Kommunen erhalten 40 Mio Euro zusätzlich für die Flüchtlingsaufnahme

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Das Land Niedersachsen hat den Kommunen gestern 40 Millionen zusätzlich für die Flüchtlingsaufnahme als „Soforthilfe“ zugesagt. Diese Erhöhung war überfällig: Wenn das Land sich die Etablierung einer „Willkommenskultur“ auf die Fahnen schreibt, muss sie die Kommunen auch in den Stand versetzen, diese umzusetzen. Der Innenminister rechnet in seiner heute veröffentlichten Rede vor, dass die Kommunen damit eine Kostenerstattung in Höhe von ca. 8.200 € pro Flüchtling und Jahr erhalten. Das ist – auch im Ländervergleich – beachtlich. Ergänzt werden sollte diese Maßnahme durch eine Aufstockung der vom Land finanzierten Flüchtlingssozialarbeit sowie die Verbesserung der Beschulungsmöglichkeiten für Flüchtlingskinder und -jugendliche. Insbesondere für die 18 – 25jährigen jungen Flüchtlinge, die oftmals aufgrund ihrer Flucht einen Schulabschluss nicht nachweisen können, müssen Möglichkeiten der nachträglichen Beschulung geschaffen werden.
Darüber hinaus ist nun vor allem der Bund gefordert: Er muss endlich seinen Teil dazu beitragen und dafür sorgen, dass die Sprach- und Integrationskurse für alle Flüchtlinge geöffnet werden. Es ist unerträglich, dass Migrant:innen, die als Arbeitskräfte oder im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kommen, zum Besuch eines Integrationskurses verpflichtet werden, während Asylsuchende nach wie vor davon ausgeschlossen sind. Eine schnelle berufliche und politische Integration von Flüchtlingen kann nur gelingen, wenn Flüchtlinge hier auch die deutsche Sprache lernen können. Auch die Krankenversicherung für Flüchtlinge sollte über den Bund geregelt werden. Der geplante Flüchtlingskongress im Juni wird hoffentlich die Weichen in dieser Richtung stellen.
Schließlich sollten auch die Kommunen nicht nur mit dem Finger auf das Land zeigen, sondern auch selbst ihre Verantwortung stärker wahrnehmen: Nur wenige Städte und Landkreise bemühen sich bislang um eine systematische Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen und ESF-geförderten Bleiberechtsnetzwerken zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen für Flüchtlinge. Die Stadt Bad Hersfeld hat vorgerechnet, dass die Vermittlung von 20 Asylsuchenden in 400 € – Stellen ausreichen würde, um eine ganze Sozialarbeiterstelle gegenzufinanzieren. Je schneller die Flüchtlinge in den Stand versetzt werden, ihr Leben selbst zu gestalten und eine Arbeit aufzunehmen, um so mehr Geld sparen auch die Kommunen. Unter dem Strich ist Einwanderung bekanntlich ein Geschäft – auch für die öffentlichen Kassen (siehe hierzu die PE von Wirtschaftsminister Lies vom 12.01.2015)
Kai Weber
Nachfolgend der HAZ-Aufmacher und der Kommentar vom 3.6.2015

