur deshalb, weil sich eine Person, die Frau J. mit ihren Kindern zur Notunterkunft begleitete, in ihrer Verzweiflung, keine Lösung zu finden, so heftig gegen die verschlossene Tür lehnte, dass diese dann doch aufsprang, konnte Frau J. mit den Kindern in die Unterkunft.

Wir fassen zusammen: Es gab zwei vollstreckbare Beschlüsse des Sozialgerichts, die an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig ließen. Der Verwaltung der Stadt Göttingen schien dies letztlich egal zu sein. Dass an zwei aufeinanderfolgenden Diensttagen zwei unterschiedliche Schlüssel ausgehändigt wurden, die beide nicht passen, lässt die Vermutung aufkommen, dass hier kein Schussel am Werk, sondern dass das Ganze gewollt war.

Dem Unterzeichner ist bis zum heutigen Tage nicht bekannt, dass es seitens der Behörde eine ernstzunehmende Entschuldigung gegeben hat.

Das unwürdige „Spiel“ geht weiter:

Am Dienstag folgte die Anhörung der Mandantschaft vor der Ausländerbehörde dem Landkreises, daraufhin wurden die Mandanten in Friedland untergebracht.

Dies war jedoch für Frau J. äußert schwierig, da ihr Sohn am selben Tag im Universitätsklinikum mehrstündig operiert wurde. Sie war aber in Friedland und wollte und konnte ihre Kinder nicht unbeaufsichtigt lassen.

Am Mittwoch wurde die Mandantin – was zu begrüßen ist – dann wieder nach Göttingen gebracht und dort untergebracht. Am Donnerstag bekam sie einen Wertgutschein in Höhe von 30 € überreicht.

Am heutigen Freitag erklärte sich das Sozialamt der Stadt Göttingen erneut für unzuständig; es musste erneut ein Eilverfahren eingeleitet werden.

Der Beschluss sah wieder vor, dass die Mandantin in die Unterkunft zugewiesen wurde. Zu ihrem Glück hatte sie noch den – jetzt passenden – Schlüssel der Unterkunft, denn es war wieder mal um 14:30 Uhr keiner der Behörde wäre erreichbar für das Wochenende.

Die zugesicherten notwendigen übrigen Versorgungsleistungen wurden seitens des Sozialamts trotz des heutigen Beschlusses gegenüber der Mandantschaft nicht erbracht .

Anrufe bei der Stadtverwaltung blieben erfolglos: Die Stadt Göttingen verweist auf ihrem Anrufbeantworter auf die Feuerwehr in dringenden Notfällen, auch diese hatte keine Notfallnummer des Sozialamtes. Das Ordnungsamt, auf das die Feuerwehr konnte auch nicht behilflich sein und hatte zunächst auch keine Möglichkeit. jemanden zu erreichen, der die fürs Wochenende notwendigen Versorgungen zu leisten hatte. Es wurde der Vorschlag gemacht, der Unterzeichner könne doch als Privatperson das notwendige Geld für den Lebensunterhalt vorstrecken … Erst auf heftige Intervention gelang es, die Nummer des Leiters des Sozialamts zu erhalten, der sich um 17.30 Uhr bereit erklärte, einen Barbetrag von 50 Euro noch heute Abend in die hiesige Kanzlei zu bringen.

Der Unterzeichner möchte den gesamten Vorgang nicht kommentieren – er spricht für sich. Nur so viel doch: Muss man sich nicht ein klein wenig schämen, eine solche Verwaltung zu haben.

(Waldmann-Stocker)

Rechtsanwalt

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