Soforthilfe für Flüchtlinge enttäuscht die Kommunen
Land gibt 40 Millionen Euro / Städte und Gemeinden: Nur ein Trostpflaster
Von Michael B. Berger und Andreas SchinkelHannover. Zwischen Land und Kommunen gibt es erneut Zank über die Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung. Niedersachsen will den Städten und Gemeinden mit einer Soforthilfe von 40 Millionen Euro unter die Arme greifen, wie Ministerpräsident Stephan Weil gestern ankündigte. Doch das geht den Vertretern der Kommunen nicht weit genug. Die Summe sei angesichts ungedeckter kommunaler Belastungen von 240 Millionen Euro in diesem Jahr bestenfalls „ein Trostpflaster“, sagte Klaus Wiswe, Präsident des Landkreistages.Die 40 Millionen sollen auch in den Jahren 2016 und 2017 fließen, erläuterte Weil weiter. „Wir glauben, damit einen nachhaltigen Beitrag zu leisten, schließlich begleicht das Land schon zu 77 Prozent die Flüchtlingskosten, während die Kommunen bei etwa 18 Prozent liegen und der Bund lediglich bei 5 Prozent.“ Dabei sei die Versorgung der Flüchtlinge eine Aufgabe des gesamten Staates.Widerspruch kam auch von Ulrich Mädge, Präsident des Niedersächsischen Städtetags. Mit der begrenzten Soforthilfe lade das Land das Risiko ungedeckter Haushalte weiterhin bei den Kommunen ab, erklärte Mädge. Denn die Flüchtlingszahlen stiegen – im Gegensatz zu der gleichbleibenden Soforthilfe.Angesichts dieses Angebots hatten die Spitzenvertreter aller drei Kommunalverbände schon am Montag das Innenministerium enttäuscht verlassen, nachdem sie mit Innenminister Boris Pistorius (SPD) über eine Erhöhung der Leistungen des Landes verhandelt hatten. Derzeit erhalten die Kommunen eine Pauschale von 6195 Euro pro Flüchtling und Jahr. Sie selbst beziffern die tatsächlichen Kosten, zu denen auch die Gesundheitsversorgung zählt, auf etwa 10 000 Euro pro Flüchtling und Jahr. In Großstädten wie Hannover rechnet man sogar mit 12 000 Euro pro Kopf, weil hier die Kosten für Wohnraum wesentlich höher sind als in ländlichen Regionen.Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) gehörte zu den wenigen, die gestern die Hilfe aus der Landeskasse begrüßten. Aber auch er machte deutlich, dass die Summe nur ein Anfang sein könne. „Bei der Aufstellung des neuen Landeshaushaltes hoffe ich dann auf weitere Schritte“, sagte Schostok. Erst kürzlich hatte der Rat seiner Stadt einen Nachtragshaushalt über 65 Millionen Euro beschlossen, um damit vor allem Wohncontainer kaufen zu können.Weil rechnete vor, dass die 40 Millionen Euro durchaus eine Entlastung brächten. Umgerechnet auf die etwa 40 000 Flüchtlinge, die in Niedersachsen lebten, entspreche dies einer Entlastung von 1000 Euro pro Kopf und Jahr. Mit den bisherigen Zuschüssen von Bund und Land addiere sich die Hilfe auf 8200 Euro – die Kommunen müssten so lediglich 1800 Euro pro Flüchtling aufbringen. „Wir gehen mit diesem Angebot auf Wünsche der Kommunen ein, wollen aber gleichzeitig nicht die Schuldenbremse aufgeben“, betonte Weil. Spätestens 2020 darf das Land keine neuen Schulden mehr machen.Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat meint, auch die Kommunen könnten einiges tun, um die Kosten zu senken. „Wir haben im Augenblick eine Zuwanderung von vielen beruflich gut qualifizierten Menschen aus Syrien, Ärzte und Ingenieure darunter. Die muss man schnell in Arbeit bringen.“Leitartikel
Echte Hilfe kostet mehr

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil pflegt gern auf die Nachbarschaft seines privaten Wohnortes Hannover-Kirchrode hinzuweisen, wenn er von der „Willkommenskultur“ Niedersachsens schwärmt. Fremdenfeindliche Schmierereien an einer Flüchtlingsunterkunft seien bereits nach Stunden überpinselt worden, um ja keinen falschen Eindruck zu erwecken. Weils Fazit: Es steht gut um die Aufnahmebereitschaft im Lande. Doch wird das auf lange Sicht so bleiben?
Die rot-grüne Landesregierung rühmt sich dafür, eine „Willkommenskultur“ geschaffen zu haben. Menschen, die es wegen des schrecklichen Syrien-Krieges nach Niedersachsen verschlagen hat, sollen sich hier willkommen fühlen, die Behörden sollen sich anstrengen, den Neuankömmlingen zuerst eine Bleibe zu verschaffen, später auch Arbeit, damit sie hier dauerhaft ihre Existenz bestreiten können. So viel zur kostenfreien Theorie. Die Praxis benötigt Geld.
Seit zwei Jahren liegen Städte und Gemeinden auf der einen Seite und die Landes- und die Bundesregierung auf der anderen im Clinch darüber, wie viel sie sich die „Willkommenskultur“ kosten lassen wollen. Das spielt sich immer nach demselben Muster ab: Die Kommunen schimpfen auf das Land, das Land schimpft auf den Bund, und der Bundesinnenminister wettert über die abgelehnten, aber noch nicht abgeschobenen Asylbewerber. Am Ende ist man nicht weiter, sofern man nicht laut über die Abschaffung des Föderalismus nachdenkt.
Nun macht die Landesregierung in Hannover den Kommunen eine 40-Millionen-Euro-Offerte. Angesichts der wachsenden Flüchtlingszahlen hilft das nicht viel. Kreativität in der Flüchtlingspolitik sähe anders aus. Denn die Gefahr ist nicht gering, dass bei diesem durchschaubaren Gerangel ums Geld die vielgerühmte Willkommenskultur über den Deister geht. Weil muss sich ernsthaft fragen lassen, ob er das in Kauf nimmt.
Will seine Landesregierung riskieren, dass im nächsten Jahr, wenn im September bei den Kommunalwahlen viele Rathäuser neu besetzt werden, extreme Parteien mit altbekannten Parolen auflaufen? Weil die Kämmerer bald nicht mehr anders können, als freiwillige Leistungen zu streichen, wenn das Geld für die Flüchtlingsbetreuung nicht reicht? Die Zeit ist reif, über eine grundlegend neue Finanzierung der Flüchtlingsfrage zu reden. Und zwar jetzt. Die 40 Millionen Euro können es noch lange nicht gewesen sein.
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